Pionierarbeit im Erinnern

Stiftung brandenburgische Gedenkstätten war 1993 die erste ihrer Art in Deutschland

Da wird Günter Morsch, Direktor der Stiftung brandenburgische Gedenkstätten, ärgerlich. Die Stadt Oranienburg soll endlich das Kopfsteinpflaster der Zufahrt zur KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen asphaltieren, um die Lärmbelästigung der Anwohner zu reduzieren, fordert er. Den Gegenvorschlag, den Eingang der Gedenkstätte zu verlegen, lehnt Morsch »strikt« ab. Die Besucher - wieder mehr als 700 000 waren es im vergangenen Jahr - sollen auch künftig über die historische Lagerstraße eintreten.

Zu Jahresbeginn legt die Stiftung traditionell ihre Bilanz vor und gibt Ausblicke auf ihre Pläne. Morsch tut dies am Donnerstag zum letzten Mal. Er verabschiedet sich Ende Mai in den Ruhestand. Sein Nachfolger Axel Drecoll ist bereits bestimmt und vorgestellt worden.

Besucherstatistik 2017
  • Die Gedenkstätte Sachsenhausen zählte 2017 erneu 700 000 Besucher. 41 Prozent von ihnen kamen aus dem Ausland. 63 868 Besucher nahmen an Führungen teil. Dabei wurde vorwiegend Spanisch oder Englisch gesprochen. Es gab auch Führungen in anderen Sprachen.
  • Die Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück registrierte im vergangenen Jahr etwa 120 000 Besucher.
  • In Brandenburg/Havel kamen insgesamt 5919 Menschen in die Euthanasie-Gedenkstätte und in die Gedenkstätte im Zuchthaus Brandenburg.
  • Die Gedenkstätte Leistikowstraße meldet für das vergangene Jahr 10 120 Besucher. af

Seit 25 Jahren leitet Morsch die Stiftung und in Personalunion die Gedenkstätte Sachsenhausen. Die Stiftung betreut mittlerweile noch vier weitere Gedenkstätten und außerdem das Todesmarschmuseum im Belower Wald bei Wittstock. Gewöhnlich wehrt sich die Stiftung, noch mehr Standorte zu übernehmen. In einem Fall, dem KZ-Außenlager Lieberose, soll nun aber eine Ausnahme gemacht werden, erklärt Morsch. Denn dieses Lager sein »ein zentraler Ort der Shoa«, also der Verfolgung und Ermordung der Juden. Die dortige Freiluftausstellung soll vergrößert werden.

Zum 25. Jubiläum der Stiftung soll es am 19. April in der Potsdamer Staatskanzlei einen Festakt geben, bei dem der australische Historiker Andrew Beattie den Festvortrag hält. 1993 sei die Gedenkstättenstiftung die erste ihrer Art in der Bundesrepublik gewesen, erinnert Morsch. »Wir haben Pionierarbeit geleitet.« Später seien vergleichbare Stiftungen auch in anderen Bundesländern, »sogar in Bayern« gegründet worden. »Sonst ist nur das Ampelmännchen von Ost nach West gewandert«, rühmt Morsch. »Wir haben die Chance genutzt, die der Neuanfang 1993 bot, indem wir die Gedenkstätten nicht nur vom ideologischem Ballast befreit haben, sondern konzeptionell auf ein völlig neues Niveau gehoben haben.« Allerdings habe dieser Prozess sehr lange gedauert und sei noch immer nicht abgeschlossen. Das liege sicherlich auch daran, dass in dem kleinen Bundesland Brandenburg mit Sachsenhausen und Ravensbrück gleich zwei große KZ-Gedenkstätten liegen.

Energisch wehrte sich Morsch gegen die Vorstellung, die Investitionen in die »Hardware« (Gebäude) seien abgeschlossen und es gehe jetzt nur noch um die »Software« (Personal). Dringend seien weiterhin Baumaßnahmen notwendig. Denn an einigen Stellen, die gemacht worden sind, beginnt es nun selbstverständlich wieder zu bröckeln.

60 Millionen Euro sind seit 1993 für Sanierung und Neugestaltung aufgewendet worden. Das mag viel klingen, gibt Morsch zu. Doch verweist er darauf, dass allein der Anbau des Deutschen Historischen Museums in Berlin 90 Millionen Euro gekostet habe. Auch verglichen mit dem Technikmuseum und den großen Kunstmuseen in der Hauptstadt seien die brandenburgischen KZ-Gedenkstätten »nach wie vor unterprivilegiert, obwohl sie von den Besucherzahlen her in der selben Liga spielen«. Trotz dieser Behandlung sind in den vergangenen 25 Jahren durch die Gedenkstättenstiftung immerhin 40 Dauerausstellungen erarbeitet, 150 Tagungen, Seminare und Konferenzen abgehalten und 90 Bücher veröffentlicht worden.

Lob hat der Direktor für den Bund, der zwei zusätzliche Pädagogenstellen bewilligt hat, und für Brandenburgs Finanzminister Christian Görke (LINKE), der hilft, wenn es der Stiftung nun darum geht, an ihrem Verwaltungssitz am Oranienburger Heinrich-Grüber-Platz die Ausstellung über die Inspektion der Konzentrationslager (IKL) zu erweitern. Das T-förmige Gebäude beherbergte von 1938 bis 1945 die IKL. Die Räumlichkeiten werden heute zu einem großen Teil vom hiesigen Finanzamt genutzt. Doch in einem Gebäudetrakt ist die Gedenkstättenstiftung zu finden - darunter im ehemaligen Büro von Theodor Eicke, der über alle Konzentrationslager herrschte, die im Oktober 2013 eröffnete Ausstellung über die IKL.

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