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  • Großbritannien ohne Zollunion

Neue Runde im Brexit-Chaos

Die britische Regierung streitet öffentlich um einen Verbleib in der Zollunion

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein Regierungssprecher sagte es deutlich: Großbritannien will weder in der bestehenden EU-Zollunion bleiben noch einer zukünftigen Union beitreten. Mit einem Satz war die Heldin frei. Doch Theresa Mays Freiheit wird nicht dauern und das Nachsehen haben die Bürger Großbritanniens und Irlands.

Vorausgegangen war ein Wochenende des Chaos. Finanzminister Philip Hammond hatte von einem »möglichst bescheidenen Schritt« weg von Europa gesprochen, wurde von Innenministerin Amber Rudd sekundiert; beide wollten die Frage der Zollunion offenhalten. Freunde eines harten Brexit lancierten dann in der rechten »Sunday Times« die Meldung einer Verschwörung, May stürzen und durch Außenminister Boris Johnson ersetzen zu wollen, mit dessen alten Rivalen Michael Gove als Stellvertreter und dem Rechten Jacob Rees-Mogg als Finanzminister. Traum- oder Albtraum-Team? May jedenfalls knickte vor den »drei Brexiteeren« ein.

Johnsons anti-EU gesinnte Truppe besteht auf der Möglichkeit, eigene Handelsabkommen mit Ländern wie China oder den USA abzuschließen, was innerhalb der EU-Zollunion nicht ginge. Letzte Woche erntete May beim China-Besuch Lob dafür, Projekte im Wert von neun Milliarden Pfund abgeschlossen zu haben. Zum Vergleich: beim früheren London-Besuch des China-Präsidenten Xi wurden Waren für 40 Milliarden bestellt, aber damals war der EU-Austritt kein Thema. Noch ein Vergleich: Großbritannien treibt drei Prozent seines Handels mit China, aber 44 Prozent mit den 27 verbliebenen EU-Partnern. Kein Wunder, dass Carolyn Fairbairn, Chefin des Industriellen-Verbandes CBI, den Austritt aus der Zollunion als riskant beschreibt.

Hilary Benn, Labour-Vorsitzender des parlamentarischen Brexit-Ausschusses - und ironischerweise Sohn des linken EU-Kritikers Tony Benn - sieht bei der Entscheidung gegen die Zollunion nur Nachteile. In einem BBC-Radio-Interview monierte er, mehr als anderthalb Jahre nach der Brexit-Abstimmung sei bei den Regierenden noch immer kein Ziel zu erkennen. Der Austritt aus der Zollunion würde nicht nur Zölle auf britische Waren bedeuten, sondern vor allem tagelange Verzögerungen an den Grenzen. Sollen die weißen Klippen von Dover zubetoniert werden, um Lkw-Parkplätze zu bauen, fragen viele Briten. Eine zweite Frage scheint Benn jedoch noch dringender: die 500 Kilometer lange, von 200 Landstraßen durchkreuzte irische Grenze. Jahrelang prangte beim Grenzdorf Crossmaglen ein Schild: Vorsicht, (IRA)- Heckenschütze bei der Arbeit. Wachtürme der britischen Armee verunstalteten die Landschaft, mehr als 3000 Nordiren kamen um. Der vor zwanzig Jahren durch Volksabstimmung beschlossene Friedensprozess darf nicht durch eine scharf bewachte Grenze aufs Spiel gesetzt werden, so Benn. Und die einzige Alternative - Abschaffung der Grenze durch die Vereinigung der britischen Provinz Nordirland mit der Republik Irland - kommt wegen Mays Bündnis mit den Britannien-treuen Demokratischen Unionisten von der DUP auch nicht in Frage.

Beim Treffen mit EU-Chefunterhändler Michel Barnier am Montag versuchte Brexit-Minister David Davis, die Frage der Zollunion dem Statements des Regierungssprechers zum trotz noch in der Schwebe zu halten. Er brachte die Hoffnung auf eine »Zollpartnerschaft« mit der EU vor und bezeichnete die Gespräche als »konstruktiv«. Hier herrscht jedoch wohl Wunschdenken. Stattdessen gab Barnier unumwunden zu, außerhalb von Zollunion und Binnenmarkt seien Handelsbarrieren gegen britische Waren und Dienstleistungen unumgänglich. Es sei für Mays Regierung an der Zeit, sich zu entscheiden. Das Gleiche fordert die Tory-Brexitgegnerin Anna Soubry, die die Premierministerin beschwört, 35 »Brexit-Extremisten« hochkant aus der Partei zu werfen. Sonst droht Soubry mit dem eigenen Parteiaustritt.

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