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  • Wale in Australien

»Oooor-caaaas auf ein Uhr!!!!«

Etwa 120 Orcas kommen im Winter an die Südküste Westaustraliens.

  • Stephan Brünjes
  • Lesedauer: 5 Min.
Gischt spritzt auf, wie ein Fallbeil hackt der Katamaran »Alison Maree« durch die kabbelige See, wippt dabei rauf und runter auf den Wellen. Kein stürmischer, aber ein eher ungemütlicher Tag in der Bremer Bay, 500 Kilometer südöstlich von Perth. Die gut 30 Teilnehmer des heutigen Walbeobachtungstörns stieren auf den Horizont, hoffen, dass ihre Reisetabletten bald wirken und den Kampf gegen die aus der Magengegend aufsteigende Übelkeit gewinnen mögen. Wer jetzt noch den Sitzplatz wechseln will, torkelt wie ein Volltrunkener, klammert sich dabei an Geländer und Türklinken. »Ja, ist schon ein bisschen Rock’n Roll gerade«, sagt Skipper Malcolm Bush. Er will schnell raus mit seinen Gästen ins Orcarevier, gut 65 Kilometer vom Bremer-Bay-Harbour entfernt.

Bis dorthin gibt es Bio-Unterricht im Zwischendeck: »Killerwale sind Muttersöhnchen - sie werden nicht nur zwölf bis 18 Monate von Muttermilch ernährt, sondern leben anschließend auch ihr Leben lang mit dem Muttertier zusammen«, erzählt Kirsty Alexander. Die Meeresbiologin beantwortet dann auch gleich, wie die sehr sozialen Tiere zu ihrem brutalen Namen kamen: Ausgerechnet die nicht zimperlichen Walfänger fanden die Jagdmethoden der Orcas brutal, nannten sie Killerwale, weil sie ihre Beute bis zur Erschöpfung aus tiefen Meeresregionen nach oben scheuchen und sie dort erlegen. Kirsty stellt nun vor, nach wem der Skipper gleich suchen wird - Fahndungsfotos mit Orcas, zu unterscheiden nur durch die meist senkrecht aus dem Wasser ragende, bis zu zwei Meter hohe Finnflosse - so markant wie ein Fingerabdruck. »Cookie« heißt der erste, weil seine Flosse wie ein angebissener Keks aussieht. A380 ist der nächste - die Finn ähnelt der Heckflosse des Riesenairbus. Es folgen noch »El Notcho« (hat eine Kerbe - englisch: notch - in der Flosse) und »Paintball«, der einzige Orca in diesem Revier mit einem weißen Fleck auf der Finn.

Etwa 120 Orcas wandern in fünf bis sechs Familienclans und im Drei-Generationen-Verbund, tauchen im Januar aus dem Nichts auf - vermutlich kommen sie aus der Antarktis. Warum, das wissen die Forscher nicht genau. Gibt’s um diese Jahreszeit besonders viel Nahrung in der Bremer Bay? Bringen sie hier bevorzugt ihren Nachwuchs zur Welt? Die bis zu acht Meter langen Tiere sind immer noch große Unbekannte, entdeckt 2005 von Kommissar Zufall - Filmemacher David Riggs, der eigentlich unterwegs für ein TV-Projekt über Thunfische war. Er gründete eine Stiftung, die die Wale und ihre Wanderungen erforschen soll. Bei jedem Törn des Expeditionsschiffs fließt ein Teil der Teilnehmergebühren ins Projekt. Meeresbiologen wie Kirsty Alexander wollen mit Messungen und Unterwasseraufnahmen, die anschließend für alle online gestellt werden, mehr über die Meeresriesen rausfinden. Auch die Passagiere werden gebeten, ihre, während des Törns entstehenden Videos und Fotos anschließend auf der Forscherwebsite einzustellen. Meist ist eine Finne drauf zu sehen, und so lassen sich die Bewegungsbilder von »Cookie«, »A380«, »El Notcho« und den anderen vervollständigen.

