nd-aktuell.de / 26.02.2018 / Kultur / Seite 16

Willkommen im Zirkus

Stefan Amzoll

Macheath geht um. Elegant gekleidet, in Kniestiefeln, wie sie Pferdetrainer tragen. Sein Messer zieht er nicht. Stattdessen klappt, grell eingekreist, ein Kopf durch den Vorhang, als wäre er ohne Rumpf. Der gehört der Ausruferin, die immer Goldregen wirft, bevor der nächste Coup der rivalisierenden Gangs in London abgeht. Die schöne Dame (Lisa Voß) singt die »Moritat von Mackie Messer« anders als gewöhnlich. Wörter und Silben des Textes fehlen, Pausen stehen dafür. Plötzlich schnippst eine weiße Hand durch das Loch, als wolle sie der Singenden an die Hals, wie in Krimis, wenn der Boss die Kinnlade des Verräters tätschelt, bevor er ihm an die Kehle geht. Untrüglich die Hand des Macheath. So beginnt der Reigen.

Reich ist die Aufführungsgeschichte des Stücks. Hunderte Modelle kamen in Umlauf, die »Dreigroschenoper« zu machen, so scheußliche wie ausgezeichnete. Hochartifiziell, auf raffinierte Effekte abgestellt ist etwa die Version des Bob Wilson am Berliner Ensemble. Sie ist seit Jahren im Spielplan. Eher volkstümlich hingegen die neue Fassung am Schauspiel Neustrelitz in der Regie von Rainer Holzapfel, der auch das Bühnenbild besorgte. Divers darin die Überraschungen und Einfälle.

Ein Ensemble spielt hier, das zubeißt, das wie die Typen im Zirkus lässig, virtuos, giftig daherkommt, eins, das die kriminellen Milieus genau adressiert. Die Rundbühne ist eine Art illuminierte Zirkusmanege. Sie dreht wie die Winde und Nebel in London. Die leicht schiefe Platte hält inne, wird der Mond besungen wie von gutherzigen Hunden, und sie dreht umso schneller, je kecker die Parteiungen um Peachum (Thomas Pötzsch) mit Eheweib, Pollys Eltern und Profiteure des Handels mit dem Bettlerunglück, und die Ganovengang unter Macheath ihre Pläne und kruden Weltbilder dem Publikum vorsetzen. Dabei bangen sie hinter jeder Ecke im Kampf gegeneinander um ihre Pfründe, ihren Einfluss, ihre Macht.

Die vier dick ausgepolsterten Ganoven, ob gerufen oder nicht, poltern wie die doofen Clowns. Bevor die Heirat von Polly und Machaeth in einer nicht näher gekennzeichneten Scheune besiegelt ist, klauen diese Feiglinge erst mal das Mobiliar aus wackligen Stühlen und Tischen hierfür. Es bricht folgerichtig zusammen, was zusammengehört. Die zarte Polly jedenfalls, als ihr Gatte, der fliehen muss, ihr die Macht überträgt, weiß sofort brutal mit dem Packzeug umzugehen. Sie führt nun die Geschäfte, aber die geraten in die Krise. Das Peachum-Kartell sorgt dafür.

Mackie kommt hinter Gitter. Seine Zelle in Gestalt einer Weltkugel baumelt gefährlich hin und her. Der Obergauner soll hängen, aber er kauft sich frei, rennt zu den Nutten. Lucy verrät den Aufenthaltsort, und er wird abermals gefasst. Die Szene am Galgen schenkt sich der Regisseur. Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Kaum sind die Glocken zu den Krönungsfeierlichkeiten verklungen, ist Macheath wieder Held und Ehrenmann. Wie es sich im Kapitalismus geziemt.

