Laternenzählen in Hongkong

Berlins Sechstagerennen ist vorbei. Während zwei Niederländer dominierten, waren zwei Weltcupsieger chancenlos

  • Manfred Hönel
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Sechstagerennen im Berliner Velodrom ist fest in niederländischer Hand. Die 107. Auflage endete am späten Dienstagabend so wie das Rennen vor einem Jahr: mit dem Sieg von Wim Stroetinga und Yoeri Havik. Auch in der letzten Runde der 60 Minuten langen Schlussjagd sprintete das Duo noch mal so schnell allen davon, dass es sich die Niederländer leisten konnten, Arm in Arm gemeinsam über den Zielstrich zu rollen.

Die Konkurrenz hatte keine Chance mehr. Der Belgier Moreno De Pauw, mit Partner Kenny de Ketele letztlich auf Platz zwei landend, meinte dann auch anerkennend: «Bis zur letzten Runde haben wir mitgehalten, aber dann rasten die beiden derart los, dass wir einfach nicht mehr mitkamen.»

Diese Erkenntnis mussten die beiden Lokalmatadoren Theo Reinhardt und Roger Kluge schon ein paar Runden vorher verkraften. «Wir sind mit dem dritten Rang trotzdem sehr zufrieden. Bei den Wechseln müssen wir noch besser werden. Mit unserer Form können wir aber im Hinblick auf die Weltmeisterschaften in vier Wochen zufrieden sein», erklärte der zweimalige Berliner Sechstagesieger Kluge. «Wir können sicherlich noch etwas zulegen, denn ich hatte erst kurz vor dem Start eine Erkältung auskuriert.»

Mit sich und der Welt zufrieden zeigten sich auch die beiden Chinesen Leung Chun Wing (26) und Cheung King Lok (24) - und das trotz ihres letzten Platzes. «Wir sind zum ersten Mal bei einem Sechstagerennen angetreten. Es war ein großes Erlebnis. Wir haben in Hongkong eine sehr schöne Halle, die dem Berliner Velodrom sehr ähnelt. Sechstagerennen gibt es bei uns aber nicht», erklärte Cheung. Sein Partner ergänzte: «Bis zum vierten Tag ging alles gut, da hatten wir nur vier Runden Rückstand. Doch dann wurden die Beine langsam leer, und uns trieb nur noch die unglaubliche Stimmung der Zuschauer um die Bahn.»

Trotz Platz 16 mit am Ende zwölf Runden Rückstand hätten beide viel gelernt in Berlin. Leung staunte vor allem über das hohe Tempo, das das Fahrerfeld über die gesamten sechs Tage gefahren war: «Die Teams haben diesen Schnitt alle durchgehalten. Vor dieser Leistung können wir uns nur verbeugen.» Beeindruckt zeigten sich die Chinesen aber auch von der offenbar ungewohnt freundschaftlichen Atmosphäre im Fahrerlager. «Obwohl wir Konkurrenten waren, haben uns alle viel geholfen. Wir fliegen mit guten Eindrücken und guter Form nach Hause», freute sich Leung Chun Wing. Roger Kluge hatte er vorher schon gekannt. «Wir sind bis Dezember gemeinsam beim Team Orica gefahren. Leider wurde mein Vertrag nicht verlängert.»

Nach einem kurzen Wäschewechsel wird das Duo nach Malaysia zu den Asienmeisterschaften weiterreisen. «Dort starten wir im Madison. Das ist ein normales Rennen an einem Tag wie beim Weltcup in Minsk», sagte Cheung King Lok. Jenes Rennen hatte das Duo gewonnen, was ihnen auch die Einladung nach Berlin bescherte.

Nach der Rückkehr aus Malaysia wollen beide auf der Straße trainieren. «Im normalen Verkehr ginge das gar nicht. Es gibt in Hongkong deshalb eine 15-Kilometer-Runde, die für das Radtraining abgesperrt ist, erzählte Cheung. Die werde aber schnell furchtbar langweilig, wenn man bis zu 15 Mal dieselbe Runde dreht. »Ich zähle manchmal die Straßenlampen. Doch das macht inzwischen auch keinen Spaß mehr, denn ich weiß genau, dass es 250 sind.«

Um der Langeweile zu entgehen, streuten die beiden mit ihrem Profiteam sonst schon mal Trainingslager irgendwo in China ein. »Dazu fehlt uns jetzt aber die Zeit, denn wir kommen im Februar schon wieder nach Europa zur WM in Apeldoorn«, so Cheung. Ihn dürfte es freuen, dass das auch WM-Rennen nicht sechs Tage dauern wird.

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