Mit Moskau handelseinig

Zwei-plus-Vier-Vertrag: Die Chance für ein friedliches Europa wurde vertan.

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
In dem Bewusstsein, dass …« »Eingedenk der Tatsache …« »Unter Berücksichtigung …« »In Anerkennung …« - schon die Präambel des Zwei-plus-Vier-Vertrages ist voller Kompromisse, um sich nicht in den vielschichtigen Fallstricken der Geschichte zu verfangen. Vertreten durch ihre Außenminister, haben die beiden deutschen Staaten und die vier Siegermächte des Zweiten Weltkrieges - USA, UdSSR, Frankreich und Großbritannien - am 12. September 1990 in Moskau den »Vertrag über die abschließenden Regelungen in Bezug auf Deutschland«, den man kurz Zwei-plus-Vier-Vertrag nennt, unterzeichnet.

Obgleich Frankreich unter dem sozialistischen Präsidenten François Mitterrand und Großbritannien unter der konservativen Premierministerin Margaret Thatcher Sorge vor einem hegemonialen Deutschland hegten, beschlossen die vier alliierten Mächte diese Verhandlungen, um »die auswärtigen Aspekte der deutschen Einheit, einschließlich der Fragen der Sicherheit der Nachbarstaaten mit beiden deutschen Staaten zu regeln«.

Alles begann am 13. Februar 1990 am Rande der »Open Skies«-KSZE-Konferenz im kanadischen Ottawa. Danach handelten Diplomaten in nur sechs Monaten ein weitreichendes Dokument für das angestrebte vereinigte Deutschland aus. Seine Bestimmungen traten nach der Hinterlegung der letzten Ratifikationsurkunde am 15. März 1991 in Kraft.

Anders als von vielen erhofft, markiert der Vertrag letztlich jedoch keinen Wendepunkt hin zur Schaffung einer neuen, dauerhaften Friedensordnung in Europa.

Nach dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 war die deutsche Einheit nicht mehr aufzuhalten. Die Proteste in der DDR gegen das Bestehende und gegen eine völlig gelähmte Führung der SED brachen alle Dämme. Aus den Sprechchören »Wir sind das Volk« wurde die Forderung »Wir sind ein Volk«. Doch die Herstellung dieser Einheit war keineswegs nur eine Sache der Deutschen.

Die DDR war eingebunden in das von der Sowjetunion dominierte östliche System. Ideologisch, wirtschaftlich wie sicherheitspolitisch. Die Bundesrepublik galt als wichtiger Baustein der NATO und der Europäischen Gemeinschaft.

Die Sowjetunion, gewohnt aus einer Position der Stärke heraus zu handeln, musste ob ihrer extremen ökonomischen Schwäche Kröte um Kröte schlucken. Der damalige DDR-Ministerratspräsident Hans Modrow hatte am 1. Februar 1990 seine mit KPdSU-Generalsekretär Michail Gorbatschow abgestimmte Initiative »Für Deutschland einig Vaterland« öffentlich gemacht. Man wollte, so der gemeinsame Plan, über den Weg einer Konföderation zu einem Staat gelangen, der militärisch neutral sein sollte. Schöner Gedanke. Und bis zum 10. Februar auch tragfähig. Doch dann hat sich Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) von Gorbatschow versichern lassen, »dass es das alleinige Recht des deutschen Volkes ist, die Entscheidung zu treffen, ob es in einem Staat zusammenleben will«, und »den Zeitpunkt und den Weg der Einigung selbst zu bestimmen«.

Kohl hatte 220 Millionen D-Mark Lebensmittelhilfe im Ad-hoc-Angebot. Dazu kamen Finanzhilfen und Krediten von zwölf Milliarden sowie ein zinsloser Kredit in Höhe von drei Milliarden Mark. Schon einen Tag zuvor war US-Außenminister James Baker in Moskau vorstellig gewesen und hatte erklärt, Washington sei »mit Entschiedenheit dagegen, dass Deutschland neutral wird«. Gorbatschow und sein Außenminister Eduard Schewardnadse waren - verglichen mit den einstigen politischen Eichen Leonid Breschnew und Andrej Gromyko - standhaft wie Schilf im Wind.

Im Zwei-plus-Vier-Vertrag wurde die Truppenstärke der Bundeswehr auf maximal 370 000 Mann festgelegt, Deutschland verzichtete auf Herstellung und Besitz von ABC-Waffen, das Führen von Angriffskriegen sowie auf jegliche Gebietsansprüche insbesondere gegenüber Polen. Deutschland erlangte unter anderem die volle staatliche Souveränität sowie das Recht der freien Bündniswahl, was den Verbleib in der NATO ermöglichte. Damit war der erste Schritt zur Ostausdehnung der NATO gemacht. Denn allzu schnell vergessen wurde die von US-Außenministers Baker bei seinem Besuch am 9. Februar 1990 in Moskau gegenüber Gorbatschow gegebene Versicherung: »Wir verstehen, dass es nicht nur für die Sowjetunion, sondern auch für die anderen europäischen Staaten wichtig ist, dafür Garantien zu geben, dass, wenn die Vereinigten Staaten im Rahmen der NATO ihre Anwesenheit in Europa aufrechterhalten werden, eine Ausweitung der Jurisdiktion oder militärischen Anwesenheit der NATO nicht einen Zoll in östliche Richtung vonstatten geht.« Eine völkerrechtlich verbindliche Fassung dieser »Garantie« der Nichtausdehnung des westlichen Militärpakts hat der Sowjetführer nie eingefordert.

Der Artikel 4 betraf den Abzug der sowjetischen Streitkräfte vom Gebiet der DDR, und zwar bis zum Jahresende 1994. Gorbatschow gab damit sein einziges verbliebenes Faustpfand aus der Hand: die Anwesenheit von etwa einer halben Million Angehöriger der Sowjetarmee im Osten Deutschlands. Einen Passus über den Rückzug von Streitkräften der anderen Zwei-plus-Vier-Partner sucht man im Vertrag vergebens.

Der auf Gorbatschow folgende »starke« Mann in Moskau, Boris Jelzin, erfüllte die Abzugsverpflichtung vorfristig. Schon am 1. September 1994, 55 Jahre nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges, war kein militärischer Nachfahre der Befreier vom Hitlerregime mehr auf deutschem Boden.

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