Kein Platz für Nazis

Erklärung des Betriebsrats im Daimler-Werk Untertürkheim zur rechten Gruppierung »Zentrum Automobil«

  • Lesedauer: 8 Min.

Seit langem sind uns die von Oliver Hilburger selbst eingeräumten Vorwürfe bekannt, nach denen er Mitglied der Neonazi-Rockband »Noie Werte« war. Aufgrund dessen und der gewaltverherrlichenden, verfassungsfeindlichen Texte der Gruppe musste Hilburger 2007 auf Druck als Betriebsrat zurücktreten. Zudem enthob ihn das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg 2008 des Amtes als ehrenamtlicher Arbeitsrichter. Die Amtsenthebung wurde anschließend sogar vom Bundesverfassungsgericht bestätigt.

In einer öffentlichen Erklärung von 2010 hatte Oliver Hilburger dazu geäußert, er bezeichne sich selbst nicht als »Rechtsradikaler« und verwies dabei auf eine »widersprüchliche und irritierende Situation in seiner Biografie als junger Erwachsener«.

Der Text

Rechtspopulisten und Rechtsextremisten versuchen nicht nur in Parlamenten, sondern in allen Bereichen der Gesellschaft Fuß zu fassen – nicht zuletzt ermutigt und unterstützt durch die Wahlerfolge der AfD. Deren Bestreben ist es, sich in den Gewerkschaften und Beschäftigtenvertretungen zu etablieren. Einerseits werden so genannte alternative Organisationen gegründet, andererseits kandidieren rechte Gruppen bei Betriebsratswahlen.

In den nächsten Tagen geschieht das beispielsweise bei der Betriebsratswahl im Daimler-Werk Untertürkheim. Bereist vor vier Jahren erreichte dort die rechte Gruppe »Zentrum Automobil« fast zehn Prozent und damit vier von 45 Mandaten. Nun kandidiert die Gruppierung wieder; die große Mehrheit des Betriebsrats nahm dies zum Anlass, um auf die Verbindungen einiger Kandidaten weit in die rechtsextreme Szene zu verweisen und sich von jeder Form des Neofaschismus und der Fremdenfeindlichkeit zu distanzieren (»neues deutschland« berichtete am 23. 2. 2018 darüber).

Wir dokumentieren hier die Erklärung der Betriebsratsmehrheit vom 20. Februar.

Die aktuelle Berichterstattung in den öffentlichen Medien zeigt uns demgegenüber aber ein anderes Bild. Im deutlichen Gegensatz zu seinen früheren Beteuerungen fällt Oliver Hilburger spätestens seit dem vergangenen Jahr durch zahlreiche öffentliche Auftritte und Aktivitäten am rechten Rand und mit intensiven Kontakten in die rechtsextreme Szene auf.

- So berichtete die »Stuttgarter Zeitung« am 4. Dezember 2017 von einer Zusammenarbeit zwischen Oliver Hilburger mit dem AfD-Rechtsaußen Björn Höcke, dem Pegida-Gründer Lutz Bachmann und Jürgen Elsässer, dem Chefredakteur des rechtsextremen »Compact-Magazins«. Auf einer gemeinsamen Konferenz stellte Hilburger das Daimler-Werk Untertürkheim als Ausgangspunkt für eine bundesweite Ausdehnung von Rechtsextremen in Betriebsräten dar. Man öffne damit »eine neue Front zur nationalen und sozialen Befreiung des Volkes«, hieß es bei der Veranstaltung.

Schon Anfang Mai 2017 berichteten mehre Medien über einen gemeinsamen Auftritt von Jürgen Elsässer und Oliver Hilburger, als dieser als Betriebsrat des Daimler-Werkes Untertürkheim bei einer Kundgebung der AfD in Zwickau auftrat.

