nd-aktuell.de / 14.02.2018 / Berlin / Seite 10

Widerstand war möglich

Die Gedenkstätte Stille Helden zeigt an neuem Standort Schicksale von Helfern verfolgter Juden

Sigrid Hoff

Ein Foto aus dem Jahr 1936 zeigt einen jungen Mann mit entschlossenem Gesichtsausdruck. Neben dem Foto sind in einer Vitrine eine Ösen-Stanzmaschine, Feder, Tinte und Ausweispapier zu sehen, die Utensilien eines Passfälschers: Cioma Schönhaus, Jahrgang 1922 und einziger Sohn russisch-jüdischer Einwanderer, schafft es den Nazis zu trotzen, indem er sich der drohenden Deportation mit einem Trick widersetzte und abtauchte. Er nutzt fortan sein zeichnerisches Talent, um Ausweise für Verfolgte zu fälschen. Als seine Auftraggeber, ein protestantischer Helferkreis, denunziert werden, flieht er mit dem Fahrrad aus Berlin. Er schafft es in die Schweiz und überlebt.

Ganz bewusst erzählt die Gedenkstätte Stille Helden in ihrer neuen Dauerausstellung auch die Geschichte von Cioma Schönhaus. »Für uns ist die doppelte Perspektive wichtig: die der Retter, aber auch die der Verfolgten«, betont Johannes Tuchel, Direktor der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, zu der auch die Gedenkstätte Stille Helden gehört. »Sie mussten den Entschluss fassen, wir lassen uns nicht deportieren, erst dann konnte Hilfe einsetzen.«

Zu den anrührenden Ausstellungsexponaten gehört etwa das Nähkästchen von Ilse Rewald. Darin hatte sie ihren Judenstern aufbewahrt, den sie bis zu ihrer Flucht ins Versteck im Juli 1943 tragen musste, ebenso wie ein Stoffband mit wichtigen Adressen, das sie in den Rocksaum eingenäht hatte. Diese Erinnerungsstücke entdeckte die Familie erst nach ihrem Tod 2005.

Auf einer Fläche von 320 Quadratmetern illustriert die neu konzipierte Dauerausstellung am Beispiel von zehn Fallgeschichten, auf Schautafeln und Vitrinen, in welcher Zwangslage sich die Juden mit Beginn der Deportationen befanden. Gezeigt wird, wie insbesondere junge Menschen versuchten, sich durch die Flucht in die Illegalität dem System zu widersetzen, wer ihre Retter waren und was diese motivierte, den Verfolgten zu helfen. Dabei wird deutlich, dass es Helfer in allen Bevölkerungsschichten quer durch die Konfessionen und Parteien gab.

Weitere 19 Fallbeispiele lassen sich an Medienstationen nachvollziehen. An einem langen Recherchetisch können Besucher individuell bis zu 491 Biografien von Rettern und Geretteten abrufen, entweder über Ortsnamen, oder über die Namen der Beteiligten.

Das Schicksal von Cioma Schönhaus war jüngst Thema in dem Film »Die Unsichtbaren«, ebenso das von Eugen Hermann, der bei einer Familie in Luckenwalde untertauchen konnte und als »Hitlerjunge« getarnt in einer Widerstandsgruppe aktiv war. Beide wurden ebenso wie ihre Helfer bereits in einer ersten Ausstellung über die »Stillen Helden« in der Rosenthaler Straße in Mitte in Nachbarschaft zum Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt gewürdigt. Seit 2008 wurde dort an die Menschen erinnert, die während der NS-Diktatur verfolgten Juden halfen, ihnen Herberge boten, Essen besorgten, sie vor den nationalsozialistischen Häschern schützten und sich dabei selbst in Lebensgefahr begaben. Einige mussten diese Hilfe mit ihrem Leben bezahlen.

Mit dem Umzug in neue Räume unter dem Dach der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in der Stauffenbergstraße im sogenannten Bendlerblock erhält die Erinnerung an die »Stillen Helden« einen würdigen Ort. Lange waren diese nicht als Widerständler gegen die NS-Diktatur anerkannt. Noch im Jahr 1959, berichtet Tuchel, galt diese Art von Hilfe nicht als Widerstand, weil sie nicht auf den Umsturz des Systems gerichtet war. Er stellt jedoch klar: »Wer einem verfolgten Juden half, wandte sich gegen die NS-Ideologie, die darauf abzielte, alle Juden in ihrem Herrschaftsbereich zu ermorden.« Der Umzug an den neuen Standort stellt klar, dass die »Stillen Helden« einen wichtigen Teil des Widerstandes bilden.

Rund 12 000 Juden waren nach Beginn der Massendeportationen im Herbst 1941 untergetaucht, etwa 5000 von ihnen konnten überleben, davon allein 1700 in Berlin. Die Zahl ihrer Retter geht in die Zehntausende, denn häufig mussten die Verfolgten ihr Quartier wechseln.

Mit der erweiterten Dauerausstellung will die Gedenkstätte deutlich machen, dass Widerstand und Zivilcourage möglich waren. Die Rettungsgeschichten aus Deutschland sollen in den nächsten Jahren erweitert werden um die europäische Perspektive, die gemeinsam mit der Gedenkstätte Yad Vashem in Israel und anderen Partnerinstitutionen erarbeitet wird. epd/nd