• Politik
  • SPD vor der Großen Koalition

Unter eiskalter Beobachtung

Die SPD-Führung soll nicht nur erfolgreich verhandeln, sondern dabei auch die Partei retten

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.

Während aus den Verhandlungen über eine Neuauflage der Großen Koalition in Berlin eine gewisse Klimaerwärmung gemeldet wurde, verbreiteten Klimaaktivisten von Greenpeace vor den Türen der Unterhändler am Sonntag Eiseskälte. Mit riesigen Eisblöcken postierten sie sich am Sonntagmorgen vor der SPD-Parteizentrale in Berlin und formierten mit den mannhohen Gebilden die Jahreszahl 2020. »Klimaversprechen halten, Frau Merkel« und »Kohleausstieg jetzt starten« stand auf ihren Bannern. Noch bevor die Gespräche der potenziellen Koalitionäre begannen, war es um die eisige Demonstration geschehen; die Polizei räumte die Blöcke beiseite. Am Nachmittag bildeten noch 500 Mitglieder der Organisation Campact einen Ring um das Willy-Brandt-Haus, um gegen Kohleabbau zu protestieren.

Deutschland hat sich darauf verpflichtet, den Ausstoß an Treibhausgasen bis 2020 im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent zu reduzieren. Dieses Klimaziel wird das Land jedoch verfehlen - nach Überzeugung der Greenpeace- und anderer klimapolitisch engagierten Menschen ebenso, wie Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) es einräumt. Union und SPD vereinbaren in ihrem Regierungsprogramm nun dem Vernehmen nach, wenigstens die internationalen Klimaschutzziele 2030 und 2050 zu erreichen. Eine Kommission soll bis Ende 2018 ein Aktionsprogramm erarbeiten. Jeder Bereich, auch Verkehr und Landwirtschaft, müsse künftig seine eigenen Klimaziele erreichen. Dies ist ein Thema, um das am Ende wieder der Deutungskampf einsetzen wird. Erfolg oder Misserfolg, Verhandlungsgeschick oder Preisgabe aller Prinzipien - darum wird es dann gehen. Vor allem ist dies ein Problem für die SPD, deren Mitglieder darüber entscheiden werden, ob der Koalitionsvertrag ihr Beglaubigungssiegel erhält.

Ähnlich beim Thema Wohnen und Mieten. Sehr unterschiedliche Ansätze zeigten sich in den Vorhaben von Union und SPD. CDU und CSU wollten privates Wohneigentum durch großzügigere Förderung unterstützen, die SPD den sozialen Wohnungsbau fördern. Herausgekommen sein könnte beides, und beide Seiten werden sich bemühen, ihren jeweiligen Erfolg herauszustellen. Wie dpa am Sonntag meldete, soll der soziale Wohnungsbau mit bis zu zwei Milliarden Euro bis 2021 gestärkt werden. Zugleich soll mit Projekten wie einem »Baukindergeld« für Familien und Investitionsanreizen für die Bauwirtschaft das Bauen von mehr Wohnungen erreicht werden - dieses Paket soll ebenfalls zwei Milliarden Euro umfassen. Das »Baukindergeld« soll vor allem für mittlere Einkommen neue Anreize zum Eigenheimbau schaffen. Die Union wollte über einen Zeitraum von zehn Jahren 1200 Euro je Kind und pro Jahr bereitstellen. Zudem soll Städten und Gemeinden geholfen werden, damit sie an mehr günstiges Bauland kommen, etwa über ein Vorkaufsrecht und Preisnachlässe für bundeseigene Grundstücke und Immobilien.

Ob die SPD-Basis die Ergebnisse als einen akzeptablen Erfolg ihrer Führungsmannschaft honorieren wird, steht in den Sternen. In die Unzufriedenheit über das Ergebnis der Sondierungsverhandlungen, das auf dem letzten Parteitag zu deutlichen Auflagen für die weiteren Verhandlungen führte, mischt sich eine Debatte über das Selbstverständnis der SPD. Besonders hohen Erwartungen sieht sich Parteichef Martin Schulz gegenüber. An seine Person knüpften die Sozialdemokraten zu Beginn letzten Jahres die größten Hoffnungen, an ihm kleben nun die größten Enttäuschungen über nicht eingelöste Erwartungen.

Von Linkssozialdemokraten wird Schulz nun bereits aufgefordert, sich der inhaltlichen Erneuerung seiner Partei zu widmen und im Dienste dieser Aufgabe auf ein Ministeramt zu verzichten. Die SPD stehe an einem Scheidepunkt, und es brauche einen Vorsitzenden mit Verständnis und Zeit, um die Partei wieder zusammenzuführen, äußerte Ülker Radziwill, die im Berliner Abgeordnetenhaus SPD-Vizefraktionsvorsitzende ist und auch dem Vorstand der linken Gruppierung DL21 angehört. Sollte Schulz doch einen Posten im Kabinett von Merkel annehmen, stelle sich die Frage nach einem neuen Parteichef, so Radziwill.

Die Gegner einer Großen Koalition auf der Seite der Parteilinken fordern derzeit in einer Petition an den SPD-Vorstand »faire und ausgewogene Debatten der Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen«. Regionalkonferenzen müssten neutral moderiert werden, beide Lager dort gleichberechtigt zu Wort kommen. Die Unterzeichner wünschen sich am Ende eine Live-Debatte, die online und im TV übertragen wird. Die Parteispitze habe in den vergangenen Monaten eine schlechte Kommunikation an den Tag gelegt, kritisiert Radziwill.

Frappierend ähnlich klingt das Urteil aus dem Mund eines Konservativen, der an den Verhandlungen beteiligt ist. Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer nannte gegenüber der »Bild am Sonntag« »totales Führungsversagen« als Grund dafür, »dass die SPD in so einem schlechten Zustand ist«. Ihm tue es leid zu sehen, wie viele in der Partei durch den Wind seien. Kretschmer hat dabei allerdings anderes als das Wohl der SPD im Kopf. Er beklagte, dass »selbst gute Fachleute« bei den Verhandlungen eine Schere im Kopf hätten und sich nicht trauten, die »richtigen Dinge zu entscheiden«, weil sie Angst hätten, bei ihrer Mitgliedschaft durchzufallen. Mit Agenturen

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