Damit die Bilder auch gut werden, gibt Keith Lightbody, ein pensionierter Lehrer und Profifotograf, Tipps für die Kameraeinstellungen: Ganz wichtig: schnelle Verschlusszeit von 1/1600 Sekunde oder höher, damit die Walbewegung auf den Fotos eingefroren wird. Und: vorher einen Punkt dort auf dem Wasser fokussieren, wo der Orca vermutlich aufsteigen wird. Er ist nur maximal eine Sekunde oberhalb der Wasserlinie. Wer ihn hier erwischen will, muss mit der Linse also bereits vor dem Wal am Auftauchpunkt sein. Ach ja, und ansonsten: Kamera unter die Jacke, sonst wird sie von der Gischt geduscht, rät der 63-Jährige.

Die meisten kauern jetzt an der Reling, die Kameras »schussbereit«, und warten auf Kommandos wie »Orca auf zwei Uhr«, um ihr Objektiv entsprechend etwas rechts von dem als Zwölf-Uhr-Marke definierten Schiffsbug zu drehen - in der Hoffnung auf hohe Wal-Beteiligung dort.

Doch heute schaut zunächst keine Finnflosse aus dem Wasser. Malcolm erklärt, dass er nach Ölflecken auf dem Wasser Ausschau hält, die sich dort bilden, wo die Wale dicht unter der Wasseroberfläche ihre Beute fressen - Fische mit öliger Haut. Auch auf der Stelle kreisende Vögel sind Anzeichen für Orcas, denn Möwen und Albatrosse erhoffen Fischreste. Auf der inzwischen ruhig gewordenen See von all dem keine Spur. Ben, ein weiteres Crewmitglied, lässt deshalb eine Drohne aufsteigen, versucht die Orcas so ausfindig zu machen. Beim Törn am Vortag seien sie alle noch hier gewesen, erzählt Kirsty - das klingt nun schon wie Pfeifen im Walde. Zwölf Uhr - nach vier Stunden immer noch keine Wale, aber dafür wissen die Touristen, dass Orcas bis zu 60 Kilometer schnell im Wasser unterwegs sind. Und wie Albatrosse, Blauhaie, Seelöwen, Delfine auf Fotos aussehen. Das nächste Tablett mit wirklich leckeren Wraps und kostenlosen Soft Drinks aus dem Kühlschrank findet nur noch mäßigen Anklang. Die Zeit der Schaumkronen-Fata-Morganas hat begonnen: Jeder meint nun, da vorne auf Position zehn Uhr oder steuerbords bei 16 Uhr im Meer eine Orcafinne gesehen zu haben.

Plötzlich ein Urschrei von der Brücke: »Oooor-caaaas auf ein Uhr!!!!« Skipper Malcom brüllt seine ganze Erleichterung heraus, dass er nach fünf Stunden vergeblichen Kreuzens nun sein Wal-Versprechen (»wir finden sie auf jeden Fall«) halten kann und kein Geld zurückzahlen muss. Behutsam bugsiert er das Schiff näher ran, aber die Tiere legen Wert auf einen Sicherheitsabstand von etwa 400 Metern. Delfinartig flippern sie an der Wasseroberfläche herum, chippen eine schaumige Bugwelle vor sich her. Kirsty entdeckt sogleich El Notcho und Cookie. Dutzende Kameraverschlüsse klacken, die ersten zeigen sich gegenseitig stolz ihre Schnappschüsse.

»Boah«, schallt es jetzt von Backbord, als einer der Orcas nah am Boot aus dem Wasser steigt wie ein Jumbojet mit Stummelflügeln und sich bäuchlings ins Meer klatschen lässt. Der schwarz-weiße Riese bleibt in Bootsnähe, prustet meterhohe Wasserfontänen in die Luft und duscht damit die Schaulustigen ab. Die herbeigeeilte Kirsty erkennt den Wasserspringer: »Das ist Paintball, der nähert sich oft alleine dem Boot und versucht, die Schiffscrew offenbar ganz gezielt von den anderen Walen wegzudirigieren.« Aber Malcolm - einmal auf der richtigen Spur - lässt sich nun nicht mehr foppen, verabschiedet sich erst nach einer Stunde von dieser Wal-Party, als jeder Passagier die besten Bilder auf dem Kamerachip hat.

Australisches Fremdenverkehrsamt in Deutschland:

Tel.: (069) 27400622
www.tourism.australia.com

Die Reise wurde von touristischen Veranstaltern unterstützt.

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