Offene Grenzen und das Beispiel Polen

Die Grenze zu Polen hieß in der DDR offiziell nie anders als Oder-Neiße-Friedensgrenze. Das bedeutete bei aller Völkerfreundschaft jedoch keineswegs, dass es nicht zuweilen auch Probleme und Spannungen gegeben hätte. Artur Pech, Linksfraktionschef im Kreistag Oder-Spree, hat dies bereits 2015 in einer Broschüre zum 65. Jahrestag des Abkommens von Zgorzelec dargestellt. Jetzt hat er seine Schrift aktualisiert und erweitert - mit Blick auf die heftigen Diskussionen um offene Grenzen für Flüchtlinge und mit Blick auch auf gefährliche Versuche, polnische Reparationsforderungen wegen des Zweiten Weltkriegs gegen die Abtrennung ehemals deutscher Gebiete aufzurechnen. Redaktionsschluss für die Broschüre »Oder-Neiße-Grenze und ihr Grenzregime 2017« war am 31. Oktober 2017. Gedruckt wurden 2000 Exemplare.

Sehr differenziert setzt sich Pech mit der Forderung nach offenen Grenzen auseinander, wobei er wissen möchte, was das konkret bedeuten soll. Ein Grenzregime gebe es, solange es Staaten gebe. Auch an der polnischen Grenze werde durch Zoll und Bundespolizei weiter kontrolliert, wenngleich im Hinterland und nur stichprobenartig und im Verdachtsfall. Was es bedeutet, wenn die Abschottung einfach an die Außengrenzen der Europäischen Union verlegt werden, schildert Pech mit Verweis auf das Flüchtlingssterben im Mittelmeer. Seine Argumentationen leben auch vom Rückblick in die Geschichte.

So durften DDR-Bürger zwischen 1972 und 1980 visafrei nach Polen reisen, und die Polen umgekehrt in die DDR. Doch es bestand ein Wohlstandsgefälle. Polnische Gäste kauften beim Nachbarn die Läden leer. Zwar hatte der DDR-Finanzminister ermittelt, dass der Einzelverkauf an polnische Bürger besser sei als der Export der Waren nach Polen: »Wenn es uns gelingt, die gefragten Waren bei stabiler Versorgung unserer Bevölkerung im Einzelhandel bereitzustellen, dann ist der Warenkauf durch polnische Bürger insgesamt gesehen ökonomisch vorteilhafter für die DDR.«

Mit der stabilen Versorgung hat es allerdings nicht geklappt. Deshalb griffen die DDR und die Volksrepublik Polen zu anderen Mitteln. Verkauft wurden fortan nur noch handelsübliche Mengen. In den Zügen aus Polen wurde eine Platzkartenpflicht eingeführt, und die Mitnahme von Schuhen und Textilien nach Polen war nicht gestattet, was dazu führte, dass Ostdeutsche ihren polnischen Freunden nicht einmal getragene Kindersachen schenken durften. Das alles führte zu Verstimmungen und auch zu fremdenfeindlichen Vorfällen. Einseitige Belastungen gab es übrigens an der tschechischen Grenze genauso. Hier waren es aber die DDR-Bürger, die im Nachbarstaat mehr einkauften als umgekehrt.

»Sollte es nicht eine Lehre sein, dass ohne die notwendigen Voraussetzungen die Lockerung des Grenzregimes (›offene Grenzen‹) absehbar Probleme nach sich zieht und - ja - im Ergebnis auch Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit befeuert?«, fragt Pech. Er meint, wer die Forderung nach offenen Grenzen aufmacht, könne nicht auf der abstrakten Ebene stehen bleiben. »Da muss die LINKE nicht über abstruse Obergrenzen diskutieren, sondern darstellen, welche Kapazitäten sie in der Bundesrepublik Deutschland für die Aufnahme von Menschen vorhalten will und wer das bezahlen soll.«

Artur Pech: »Oder-Neiße-Grenze und ihr Grenzregime 2017«, 116 Seiten, zu beziehen über die Linksfraktion im Kreistag Oder-Spree, Breitscheidstraße 7 in 15 848 Beeskow, Tel.: (030) 64 90 37 57, E-Mail: artur.pech@dr-pech.de

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