Krankenversichert, aber verschuldet

Solo-Selbstständige leiden unter teils unangemessen hohen Versicherungsbeiträgen - die Politik schaut zu

  • Helmut Lorscheid
  • Lesedauer: 3 Min.

Schätzungsweise 80 000 Menschen sind in Deutschland ohne Krankenversicherung. Viele, weil sie sich den »Mindestbeitrag« von 270 Euro pro Monat nicht leisten können. Der liegt eigentlich sogar bei 339,20 Euro und kann nur in absoluten Härtefällen auf die erwähnten 270 Euro abgesenkt werden. Er errechnet sich aus dem vom Gesetzgeber angenommenen durchschnittlichen Monatseinkommen in Höhe von 2231,25 Euro. Doch das ist eine Fehlannahme, das bestätigen auch SPD-Politiker. So verdienen nach Angaben der Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD) 80 Prozent der Solo-Selbstständigen im Jahr weniger als 9500 Euro - das sind nur rund 800 Euro im Monat. Seit Jahren fordern Linkspartei und Grüne - ebenso wie der DGB - deshalb eine Reduzierung des Krankenkassenmindestbeitrags.

Auch die SPD unterstützt in den Bundesländern diese Forderung. Auf Initiative der Thüringer Gesundheitsministerin Heike Werner (LINKE) stimmte im März 2017 der Bundesrat für einen Antrag Thüringens, in dem es heißt: »Die Beitragslast der Solo-Selbstständigen ist im Vergleich zum erzielten Einkommen zu hoch.(...) Eine Minderung der Beitragsbelastung ist deshalb gesetzlich geboten.«

Die Bundesregierung zog daraus bisher keine Konsequenzen. Nun scheint sich die Union in Richtung einer Entlastung geringverdienender Selbstständiger zu bewegen. Wie bereits vor Wochen in einem Ergebnispapier der Verhandlungen zur Bildung einer sogenannten Jamaika-Koalition aus CDU/CSU, FDP und Grünen, findet sich nun auch im Ergebnis der Sondierungsgespräche für eine Neuauflage der Großen Koalition die Ankündigung: »die Mindestkrankenversicherungsbeiträge für kleine Selbstständige zu reduzieren.«

Zuvor hatten auf der Plattform Change.org über 108 600 Menschen eine Online-Petition des Saarbrücker Blumenhändlers Andreas Müller unterzeichnet. Müller beschreibt dort seine persönliche Situation: »Trotz meines niedrigen monatlichen Einkommens von nur 1200,00 Euro brutto (im Jahr 2015), zahle ich jeden Monat einen Beitrag von 410,00 Euro an die Krankenkasse für die Kranken- und Pflegeversicherung (34 Prozent meines Einkommens).«

Unterzeichner der Petition weisen auf die durch die gesetzliche Vorgabe verursachte Verschuldung zahlreicher Geringverdiener hin. Bei den Krankenkassen sind mittlerweile Beitragsforderungen von mehr als fünf Milliarden Euro aufgelaufen. Einzelne Versicherte sind mit über 20 000 Euro bei ihrer Krankenkasse verschuldet. Diese Schulden müssen sie irgendwie abtragen. Hinzu kommt, dass ab einer bestimmten Schuldensumme die Krankenkassen die Versichertenkarten einziehen und die Schuldner fortan nur noch über eine Notfallversorgung verfügen. Jeder Arztbesuch muss dann von der Krankenkasse einzeln genehmigt werden.

Deshalb fordert etwa die Unterzeichnerin Agnes Ster: »Entschuldung der durch die Wucherbeiträge verschuldeten Selbstständigen. Krankenversicherungskarte für alle, ungeachtet eventueller Altschulden, damit verschuldete Menschen, die Beiträge entrichten, nicht weiter durch Nichtbehandlung in den vorzeitigen Tod getrieben werden.«

Harald Weinberg, gesundheitspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, bleibt vorsichtiger in seiner Bewertung. Gegenüber »nd« erinnert er daran, dass »selbst die Krankenkassen dringend eine deutliche Reduzierung des Mindestbeitrags fordern«. Die Bundesregierung sei bisher aber untätig geblieben. Die Reduktion der Mindestbemessungsgrenze von derzeit 2231,25 Euro als Ergebnis der Sondierungsgespräche sei zwar zunächst zu begrüßen. »Zu befürchten ist jedoch, dass die Absenkung nicht weitreichend genug ausfällt - wir fordern eine Absenkung der Beitragsbemessungsgrenze auf 450 Euro«, so Weinberg. Darüber hinaus müsse es einen Beitragssatz geben, »der sich aus dem realen Einkommen der Solo-Selbstständigen ergibt«. Erst dann könne von gerechten Krankenkassenbeiträge für diese Berufsgruppe die Rede sein.

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