Keine Kurden zu Karneval

Polizei verhindert Demonstrationen von Kriegsgegnern in Nordrhein-Westfalen / Aktivisten: Deutsche Sicherheitskräfte entwickeln sich immer mehr zu »Erdogans Hilfssheriffs«

  • Sebastian Weiermann
  • Lesedauer: 4 Min.

Manchmal lohnt sich ein kleiner Blick in die Vergangenheit. Begeben wir uns also in das Jahr 1991. Zur Befreiung Kuwaits und gestützt auf eine UN-Resolution beginnt eine von den USA geführte Koalition den zweiten Golfkrieg. Die Bundesrepublik unterstützt den Krieg nur logistisch und finanziell. Trotzdem gehen hunderttausende Menschen in Deutschland gegen den Krieg auf die Straße. Und, ein Novum, in ganz Deutschland werden auch Karnevalsumzüge abgesagt. Auch in den rheinischen Metropolen Köln und Düsseldorf finden am Rosenmontag keine Umzüge statt.

Jetzt, fast 30 Jahre später, toben im Nahen Osten immer noch oder schon wieder zahlreiche bewaffnete Auseinandersetzungen. Die Neueste läuft seit dem 20. Januar. Mit der »Operation Olivenzweig« soll der kurdischen Selbstverwaltung im Norden Syriens ein Ende bereitet werden. Die Türkei bombardiert kurdische Städte, ihre islamistischen Hilfstruppen schänden getötete Kurden. Ein großer Aufschrei in der deutschen Öffentlichkeit bleibt aus. Daran, den Karneval abzusagen, denkt niemand.

Im Gegenteil, eine für Samstag in Köln geplante Demonstration mit 3000 erwarteten Teilnehmern wird von der Polizei sogar verboten. »Erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit« werden von der Behörde als Verbotsgrund genannt. Der Kölner Stadtdirektor Stephan Keller begrüßt das Demonstrationsverbot stellvertretend für die Stadtspitze. Während des Straßenkarnevals sei so eine Demonstration »nicht stadtverträglich«. Eine weitere »Einsatzbelastung« für Polizei und andere Organisationen sei »unverantwortlich«.

Nachdem das Verbot für die Demo in Köln bekannt wurde, wollten zahlreiche kurdische Aktivisten nach Duisburg ausweichen. Hier war für Samstag eine lokale Demonstration geplant worden. Doch auch hier machte es die Polizei den Aktivisten schwer und wusste zeitweise offenbar nicht, mit welchem Argument sie die Demonstration unterbinden kann. Als sich um kurz nach 13 Uhr die ersten 200 bis 300 Demonstranten versammelt hatten, erklärte der Einsatzleiter den Organisatoren, sie hätten die Demo am Morgen doch selbst telefonisch abgesagt.

Von den Organisatoren konnte sich allerdings niemand an ein solches Gespräch erinnern. Die Menge der Demonstranten wuchs auf etwa 500 Personen an, und auch die Polizei zog immer mehr Kräfte zusammen, umstellte die Kundgebung und postierte zwei Wasserwerfer in Sichtweite. Die kurdischen Aktivisten sahen schnell ein, dass sie in Duisburg nicht laufen würden, hielten eine kurze Kundgebung ab und beendeten diese schnell. Die Polizei war allerdings mittlerweile der Meinung, dass die Kundgebung eine nicht angemeldete, verbotene Ersatzveranstaltung für die Demonstration in Köln sei.

Die Demonstranten wurden von den Polizeikräften eingeschlossen und einige, als sie dagegen lautstark protestierten, direkt in Gewahrsam genommen. Dabei ging die Polizei teilweise sehr hart vor.

Der kurdische Dachverband »Nav-Dem« will sich nun in den nächsten Tagen zum Demoverbot in Köln äußern. Gegen das Verbot geklagt hatte man nicht. Dabei wären die Aussichten auf einen Erfolg nicht gering gewesen. Der Düsseldorfer Anwalt Jasper Prigge kennt sich aus mit dem Versammlungsrecht. Er betrachtet das Verbot in Köln äußerst kritisch: »Die Entscheidung der Polizei ist mit Blick auf den hohen Stellenwert der Versammlungsfreiheit in hohem Maße bedenklich. Es ist nicht nachvollziehbar, welche Gefahren die Polizei sieht, da ist die Begründung ziemlich dünn. Dass Karneval ist, dürfte für sich genommen ein Verbot schwerlich rechtfertigen. Hinzu kommt, dass ein Verbot immer nur das letzte Mittel sein darf, vorrangig sind Auflagen in Erwägung zu ziehen.«

In Duisburg kann ein junger kurdischer Aktivist am Samstag nach der aufgelösten Kundgebung seine Wut kaum in Worte fassen. Freunde von ihm seien »wegen nix« festgenommen worden. Die deutsche Polizei entwickele sich immer mehr zu »Erdogans Hilfssheriffs«. Man habe »fast türkische Zustände« in der Bundesrepublik. Die Wut des jungen Aktivisten spricht Bände. Über Jahre war es für kurdische Linke, gerade in Nordrhein-Westfalen, ohne Probleme möglich zu demonstrieren. Teilweise wurde sich sogar nett mit den eingesetzten Polizisten unterhalten. Das hat sich in den letzten Monaten radikal geändert.

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