nd-aktuell.de / 10.02.2018 / Politik / Seite 6

Die Tillerson-Doktrin

Mit seiner ersten Lateinamerika-Reise hat der US-Außenminister die Spannungen in der Region verschärft

Andreas Knobloch, Mexiko-Stadt

Es war Tillersons erste Reise in die Region nach einem Jahr im Amt. Vor seinem Abflug hatte er in einer viel beachteten Rede in der University of Texas in Austin die drei Säulen der Lateinamerika-Politik seiner Regierung umrissen: wirtschaftliches Wachstum, Sicherheit und Demokratie. Er warnte vor dem wachsenden Einfluss Chinas und Russlands auf dem Kontinent. »Lateinamerika braucht keine neuen imperialen Mächte, die nur ihre eigen Interessen im Blick haben. Die Vereinigten Staaten sind anders: Wir suchen keine kurzfristigen Vereinbarungen mit asymmetrischen Gewinnen, wir suchen Partner.«

Zugleich verteidigte er die Monroe-Doktrin als »Erfolg«. Manchmal werde vergessen »was sie für unsere Hemisphäre bedeutet, denn was sie geschaffen hat, ist heute so relevant wie zu der Zeit, als sie geschrieben wurde«, so Tillerson in Anspielung auf »geteilte demokratische Werte«. Im Dezember 1823 hatte der damalige US-Präsident James Monroe in einer Grundsatzrede eine neue Ära der Washingtoner Außenpolitik eingeläutet. Mit der nach ihm benannten Monroe-Doktrin machten die Vereinigten Staaten klar, dass sie auf dem Doppelkontinent Amerika keinerlei Einmischung fremder Mächte dulden würden, und deklarierten Lateinamerika als genuin US-amerikanischen Einflussbereich.

Welche demokratischen Werte der heutige Außenminister meint, machte er klar, als er in derselben Rede Venezuelas Armee indirekt zum Staatsstreich gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Nicolás Maduro aufrief: »Oftmals sind die Streitkräfte Agenten eines Wandels, wenn die Dinge schlecht laufen.« An Havanna gewandt sagte er, Kubas Regierung sei für weitere Annäherungsschritte im bilateralen Verhältnis verantwortlich.

Weder in Mexiko-Stadt noch Buenos Aires, Lima oder Bogota erntete Tillerson viel Widerspruch. Mexikos Außenminister Luis Videgaray erklärte lediglich, sein Land unterstütze weder interne noch externe Gewalt zur Lösung der dortigen Krise. Vom hehren Prinzip der Nichteinmischung - kein Wort. Zuvor hatte Tillerson, in einer Pressekonferenz auf seine Worte in Austin angesprochen, signalisiert: »Wir würden gern einen friedlichen Übergang sehen.« Wenn Maduro die Verfassung respektiere, die Nationalversammlung wieder einsetze, die Verfassungsgebende Versammlung auflöse und gerechte Wahlen garantiere, könne er bleiben. In Buenos Aires brachte der frühere ExxonMobil-Manager Tillerson dann Sanktionen gegen Venezuelas Ölexporte ins Spiel. Diese dürften aber auch die karibischen Staaten empfindlich treffen, die über das Petrocaribe-Abkommen seit Jahren Erdöl zu Vorzugskonditionen von Caracas beziehen, so wie die US-amerikanischen Raffinerien im Golf von Mexiko.

Zusammen mit Argentiniens Präsident Mauricio Macri erklärte der US-Außenminister, mehr Druck auf Venezuela ausüben zu wollen. Dieselbe Leier in Lima und Bogota. Kolumbiens Staatschef Juan Manuel Santos sagte, er werde das Ergebnis der für den 22. April angesetzten Präsidentschaftswahlen in Venezuela nicht anerkennen und bezeichnete die Regierung Maduro als »diktatorisches Regime«. Man habe sich ausgetauscht, wie die Demokratie in Venezuela wieder hergestellt werden könne, so Tillerson.

Vor allem in Caracas und Havanna trafen Tillersons Verlautbarungen auf scharfe Ablehnung. Während die Führung der venezolanischen Streitkräfte demonstrativ den Schulterschluss mit Maduro übte und jeglicher Einmischung von außen eine Absage erteilte, sagte Maduro, Washington verliere seine Zeit mit den Drohungen. »In Venezuela sind wir vorbereitet; nichts und niemand wird uns aufhalten.« Sein Land jedenfalls werde weiter Erdöl in alle Welt verkaufen: »Wir sind nicht abhängig von den USA.«

Kubas Regierung wiederum zeigte sich in einer Erklärung »alarmiert über die Botschaft der Arroganz und Geringschätzung der USA gegenüber Lateinamerika«. Zugleich erteilte sie einer Wiederauflage der Monroe-Doktrin eine Absage: »Es ist augenscheinlich und bedauerlich, dass weder der US-Präsident noch sein Außenminister Lateinamerika und die Karibik kennen. Unser Kontinent ist der demütigenden Dominanz der USA ausgeliefert gewesen, die nur daran interessiert waren, in einer ungleichen Beziehung seine Ressourcen auszubeuten. Aber unser Amerika ist aufgewacht und es wird nicht leicht unterkriegen zu sein.«

»Die Vereinigten Staaten haben die Möglichkeit, größeren Einfluss in Venezuela zu nehmen, größtenteils verspielt«, sagt der frühere mexikanische Diplomat, Jorge Guajardo. »Sie haben nie eine ganzheitliche Lösung gefunden. Ich bin mir nicht sicher, was die Vereinigten Staaten in die Gleichung einbringen.« Auch Tillersons Reise hat darauf keine Antworten gegeben. Seine Auftritte bestanden vor allem aus versteckten und nicht so versteckten Drohungen. Die Allianz gegen Caracas ist nach der Tillerson-Reise nicht größer geworden; dafür haben sich die Spannungen in der Region erhöht.