Leben und Lieben zwischen Büchern und Trümmern

Peter Walther versammelt bislang unveröffentlichte Erzählungen und Essays von Hans Fallada

  • Holger Teschke
  • Lesedauer: 3 Min.

Bücher können alles in diesem Leben geben: Menschenhass und Menschenliebe. Glück, Ruhm und Reichtum. Einsamkeit und Gemeinschaft. Freundschaft.« Das schrieb Hans Fallada 1934 in dem Essay »Warnung vor Büchern«, und er ergänzte: »Nur eines können sie nicht geben. Leben können sie nicht geben. Das müssen wir schon dazutun.« Das klingt wie ein vorläufiges Resümee nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Aber es klingt auch wie ein Auftrag an sich selbst zu Beginn einer Zeit, die das Leben Hans Falladas von Grund auf verändern und infrage stellen sollte.

Der Herausgeber und Fallada-Biograph Peter Walther hat jetzt neben Aufsätzen aus der Schriftstellerwerkstatt dreizehn unveröffentlichte Erzählungen versammelt, die diesen Band zu einer literarischen Entdeckung machen. Zusammen mit den bisher nur in Zeitschriften veröffentlichten Texten reichen die Fundstücke von ersten Prosaentwürfen aus den zwanziger Jahren bis zu Nachkriegsgeschichten, die Fallada für die »Tägliche Rundschau«, die Zeitung der Sowjetischen Militäradministration, schrieb. Sie handeln von jungen Liebenden und Haftentlassenen, von kleinen Kriminellen und Verkäuferinnen auf Abwegen und von seinen eigenen Erfahrungen mit Not und Gefängnis.

Nach dem Welterfolg von »Kleiner Mann - was nun?« im Jahr 1932 erinnert sich der Autor an Bücher, die ihn zum Schreiben gebracht haben, und erzählt von seinem Schriftstelleralltag im stillen Winkel von Carwitz. Diese Aufsätze bilden eine vorzügliche Überleitung zu den Erzählungen aus den Jahren zwischen 1933 und 1945, die während der Arbeit an den Romanen »Wir hatten mal ein Kind« und »Jeder stirbt für sich allein« entstanden. Hier erzählt Fallada mit deutlich autobiografischen Bezügen von den Ängsten, die ihn und seine Familie bis zum Ende des Krieges umtreiben. Die Sorgen über die Zukunft sind deutlich, die Kritik an den politischen Verhältnissen nur zwischen den Zeilen zu finden.

Zu den stärksten Texten gehören die Nachkriegserzählungen »Junge Liebe zwischen Trümmern«, »Unser täglich Brot« und »Die Bucklige«, in denen Fallada auch sprachlich zur Qualität seiner Romane zurückfindet. Sie erzählen vom Überlebenskampf der kleinen (und kleinsten) Leute in zerstörten Städten und Dörfern, von Zärtlichkeit und Hoffnung in einer Zeit voller Hunger und Brutalität.

An das Ende seiner Auswahl hat Peter Walther Aufsätze gestellt, die Fallada in seinen letzten Lebenstagen schrieb und in denen er auch an seine literarischen Ahnen von Defoe bis Hamsun erinnert. Zu den berührendsten gehört »Meine lieben jungen Freunde« von 1946, geschrieben im Krankenbett der Charité für seinen Sohn Uli und dessen Klassenkameraden. »Ich muss so schreiben, wie das Gesetz in mir ist, oder ich muss das Schreiben lassen. Und da ich das Schreiben nicht lassen will und werde, so muss ich mich hetzen, heute, morgen, wahrscheinlich werde ich mich noch als alter Mann hetzen, als Greis, immer werde ich Angst haben, ich werde nicht fertig.«

Hans Fallada war nicht fertig, als er mit 54 Jahren in Berlin starb - weder mit seinem Schreiben noch mit seinem Leben. Aber er hat Romane hinterlassen, die noch immer gelesen und verfilmt werden. Dass auch seine Erzählungen noch von erschütternder Gegenwärtigkeit sind, erzählt viel vom Zustand unserer Welt.

Hans Fallada: Junge Liebe zwischen Trümmern. Unveröffentlichte Erzählungen. Hg. von Peter Walther. Aufbau, 300 S., geb., 20€.

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