nd-aktuell.de / 08.02.2018 / Kultur / Seite 14

Westfotografien auf einem Osthaus

Projektion »Waffenruhe« mit Fotos von Michael Schmidt und Texten von Einar Schleef auf der Fassade der Volksbühne

Tom Mustroph

Die Volksbühne - noch immer am Rosa-Luxemburg-Platz, aber ohne den geografischen Bezug im Namen - wartet mit einem ungewöhnlichen Projekt auf: Seit gut einer Woche werden nach Sonnenuntergang Fotografien des alten Westberlin auf die Fassade des Theaters projiziert. Bis zum letzten Jahr trug das Haus noch die Lettern »Ost« auf dem Dach. Das neue Projekt hat so etwas von einem Schelmenstreich.

Den Coup jedoch nur auf schalkhafte Kulturpolitik zu reduzieren, wird dem Projekt von Michael Schmidt nicht gerecht. Denn es selbst lädt zu einem Zeitensprung ein: vom geteilten Berlin des Jahres 1987 hin zur Hauptstadt unserer Tage.

»Waffenruhe« - der Titel. Nicht Waffenstillstand, nicht Frieden - aber doch auch ein wenig mehr als Feuerpause. Ein Zustand der Ruhe von unbekannter Dauer und rätselhafter Qualität. Denn »Waffenruhe« klingt auch nach Totenruhe.

In dem Künstlerbuch von Michael Schmidt und Einar Schleef treibt ein Mann in der Ruhe nach dem Ehekrieg die eigene Unrast mal an und mal lässt sie ihn erstarren. Der Text von Schleef ist eingefasst, umspült, umschlossen von Schmidts Fotografien, die eine Stadt mitten in der gespaltenen Realität des Kalten Kriegs zeigen. Auf diesen Fotos sind Unrast, Unruhe und Erstarrung zu spüren. Vor allem die Brachen Westberlins sind zu sehen. Dazu Porträts von entschlossenen jungen Menschen, die zornig wirken und verschlossen.

Schleef und Schmidt trafen in den 1980er Jahren zu einer kurzen, aber wohl heftigen Arbeitsbeziehung aufeinander. Beide wohnten damals in Westberlin. Schmidt war dort geboren, Schleef siedelte 1976 in den Westen über. Ihr Zusammentreffen wird als ›Rock’n’Roll-Session‹ beschrieben, erzählt Thomas Weski, damals Besucher von Schmidts legendärer »Werkstatt für Fotografie« an der Volkshochschule Kreuzberg. Weski ist Kurator der Stiftung für Fotografie und Medienkunst, zu der auch das Archiv von Michael Schmidt zählt. Die »Werkstatt für Fotografie« war ein Avantgardezentrum, entstanden auf Initiative sich selbst ermächtigender Lehrkräfte in einer öffentlichen Einrichtung. »Es war die ›Mach einfach‹-Haltung des Punk, die antrieb. Viele Fotografiestudenten kamen hin, weil sie ein Feedback auf ihre Arbeiten erhielten. Das war an den Universitäten sonst nicht üblich. Im Rahmen der Erwachsenenbildung waren auch Arbeiter und Angestellte da, die die Fotografie als ihr Ausdrucksmittel begriffen, sie aber nicht zum Beruf erwählten«, erinnert sich Weski.

Michael Schmidt als zentrale Figur der Werkstatt war selbst ein bemerkenswerter Dokumentarfotograf. Seine Werkserien porträtierten seine Heimatstadt. Sie fingen Zustände und Stimmungen ein. Aus der Perspektive von heute zeigen die Aufnahmen aus den Jahren 1985 bis 1987 eine Endphase: Die Auflösung der politischen Blöcke. Dieses Sensorium für Abläufe, die spürbar waren, aber noch nicht artikulierbar, mache Schmidt für die Gegenwart interessant, ist Weski überzeugt. »Ich habe das Gefühl, wir stehen wieder vor einem Epochenwechsel«, meint er, und verweist auf eine Doppelseite im lange vergriffenen, jetzt aber neu aufgelegten Buch »Waffenruhe«. Dort ist ein auf die Wand gemaltes Hakenkreuz neben dem Bild eines stehenden Gewässers zu sehen. Die Fotografie mit dem Hakenkreuz ist auch Teil der Bildinstallation an der Fassade der Volksbühne - eine warnende Überlagerung an einem Ort, der auch einmal Horst-Wessel-Platz hieß.

Eine Fassade als Bildträger ist neu für die Präsentation von Schmidts Fotografien. Der 2014 verstorbene Künstler bezeichnete sich selbst als Experimentator in Sachen Ausstellung. Er sah eine Galeriewand eher als Zeitungsseite, auf der er Bilder zu Gruppen komponierte.

Die Projektion bespielt die gesamte Vorderfront der Volksbühne. Auch Textfragmente Schleefs werden aufs Gemäuer projiziert. Für das disziplinübergreifende Arbeiten, das zum Credo der neuen Leitung des Hauses gehört, ist »Waffenruhe« ein Schlüsselelement. Man kann sich der Arbeit mal gänzlich ungeachtet des Streits um Ensembletheater, Traditionen und Traditionsbrüche widmen. Nachts einfach mal anhalten und schauen.

Bis 11. März ab Sonnenuntergang an der Volksbühne, Linienstraße 227, Mitte.