Einige Songs und Ensembles gefielen besonders (Szenenbeifall). Etwa der vom »Nein und Ja« (Barbara-Song), den die bei ihrer »Seeräuberjenny« noch etwas unsichere Josefin Ristau als Polly im in der Luft schwebenden Hochzeitsbett trefflich wiedergab. Welch Freude zudem, die Klamotten der Weiber anzuschauen (Kostüme Lisa Brzonkalla). Polly und Lucy (Anika Kleinke), Tochter von Londons Bullenchef Tiger Brown, der mit Macheath lieber Jugenderinnerungen besingt, als den Freund einzulochen, spazieren wie Puppen in Tüll und Spitzen. Nicht minder vergnüglich der Anblick der Garde der Nutten mit umgeschnallten Plastikbrüsten und ledernen Beinen. Sie erschrecken, als der Stammgast Macheath erscheint und den erstbesten Weibskörper an sich reißt.

Karin Hartmann als Celia Peachum, verschwistert mit allerlei Bettlerplünnen, gibt die folkloristische Kostümbombe nach Art der russischen Matroschkas, am Kinn der Fusselbart. Knarrich, rauchig ihre Stimme auch in der lässig-leichten Slapsticknummer mit Mann und Tochter im ersten Dreigroschenfinale (»Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so«). Jede der Choreografien von Gabriele Thomann stimmte. Beim »Kanonensong« mit Macheath und Brown überboten sich Alexander Mildner und Sven Jenkel in ihren Parts wechselseitig. Drastisch ausgestellt das »Eifersuchtsduett« mit Lucy und Polly, eine Mixtur aus Zank und Wut mit Posen aus dem Repertoire Verdi’scher Operndramatik.

Brecht/Weills »Dreigroschenoper« nach John Gay gehört noch immer zu den weltweit am meisten gespielten Stücken. Die Autoren und ihre Nachfahren haben sich damit reich gemacht. Brecht fuhr schon 1929 ein Cabrio. Oft ist gefragt worden, woraus diese ungeheure Wirkung resultiert. Die Antwort ist einfach: Das Stück ist - selbstverständlich - gut gemacht. Sex und Crime treiben darin ihre komischen Blüten. Die Songs faszinieren, weil sie den entsetzlichen Schmelz haben, den Kleinbürger und Banditen lieben, dessen Tonfälle jedoch sofort umkippen, sodass die Nummern je nach Situation falsch klingen, launig, kess, frivol, ohnedies markant und einprägsam. Jeder talentierte Bub kann solche Lieder nachpfeifen. Der Inhalt des Stücks ist kritisch, der Mensch ist darin nicht gut, und dauerhaft schwelt die Frage, warum er nicht gut ist, nicht gut sein kann.

Das Stück steht und fällt mit der Musik. Glaube keiner, die Partitur, zeitbedingt inspiriert von Jazz, Fox, Operngesten und Kirchenliedern, wäre leicht umzusetzen. Sie hat ihre Tücken. Zur Tugend gehört, gegen den Strich zu musizieren und zu übertreiben. Wehe, die Wiedergabe eines Songs verfehlt, was an Parodie und Witz, an Schamlosigkeit und falschen Gefühlen, an Mordsgestik und opernhaftem Getön in ihm steckt.

Die »Dreigroschenband« unter Frank Obermair begleitete nicht nur, sie nutzte die Gelegenheit, bei den Dreigroschen-Finali (und nicht nur dort) geradezu aufzutrumpfen. Weitgehend original wie zur Uraufführung 1928 im Berliner Theater am Schiffbauerdamm die Besetzung mit Klarinette, zwei Saxophonen, zwei Trompeten, Banjo alternierend mit Hawaii-Gitarre, Klavier und Harmonium (beide vom Dirigenten gespielt), dazu Bandoneon, Kontrabass, Pauke und Schlagzeug.

Die Musik spielt aus dem Orchestergraben. Außer im zweiten Dreigroschen-Finale. Da fährt die Plattform mit Flügel in der Mitte hoch, während Macheath, Frau Peachum und der Chor auf der Drehscheibe laufen und nicht vorankommen. Höchst eindringlich dies Arrangement. Zuletzt singen sie: »Denn wovon lebt der Mensch? Indem er stündlich/ den Menschen peinigt, auszieht, abwürgt und frisst./ Nur dadurch lebt der Mensch, dass er so gründlich/ vergessen kann, dass er ein Mensch doch ist./ Ihr Herren, bildet euch nur da nichts ein:/ Der Mensch lebt nur von Missetat allein.«

Nächste Vorstellung am 3. März