Anfang November 2017 dann berichten zahlreiche Medien über eine Ladung von Oliver Hilburger vor einen Untersuchungsausschuss des Landtages. Anlass war seine frühere Zugehörigkeit zur Neonazi-Rockgruppe »Noie Werte« und seine Aktivitäten und Kontakte. Dabei ging der Untersuchungsausschuss der Frage nach, welche Zusammenhänge es zwischen der Neonazi- und Skinhead-Musikszene in Baden-Württemberg und der rechtsextremen terroristischen Organisation NSU und deren Morde und Verbrechen gab und welche persönliche Kontakte bestanden (»Stuttgarter Zeitung« online, 6. 11. 2017; »Waiblinger Zeitung«, 7. 11. 2017; »Stuttgarter Nachrichten«, 7. 11. 2017, und weitere).

Es ist bezeichnend, dass selbst in der AfD Oliver Hilburger wegen seiner Vergangenheit umstritten ist und als zu rechtsextrem angesehen wird. Medienberichten zufolge wurde ein Beitrittsantrag von Hilburger von der AfD Rems-Murr 2015 abgelehnt (»Waiblinger Kreiszeitung«, 29. 8. 2017). »Wir sind keine politische oder soziale Resozialisierungseinrichtung für Leute, die irgendwann einmal früher Probleme gehabt haben«, so der AfD-Bundestagsabgeordnete Jürgen Braun zur Ablehnung des Aufnahmeantrages von Hilburger, weil dieser als zu rechts eingestuft wurde (Deutschlandfunk, 12. 1. 2018).

Neben Oliver Hilburger waren und sind aber auch andere Betriebsrats-Mitglieder der Liste Zentrum und Mitglieder des Vereins »Zentrum Automobil« in den zurückliegenden Monaten Gegenstand von Berichterstattungen öffentlicher Medien.

So berichten Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten darüber, dass Hans Jaus von der Liste Zentrum vorgeworfen werde, lange Zeit »Bundesschatzmeister« der 1994 verbotenen »Wiking-Jugend« gewesen zu sein, einer eindeutigen Neonaziorganisation. Er habe die Konten der Neonazis verwaltet und den »Gaubereich Schwaben« geführt. (stz-online, 27. 1. 2018). Heute kümmere sich Jaus um die Finanzen von »Zentrum Automobil« und kandidiert auf Platz 3 der neuen Liste »Zentrum« zur Betriebsratswahl.

Weiter wird berichtet, dass Thomas Scharfy, Platz 5 auf der neuen Liste »Zentrum« zur Betriebsratswahl, in den 90er Jahren die Mailbox »Empire BBS« des »Thule-Netzes« betreut habe, über welches sich Neonazis aus dem ganzen Bundesgebiet ausgetauscht hätten. Unter dem Motto »Mailboxen unterstützen die Vernetzung des Nationalen Widerstandes«, habe das braune Blatt »NSKampfruf« 1995 die Mailbox aus dem Rems-Murr-Kreis beworben. Scharfy sei heute Vorstandsmitglied und Webmaster von »Zentrum Automobil« (»Stuttgarter Nachrichten«, 2. Dez. 2017)

Gegen »die da oben«
Rechte Gruppen wollen sich zunehmend an den bevorstehenden Wahlen der Beschäftigtenvertretungen beteiligen. Von Robert D. Meyer

Sascha Woll, Kandidat auf Platz 14 der neuen Liste zur Betriebsratswahl, wird in Presseartikeln vorgeworfen in den 90er Jahren Mitglied der Skinhead-Truppe »Kreuzritter für Deutschland« gewesen zu sein. Woll sei mit einer ehemaligen NPD-Funktionärin verheiratet, die vor dem NSU-Untersuchungsausschuss im Juni 2017 von Treffen mit anderen »nationalen Familien« berichtet habe, wie sie es ausgedrückt habe. Mit »Heil Euch« habe man sich internen Nachrichten gegrüßt. Empfänger solcher Nachrichten seien mehre Mitglieder von Zentrum Automobil, darunter auch Oliver Hilburger gewesen. (stz-online, 26. 1. 2018)

