nd-aktuell.de / 29.01.2018 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 9

Ein Marktplatz für Ökostrom

Start-up-Gründer Heiko von Tschischwitz über Möglichkeiten, den Großhandel zu umgehen

Jörg Staude

Die Idee Ihres im November 2017 gegründeten Unternehmens Enyway, Ökostrom vom Erzeuger direkt an Kunden zu verkaufen und sich den Umweg über die Strombörse zu sparen, ist nicht neu. Läuft Ihr Konzept also nur auf eine besonders persönliche Beziehung von Stromlieferant und -abnehmer hinaus?

Doch, das, was wir machen, ist neu! Bei der Direktvermarktung nimmt bisher ein Dienstleister dem Erzeuger den Strom ab und verkauft diesen einfach an der Börse weiter. Unser Konzept erweitert die Wertschöpfung für den Erzeuger. Er verkauft seinen Strom nicht mehr nur über den Großhandel, sondern auch direkt an Nachbarn, Freunde, also direkt an Endkunden. So kann quasi die ganze Wertschöpfung aus dem Vertrieb direkt dem regenerativen Erzeuger zugeordnet werden. Das ist wirklich eine neue Qualität. Der Erzeuger hat ganz neue Möglichkeiten, seinen Strom zu vermarkten, nicht mehr nur an der Börse, sondern auch direkt an Menschen.

In Deutschland wird der größte Teil des Ökostroms über die Börse mehr oder weniger »verramscht«. Bei Ihrer Face-to-Face-Lieferung können die Grünstromer auf jeden Fall einen besseren Preis erzielen.

Genau. Der Erzeuger kann zusätzliche Einnahmen erzielen. Zudem bekommt er eine Möglichkeit, seinen Strom auch dann zu vermarkten, wenn seine Anlage einmal aus der Vergütung gemäß dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) herausfällt. Nach 20 Jahren ist es damit ja vorbei. Anfang 2021 wird das schon Wind- und Solarstromanlagen mit 5000 Megawatt treffen. Die Erzeuger fragen sich schon jetzt: Was mache ich dann? Sie können ihren Strom zwar weiter an den Großhandel verkaufen. Das aber wäre jammerschade, weil der Ökostrom eigentlich eine andere Qualität hat als der aus Kohle oder einem AKW. Über uns ist es dann möglich, den Strom direkt zu vermarkten und weiter Erlöse zu erzielen.

Unser Konzept kann generell eine Alternative zum EEG sein. Angesichts der Ergebnisse der Ausschreibungen 2017 für Windkraft und Solar kann man sich an drei Fingern abzählen, dass die EEG-Erlöse drastisch abnehmen werden. Und da bietet unsere Plattform die Möglichkeit, dass Leute eine Anlage für regenerativen Strom bauen und diesen dann ohne Subventionen direkt vermarkten.

Derzeit kann ich mich bei Enyway aber praktisch nur als kleiner Finanzinvestor an einer Ökostrom-Anlage beteiligen. Das ist in der Branche doch Standardgeschäft.

Die Beteiligung vielleicht, der Strombezug aus eben dieser Anlage aber nicht - das ist die Innovation. Bei uns kann man zum Selbstversorger werden, auch wenn man in einer Zwei-Zimmer-Wohnung zur Miete wohnt. Dass wir das im Moment nur mit einer Bestandsanlage anbieten, hat mit unserer Startphase zu tun. Wir verfolgen aber jetzt schon intern das Ziel, einen echten Zubau außerhalb des EEG zu ermöglichen. Dann reicht eine Genehmigung nach Bundesimissionsschutzgesetz - und los geht’s.

Die Solar- und Windstromerzeuger, die unter Enyway buchbar sind, können nur einen Teil des Strombedarfs des Kunden abdecken. Den »Rest« erhält der Kunde aus Wasserkraft. Wo kommt dieser Strom her?

Zum Marktstart arbeiten wir da überwiegend noch mit einem Anbieter zusammen, der norwegischen Statkraft. Die liefert den Wasserkraftstrom für die restliche Zeit. In Kürze werden wir auf unsere Erzeuger zugehen und ihnen weitere Möglichkeiten der Zusatzbeschaffung offerieren. Das kann dann Wasserkraftstrom mit Herkunftsnachweis sein, aber auch Strom nach dem strengeren OK-Power-Label. Der Deckungsanteil unserer Erzeuger liegt je nach Anlage zwischen 30 und 80 Prozent. Mehr ist nicht möglich, weil die Sonne nun mal nicht immer scheint und der Wind nicht ständig weht.

Letztlich entscheidet bei uns der Erzeuger selbst, welchen Zusatzstrom er nutzen will. Er legt auch den Preis für seinen Strom am Ende selbst fest. Das ist nicht die Entscheidung von Enyway, wir sind ein unabhängiger Marktplatz.

Ökostrom nicht an der Börse billig zu versteigern - dieses Ziel hatten auch Grünstrom-Marktmodelle. Diese sind aber allesamt mehr oder weniger gescheitert. Ist Ihr Direkthandel eine Reaktion auch darauf?

Unbedingt. Auch beim Strom haben wir den Trend, dass Menschen zunehmend ein Interesse haben, Produkte direkt von anderen Menschen zu beziehen - und nicht von Konzernen oder irgendwelchen anonymen Anbietern. Auf unserer Plattform sucht man sich vor allem aus, wo man den Strom her haben will, ob vom Imker aus Berlin ist oder der Familie aus dem Rheinland: »Wo möchtest du, dass die 40 oder mehr Euro hinfließen, die du für Strom monatlich ausgibst?« - das ist die Frage. Selbst oder gerade bei einem so anonymen und langweiligen Produkt wie Strom wird es künftig eine Rolle spielen, dass die Leute wissen, wohin ihr Geld tatsächlich fließt.