Schwarze Witwe

Angela Merkel sieht sich von Teilen ihrer Partei verlassen

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 6 Min.

Angela Merkel kann nur inständig hoffen, dass der Mitgliederentscheid der SPD zugunsten des Koalitionsvertrages ausgeht. Tut er das nicht, wird die nächste Welle von Rücktrittsforderungen auf die CDU-Vorsitzende zurollen. Wenn die Koalition mit der SPD scheitert, rückt die Wahrscheinlichkeit einer vorzeitigen Bundestagswahl nahe und damit die Frage, wer die Union in dieser anführt. Nicht in allen Teilen ihrer Partei gilt die amtierende Bundeskanzlerin dann noch als gesetzt.

Bereits jetzt, da der Koalitionsvertrag mit der SPD ausgehandelt und eine Große Koalition, also das angepeilte Ziel der Kanzlerin in greifbare Nähe gerückt ist, sieht sich Merkel einem heftigen Angriff parteiinterner Gegner ausgesetzt. Offen wird die Forderung nach ihrem Rücktritt erhoben, von den Medien dankbar aufgegriffen und damit verstärkt. Das schlechte Bundestagswahlergebnis der CDU, die gescheiterten Jamaika-Sondierungen mit FDP und Grünen sowie die interne Kritik am Ergebnis der Koalitionsverhandlungen mit der SPD werden angeführt, um Merkels Schwäche zu belegen - ohne dass danach gefragt würde, ob die CDU unter anderer Führung erfolgreicher wäre. Oder, noch wichtiger, welche Ursachen dazu geführt haben, dass die großen Parteien immer kleiner werden und die Parteiendemokratie insgesamt ins Wanken gerät.

Angela Merkel, die zu Recht auch von linker Seite wegen ihrer politischen Entscheidungen, wegen ihres Stils und ihrer Machtpolitik kritisiert wird, hat es seit Langem mit Angriffen von Rechtsaußen in ihrer Partei zu tun. Auch jetzt wird der Angriff von dieser Flanke aus vorgetragen. Am Sonntagabend stellte sie sich in einem Interview mit dem ZDF den Herausforderern und machte klar, dass sie nicht gedenke, das Steuer wegen deren Kritik vorzeitig aus der Hand zu geben. Gleichwohl agierte sie nach dem ihr eigenen Muster, kam den Kritikern entgegen und versprach, ins künftige Kabinett eine Mischung aus jungen und erfahrenen Politikern zu berufen. Zugleich machte sie deutlich, dass sie vier Jahre Kanzlerin bleiben werde, wenn die Koalition zustande kommt - wie sie es vor der Wahl versprochen und mit der Wahl bestätigt bekommen habe. Dass sie also nicht nach halber Wegstrecke aus dem Amt scheiden werde.

Merkel habe verstanden, signalisierte danach der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier die Bereitschaft zum weiteren Burgfrieden. Er erkennt »ein klares Signal in Richtung personelle Erneuerung«. Andere sind längst noch nicht versöhnt. Vor allem das Generationenargument wird bei der Kritik an Merkel gern vorgetragen, die bereits zwölf Jahre Kanzlerin ist und nach der nächsten Legislatur genauso lange im Amt wäre wie Helmut Kohl, der eigene politische Ziehvater, den sie beerbt hatte. Mit dem Argument der nötigen Verjüngung versuchen Merkels Kritiker den Ruch der Königinnenmörder von sich fernzuhalten und ihren Forderungen einen konstruktiven, legitimen Anstrich zu verleihen. Wer kann schon etwas gegen die Verjüngung an der Parteispitze haben ...

Ärger über das an die SPD abgetretene Finanzministerium mag auch den persönlichen Frust eines ihrer Protagonisten, Jens Spahn widerspiegeln. Nach eigenem Befund des Staatssekretärs in diesem Ministerium war er womöglich des Ressortchefs Wolfgang Schäuble gesetzter Nachfolger. Schäubles Wechsel an die Spitze des Bundestagspräsidiums hätte den Weg für den CDU-Jungpolitiker (37 Jahre), der seit Langem eine Art Sprachrohr der Parteirechten ist, freigemacht. Spahn nannte den Verlust des Ministeriums denn auch einen »harten Schlag«. Er sieht die CDU für die Zeit nach Merkel gut gewappnet und zählte bescheiden andere Personen auf - den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer, den thüringischen Parteichef Mike Mohring, die CDU-Vizevorsitzende Julia Klöckner und die Bundestagsabgeordneten Paul Ziemiak (Chef der Jungen Union) und Carsten Linnemann. Zu den Favoriten zählen sicher auch der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther oder seine saarländische Amtskollegin Annette Kramp-Karrenbauer, die sich allerdings, anders als Günther, bisher nicht auf eine Beteiligung an der Personaldebatte einließ.