Auch Rico Heise, Kandidat auf Platz 78 der neuen Liste zur Betriebsratswahl, sei vor den NSU-Untersuchungsausschuss geladen worden, heißt es in der Berichterstattung. Er habe dort eingeräumt seit seinem 16. Lebensjahr Rechtsrockkonzerte besucht zu haben und sei von den Abgeordneten zu seinen Kontakten in der Neonazi-Szene befragt worden. (stn-online, 22. 9. 2017) Mittlerweile hat der NSU-Untersuchungsausschuss im Landtag gegen ihn Strafanzeige wegen falscher uneidlicher Aussage gestellt (Stuttgarter Nachrichten, 18. 12. 2017).

Zuletzt nun berichteten die Fernsehsendung »Report Mainz« und das Magazin »Stern« am 30. Januar 2018 unter anderem darüber, dass Andreas Brandmeier, Kandidat auf Platz 6 der neuen Liste zur Betriebsratswahl und offenbar bisheriger Vorsitzender der Organisation »Zentrum Automobil« per Mail Bilder mit Hakenkreuz und der Inschrift »Der deutsche Gruß heißt Heil Hitler« verschickt habe.

Aufgrund ihrer Recherchen zitieren die »Stuttgarter Nachrichten« in ihrer Ausgabe vom 27. 1. 2018 den Landtagsabgeordneten Hans-Ulrich Sckerl mit dem zusammenfassenden Fazit, dass »fast der komplette Zentrum-Vorstand« aus Personen bestehe, die »sich in der Vergangenheit rechtsextremistisch oder neonazistisch betätigt haben sollen.«

Die seit Wochen andauernde negative öffentliche Berichterstattung über »Zentrum Automobil« und deren Betriebsräte hat mittlerweile dem Ruf und dem Ansehen der Arbeitnehmervertretung und der Belegschaft in der Öffentlichkeit erheblich Schaden zugefügt.

Das Werk Untertürkheim erscheint in den Medien mittlerweile als ein Sammelbecken für Neonazis und ein Zentrum rechtsextremer Umtriebe. Der Betriebsrat hat sich deshalb in seiner Sitzung am 20. Februar 2018 ausführlich mit den Vorgängen beschäftigt. Dabei ging es vor allem um die gegenwärtigen Vorgänge und die aktuellen, heutigen Kontakte von Oliver Hilburger und seinen Kollegen in die rechtextreme Szene. Eine direkte Auseinandersetzung mit den angesprochenen Betriebsräten war dabei nicht möglich. Statt zu den Presseberichten Stellung zu nehmen und sich im Betriebsrat darüber auseinanderzusetzen, blieben sämtliche Betriebsräte der Liste »Zentrum« einschließlich eventueller Ersatzmitglieder der Sitzung fern. Der Betriebsrat kritisiert, dass es damit bis heute von Seiten der Betriebsräte der Liste Zentrum keine klare Aussage und Distanzierung gibt.

Der Betriebsrat hat in den vergangenen Jahren und Monaten erfolgreich für die Zukunft des Werkes Untertürkheim und die Beschäftigung am Standort gearbeitet. Mit Unterstützung aus der Belegschaft konnte der Betriebsrat in vielen Themen Vereinbarungen im Interesse aller Kolleginnen und Kollegen erzielen. In all diesen Fällen wurden die Aktivitäten des Betriebsrates durch ein sehr positives Medienecho begleitet und der Mercedes-Benz Standort Untertürkheim und seine Belegschaft haben in der Öffentlichkeit an Ansehen gewonnen.

Nun aber fügen die rechtsextremen Aktivitäten und die Verstrickungen in neonazistische Taten und Organisationen und die öffentliche Berichte darüber der Arbeitnehmervertretung und der Belegschaft erheblichen Schaden zu und gefährden somit auch unsere Arbeitsplätze. Das ist nicht hinnehmbar.

