Im Zweifel rechts

Das Springerblatt hofiert die Neue Rechte - und setzt damit die Demokratie aufs Spiel

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 4 Min.

Schon immer war die »Bild«, die eine Zeitung zu nennen der journalistische Anstand verbietet, ein Medium, das Stimmungen aufgreift, zum populistischen Urteil verdichtet und damit wiederum Stimmung macht - vorzugsweise gegen Minderheiten. Nur in Ausnahmen, wie bei der Öffnung der europäischen Grenzen für Geflüchtete 2015 durch Angela Merkel, als ein Teil der Gesellschaft die Neuankömmlinge mit offenen Armen begrüßte, ließ sich die »Bild« dazu hinreißen, das Ressentiment für kurze Zeit ruhen zu lassen. Das war merkantil motiviert, denn die Bilder mit der Kanzlerin und syrischen Kriegsflüchtlingen Arm in Arm waren ein Verkaufsargument.

Heute ist das Ressentiment - gepaart mit einer gewissen Lust, die Demokratie aufs Spiel zu setzen - in offene Verachtung von Minderheiten und in Bewunderung der Posterboys der Neuen Rechten umgeschlagen. Seit gut einer Woche rührt die »Bild« die Werbetrommel für den neuen österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz. Häppchenweise werden Auszüge aus seiner Biografie veröffentlicht; man erfährt, dass er schon als Kind über Führungsqualitäten verfügt haben soll, wie er sich fühlte, als sein Vater arbeitslos wurde, wie es seiner Mutter ging, als der heute 31-Jährige noch »Österreichs Hassfigur« war (»Das war wirklich für mich die schlimmste Zeit. Irgendwie hat sich mein Weltbild verändert, weil ich gesehen habe, dass es Menschen gibt, die andere ruinieren möchten«), und noch so einiges mehr über den neuen »österreichischen Politstar«.

Die Lobhudelei ist kein Zufall, Verfasser der Biografie ist Paul Ronzheimer, »Bild«-Mitarbeiter und der Mann fürs grobe Vorurteil des Blattes. Als 2010 Griechenland kurz vor der Staatspleite stand, fuhr Ronzheimer nach Athen, verteilte alte Drachmen an Passanten und ließ sich dabei fotografieren, wie einige der »Bettler-Griechen« (»Bild«) auf sein vergiftetes Geschenk eingingen. Die Botschaft war eindeutig: Hier habt ihr euer wertloses Papiergeld wieder, wir wollen mit euch nichts mehr zu tun haben!

Ronzheimer ist in der »Bild«-Hierarchie aufgestiegen; sein Kollege Lars Petersen wird es, das ist zu befürchten, ihm gleichtun. Petersen ist der »Asyl-Fachmann« von »Bild«. »Flüchtlingsfamilie kassiert 7300 Euro im Monat« lautete die Überschrift über einem in der aktuellen »Bild am Sonntag« veröffentlichten Artikel von Petersen. Darin ging es um einen Leistungsbescheid, den eine Mutter mit neun Kindern vom Landratsamt Leipzig im vergangenen Jahr erhalten hatte. Der reißerische Titel ist falsch, wie diverse Plattformen in den vergangenen Tagen (u.a. bildblog.de) dargelegt haben. Die 7300 Euro sind der Gesamtbetrag, der der geflüchteten Familie zusteht, weil sie bereits länger als 15 Monate in Deutschland lebt. Von der Gesamtsumme werden die Kosten für die Unterkunft sowie alle damit verbundenen Nebenkosten abgezogen. Das Landratsamt Leipzig teilte dem Portal mimikama.at, das sich der Aufklärung von Falschmeldungen im Internet verschrieben hat, auf Nachfrage mit, dass die Höhe dieser Kosten »durchaus über 4000 Euro« liegen könne. Tatsächlich dürfte die Mutter für sich und ihre neun Kinder nur um die 3000 Euro ausgezahlt bekommen, eine Summe, die dem Sozialhilfesatz entspricht.

mimikama.at klärte über diesen Fall, der schon seit einigen Wochen in den Foren des Internet seine Runden dreht (wobei offenbar in dem kopierten Bewilligungsbescheid die Namen der Anspruchsberechtigten nicht geschwärzt waren), bereits am 29. Januar auf. Petersen zitiert aus der Antwort des Landratsamtes Leipzig wortwörtlich in seinem Beitrag, ohne allerdings explizit darauf hinzuweisen, dass der Auszahlungsbetrag deutlich niedriger ist als die in der reißerischen Überschrift genannte Summe. Doch selbst diese halbe Wahrheit erfahren nur die Leser, die über das zahlungspflichtige »Bild Plus«-Abonnement verfügen. Und sie werden nicht darüber informiert, dass die Behauptung von Petersen falsch ist, die Flüchtlingsfamilie erhalte das Geld, weil das Asylverfahren schon länger als 15 Monate dauere. Wie die Kollegen von bildblog.de berichten, ist die Dauer des Aufenthaltes (15 Monate) und nicht die Länge des Verfahrens dafür ausschlaggebend, ob man Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhält (in der Regel sind das Sachleistungen, Verpflegung, Unterkunft, einige Kommunen zahlen auch ein Taschengeld aus) oder Leistungen, die sich am Sozialhilfesatz orientieren.

Die Brüder und Schwestern im Geiste bei focus-online.de haben ein solches »Bild Plus«-Abo offenbar nicht - oder sie wollten den Inhalt von Petersens Artikel genau so verstehen, wie viele andere in der Netzwelt. Nur einen Tag nach bild.de verbreitete das Magazin die Mär von der zehnköpfigen Flüchtlingsfamilie, die 7300 Euro im Monat erhalte, weil sie schon länger als 15 Monate auf den Asylbescheid warte.

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