Doch vor allem rührt der Unmut aus inhaltlichem Widerspruch her, der die Merkels Kritiker umtreibt. Der erwähnte Carsten Linnemann, Vorsitzender der CDU-Mittelstandsvereinigung, fürchtete bereits öffentlich das Ende der CDU als Volkspartei, das der Koalitionsvertrag eingeläutet habe. Seit Langem schon ist der Unmut des CDU-Wirtschaftsflügels über Merkels Regierungspolitik vernehmbar. Es brauchte nur einen weiteren Anstoß. Und so sprach einer seiner prominenten Vertreter, Joachim Pfeiffer, gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland von einem »schleichenden Marsch in den Sozialismus«, der mit dem Koalitionsvertrag fortgesetzt werde.

Der CDU-Wirtschaftspolitiker Christian von Stetten drohte Merkel in der »Augsburger Allgemeinen« gar mit Gehorsamsverweigerung im Bundestag, was für Unionsgepflogenheiten schon äußerst aufsässig ist. Die Gesetze würden im Bundestag gemacht, nicht bei Koalitionsverhandlungen, erklärte von Stetten. Der Parlamentskreis Mittelstand werde »dafür sorgen, dass das, was zwar gut gemeint, aber nicht durchdacht ist, aufgehalten und korrigiert wird«, sagte der Sprecher der Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU-Fraktion.

Schon kurz nach der Bundestagswahl im September hatte Unmut in der CDU gefährlich gebrodelt, weshalb der jetzige Aufstand eher als Fortsetzung dieser Revolte denn als spontaner Ausbruch zu werten ist. Seine Vorläufer allerdings muss man in den Parteizirkeln suchen, die bereits seit Jahren deutlich machen, dass sie ihre konservativen Werte in den Händen von Angela Merkel nicht gut bewahrt sehen. Christean Wagner, ehemals führender hessischer Landespolitiker und 2012 einer der Mitbegründer des konservativen »Berliner Kreises«, äußerte sich auch jetzt kritisch zu Merkel. »Die Parteivorsitzende muss sich Fragen nach einer deutlichen Kurskorrektur gefallen lassen, aber bisher geht sie diesen Fragen bedauerlicherweise aus dem Weg«, so Wagner in der »Heilbronner Stimme«.

Im letzten Jahr bildete sich mit dem »Freiheitlich-konservativen Aufbruch« ein weiterer Zusammenschluss auf dem rechten Flügel der CDU, der vielleicht am deutlichsten macht, dass er weitere vier Jahre mit Merkel zu verhindern beabsichtigt. Er zielt direkt auf die Machtfrage, indem er die sofortige Trennung von Kanzlerschaft und Parteivorsitz fordert. Bei der letzten Wahl habe Angela Merkel die CDU mehr Stimmen gekostet als sie ihr gebracht habe, meint Alexander Mitsch, Vorsitzender des Dachverbandes, der sich auch als WerteUnion bezeichnet. Und nach den Sondierungen mit der SPD legten die Freiheitlichen in der CDU nach: Die Union habe sich eine Politik aufdrängen lassen, »die unser Land weiter in Richtung einer europäischen Transferunion, mehr Staat, weniger Marktwirtschaft und höheren Abgaben führen« werde.

Noch zeigt sich Merkel unbeeindruckt von dem Gewittergrollen, noch steht auch die erste Reihe ihrer Partei klar hinter ihr. Peter Altmaier und Günther Oettinger sind Namen von Politikern, die ihr beisprangen. Und auch sie selbst demonstrierte unbeirrte Sicherheit, als sie am Sonntag die Forderung nach der Trennung ihrer Ämter zurückwies. Beide Ämter »gehören in eine Hand«, so Merkel.

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