Offenbar soll der Standort Untertürkheim mit Hilfe der Betriebsratsmandate der Liste Zentrum zu einem rechtsextremen Vorzeigeprojekt mit bundesweitem Vorbildcharakter ausgebaut werden. Gegen einen solchen Missbrauch der Betriebsratsmandate für rechtsradikale Zwecke und Ziele verwahrt sich der Betriebsrat des Werkes Untertürkheim mit aller Entschiedenheit.

Wir halten für uns fest:

(1) Der Betriebsrat distanziert sich strikt von allem rechtsradikalen und neonazistischen Gedankengut und den Aktivitäten einzelner Mitglieder in diesem Zusammenhang und kritisiert eindeutig die Haltung aller, die keine klare Position gegen Rechtsextremismus und Neonazismus einnehmen und sich nicht eindeutig zu den demokratischen Grundwerte bekennen.

(2) Im Werk Untertürkheim arbeiten Kolleginnen und Kollegen aus mehr als 50 verschiedenen Nationen. Der Betriebsrat ist die gewählte pluralistische und demokratische Interessenvertretung aller Kolleginnen und Kollegen an unserem Standort unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Nationalität, Herkunft, Abstammung, Religion oder Alter. Deshalb lehnen wir jegliche rassistische, diskriminierende und herabwürdigende Aussagen ab. Wenn auf Veranstaltungen von »Zentrum Automobil« Einwanderer als »Lumpenpack« und »Schmarotzer« bezeichnet werden oder wenn im Umfeld von »Zentrum Automobil« türkischstämmige Kolleginnen und Kollegen als »Kümmelhändler« oder »Kameltreiber« verunglimpft werden, fordern wir eine unmissverständliche Distanzierung und Entschuldigung.

(3) Personen, die durch die Verwendung von Hakenkreuzen oder anderen Nazi-Symbolen zu verstehen geben, dass sie noch immer offene Sympathien für das nationalsozialistische Regime und deren Verbrechen hegen, dürfen in unserer Arbeitnehmervertretung keinen Platz haben. Wir erwarten von Mitgliedern des Betriebsrates - und solchen, die es werden wollen - eine klare Distanzierung von solchem Gedankengut und solchen Handlungen.

(4) Wir fühlen mit den Familien und Freunden der ermordeten Opfer der Terrorgruppe »NSU« und hoffen, dass die Täter juristisch vollständig zur Rechenschaft gezogen werden. Angesichts der Morde und Verbrechen des »NSU« halten wir es für beschämend, wenn im Zusammenhang mit dem Betriebsrat im Werk Untertürkheim über mögliche Kontakte zum Umfeld des »NSU« berichtet wird und kritisieren die Art und Weise, wie Einzelne als Zeugen gegenüber dem NSU-Untersuchungsausschuss des Baden-Württembergischen Landtages aufgetreten sind.

(5) Unsere Betriebsratsarbeit dient den Belangen und Interessen unserer Belegschaft. Dafür ist eine konstruktive Zusammenarbeit aller Betriebsräte notwendig. Wir kritisieren alle Versuche, die Arbeit des Betriebsrates am Standort Untertürkheim für außerbetriebliche, fremde politische Zwecke zu missbrauchen. Weder das Werk Untertürkheim noch der Betriebsrat dürfen zum Spielball von rechtsextremen Politikern werden, die meinen, auf dem Rücken der Belegschaft einen »außerparlamentarischen Widerstand« organisieren oder eine »nationale und soziale Befreiungsfront« aufbauen zu können.

Wir werden auf Basis dieser Grundsätze und Bewertungen sowohl unsere Belegschaft informieren als als auch auf Anfragen der öffentlichen Medien zu den Vorgängen und Vorwürfen Stellung nehmen.

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