nd-aktuell.de / 24.02.2018 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 8

Diesellok mit Stromtender

Die Deutsche Bahn setzt im Regionalverkehr auf Hybridzüge - Softwareprobleme sorgen für Verzögerungen

Hans-Gerd Öfinger

Bei der Elektrifizierung des Eisenbahnnetzes ist Deutschland im internationalen Vergleich zurückgeblieben. Weite Landstriche sind nur mit Dieselzügen erreichbar. Der Ausbau von Oberleitungen für den Elektrobetrieb vollzieht sich im Schneckentempo. Doch die Klimakatastrophe drängt zur Umrüstung. Weil sie nicht auf bessere Zeiten warten wollen, setzen Fachleute der Deutsche-Bahn-Tochter DB Regio auf Hybridantriebe, die weniger CO2 und Lärm produzieren sollen.

Als Pilotprojekt für den raschen Umstieg dient das über 250 Kilometer lange Netz der Erzgebirgsbahn, die vom sächsischen Chemnitz aus das Umland bis in höhere Lagen des Erzgebirges erschließt. Hier rüsten die Techniker der DB Regio bis 2021 mit einem in Zusammenarbeit mit der TU Dresden, der TU Chemnitz und dem Fraunhofer-Institut IVI neu entwickelten Energieeffizienz-Modul die bestehende Flotte mit ihren 13 eingesetzten Triebwagen der Baureihe VT 642 zum »EcoTrain« um. Das Modul soll alle energierelevanten Informationen an Bord im Zusammenhang mit Fahrplan, Streckenführung und Topografie verarbeiten und die Energiezufuhr für Motoren, Klimaanlage und Beleuchtung steuern. So kann etwa die bei Bremsvorgängen gewonnene kinetische Energie in die Batterien fließen und für den Antrieb oder die Klimaanlage genutzt werden.

Nach Angaben des Geschäftsführers der Netztochter von DB Regio, Jürgen Dornbach, könnten allein bei der Erzgebirgsbahn die Schadstoffemissionen gegenüber reinen Dieseltriebfahrzeugen um bis zu 35 Prozent gesenkt werden. Damit ließen sich pro Jahr rund 1800 Tonnen CO2-Ausstoß vermeiden. Da die DB Regio bundesweit 600 Fahrzeuge dieser Baureihe im Einsatz hat, könnte das Vorbild der Erzgebirgsbahn rasch auch anderswo Schule machen, hofft Dornbach.

Der Start des »Ecotrain« wird sich wegen Schwierigkeiten mit einer Software jedoch um etwa zwei Jahre verschieben. »Wir hatten erhebliche Probleme bei der Erstellung der Stromlaufpläne«, wie Projektleiter Sören Claus der Nachrichtenagentur dpa am Freitag sagte. Demnach müssten in dem Fahrzeug unzählige Kabel und Leitungen über knapp 10 000 sogenannte Anbindungspunkte verdrahtet werden. Das zunächst verwendete Computerprogramm habe jedoch immer wieder Fehler ausgeworfen. Deshalb habe man die Reißleine gezogen. Für 2019 seien nun umfangreiche Testfahrten geplant, bevor 2020 dann mit der eigentlichen Zulassung zu rechnen sei. Bis 2021 sollen zunächst zwölf umgerüstete Hybridzüge bei der Erzgebirgsbahn auf die Schiene geschickt werden. Das Interesse am »Ecotrain« sei jedoch bundesweit groß, denn der Triebwagen der Baureihe VT 642 sei weit verbreitet und werde nicht nur von der Bahn eingesetzt.

Derzeit stellen für Bahntechniker rasselnde und rauchende Dieselloks und Triebwagen in den Bahnhofshallen großer Städte und auf Strecken in Ballungsgebieten eine besondere Herausforderung dar. Vielerorts bringen solche Züge Pendler aus entlegenen ländlichen Regionen auf Strecken ohne Oberleitungen in die Stadtzentren. Um hier Abhilfe zu schaffen und den Schadstoffausstoß zu senken, entwickelt die DB-Regio-Tochter Südostbayernbahn den neuen Zug mit der offiziellen Bezeichnung »Dieselelektrische-Multi-Engine-Train«. Gezogen wird er von einer Mehrsystemlok, die je nach Ausrüstung der Strecke von Diesel- auf Elektrobetrieb umgeschaltet werden kann. Dafür wird ein zusätzlicher Stromversorgungswagen angehängt, der über einen ausklappbaren Bügel die Energie aus der Oberleitung zieht und die Energie in einer Lithium-Ionen-Batterie speichert. Damit soll der Zug auch auf nicht elektrifizierten Bahnstrecken mit Strom fahren können. Der Dieselmotor an Bord dient dann nur noch als Unterstützung.

»Was früher für Dampfloks der Kohlentender war, ist heute für Dieselloks der Batterietender mit Stromabnehmer«, bringt es Dornbach auf den Punkt. Weniger Schadstoffe, Lärm und Ruß kämen Mensch und Umwelt zugute. Auf nd-Anfrage sagte der Bahnmanager, die Projekte seien als »Brückentechnologie« und nicht als dauerhafte Alternative zur weiteren Elektrifizierung gedacht.

DB Regio ist trotz geschrumpfter Marktanteile im umkämpften staatlich geförderten Schienenpersonennahverkehr mit Abstand Branchenführer geblieben. Dass man sich den Kopf über Hybridantriebe zerbricht, ist dem mit 60 Prozent vergleichsweise geringen Elektrifizierungsgrad des bundesdeutschen Schienennetzes geschuldet. In Österreich liegt der Wert bei 70 Prozent, in Belgien bei 85 und in der Schweiz sogar bei fast 100 Prozent. Die Verkehrsminister der Bundesländer drängen auf einen rascheren Ausbau auf mindestens 70 Prozent bis zum Jahr 2030.

Zu den wichtigen Abschnitten ohne durchgehende Oberleitungen gehören die Verbindungen Hamburg- Westerland (Sylt), Nürnberg-Hof, Mainz-Saarbrücken, Gießen-Koblenz sowie die traditionsreiche Mitte-Deutschland-Trasse auf dem Teilstück zwischen Weimar und Gößnitz. »In Schleswig-Holstein haben wir zwar viel Windstrom, aber ganz wenig elektrifizierte Bahnstrecken«, bringt der Kieler Landesverkehrsminister Bernd Buchholz (FDP) den Anachronismus auf den Punkt. »Ausgerechnet hier wird Diesel verbrannt, und nebenan werden die Windmühlen runtergeregelt, weil der Strom in den Netzen nicht gebraucht wird.« Kommentar Seite 2