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Wem nutzt eine Abschaffung der 50+1-Regel?

Investorenfußball oder nicht: Die Debatte um die Mehrheitsverhältnisse bei deutschen Klubs ist unübersichtlich und wird emotional geführt

Christian Müller ist ein leidenschaftlicher Verfechter der 50+1-Regel, die den Einfluss von Investoren auf den Bundesligafußball begrenzt. Doch für den ehemaligen Geschäftsführer des Ligaverbandes DFL steht fest, dass die Klausel bedroht ist. »Es gibt ja ganz offensichtlich einflussreiche Kräfte im deutschen Fußball, die die Gelegenheit nutzen wollen, die Regel komplett abzuschaffen und die Liga für Investoren zu öffnen«, sagt er.

Tatsächlich deuten Aussagen aus der DFL-Spitze darauf hin, dass längst Vorkehrungen getroffen werden, um 50+1 komplett zu beerdigen oder weiter aufzuweichen. Beim Neujahrsempfang der Deutschen Fußball Liga forderte Geschäftsführer Christian Seifert mehr Anstrengungen, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Spitzenklubs zu erhöhen. Es gelte, so Seifert, die Diskussion »offen zu führen und sich dabei nicht mit Fragen aufzuhalten, ob jetzt ein Scheich oder ein Russe als Investor kommt.«

Befürworter von 50+1 fragen sich nun, warum die DFL ein System hinterfragt, das noch vor gut drei Jahren mit einem 36:0-Votum von den Klubs modifiziert wurde - auch um einen Schlusspunkt hinter die Diskussionen zu setzen und den Kerngehalt der Regel zu retten. Mit einer Zusatzregel sollte gewährleistet werden, dass Investoren wie Hannovers Präsident Martin Kind Anteilsmehrheiten übernehmen dürfen, sofern sie ihren Verein über 20 Jahre dauerhaft und erheblich unterstützen. Doch Kind scheint bislang nicht genügend Geld investiert zu haben, damit das bei Hannover 96 greift. ProFans artikuliert am deutlichsten, was auch einige Manager vermuten: »Das Problem von Martin Kind, der selbst aufgrund ungenügender Förderung keine Ausnahmegenehmigung für sich bekommen hat, ist nun zum Problem aller geworden«, schreibt das Fanbündnis.

Die Verbände stecken in einem Dilemma. Weil sie in der Vergangenheit Hoffenheim, Leipzig, Leverkusen oder Wolfsburg einen Ausnahmestatus zugesprochen haben, sind sie angreifbar geworden, - auch juristisch. Um einen langwierigen Rechtsstreit zu vermeiden, über dessen Ausgang die Juristen streiten, wird nun in der Liga eine Zwischenlösung diskutiert. Ziel ist sicherzustellen, dass keine Heuschrecken schnelle Renditen machen, dass Klubs nicht an andere Standorte versetzt oder Vereinslogos dem Corporate Design einzelner Unternehmen angepasst werden können.

ProFans wähnt den Ligaverband trotz solche Kompromissvorschläge auf einem Feldzug gegen 50+1. Die DFL habe vor, »eine Meinungshoheit herzustellen, um erst dann, wenn die Stimmung zugunsten einer Modifizierung gekippt ist, selbst aus der Deckung zu kommen.« Das mag etwas dick aufgetragen sein, doch der Eindruck, dass 50+1 zur Disposition steht, eint alle Fankurven, die Woche für Woche Transparente für die Beibehaltung der Regel hissen. Das Ganze, schreibt ProFans, sei »definitiv der sportpolitisch wichtigste Kampf in der nahen Zukunft für alle Fans.«

Der Ton wird rauer. »Unterstellungen, wonach die DFL bereits im Vorfeld des Diskussionsprozesses heimlich an einer Neuregelung der 50+1-Regel arbeite, entbehren jeder Grundlage«, erwidert ein DFL-Sprecher. »Damit soll offensichtlich Stimmung gemacht und die vom neunköpfigen DFL-Präsidium einstimmig beschlossene Grundsatzdebatte noch vor ihrem Beginn diskreditiert werden«. Im April treffen sich die 36 Bundesligisten, um über die Zukunft der Regel zu sprechen. Längst nicht alle haben eine so klare Haltung wie Kind oder Christian Streich. Freiburgs Coach betont immer wieder, 50+1 sei »ein wichtiger Grund, warum wir noch ein bisschen Glaubwürdigkeit haben.« Ein Verein gehöre »den Menschen und Mitgliedern, die sich mit ihm identifizieren.« Mönchengladbachs Manager Max Eberl äußert sich ähnlich: »Die Frage ist, ob man das will, dass einem Herr Sowieso von Firma XY nach einem verlorenen Spiel das Messer an den Hals hält oder sagt, dass wir einen Spieler verkaufen müssen. Ich möchte da nicht hinkommen. Ich möchte selbst- und nicht fremdbestimmt sein.«

So sieht es auch Christian Müller, der sich wundert, dass viele Vereine nicht offen opponieren: »Alle Klubs, die in den kommenden Monaten keinen Widerstand gegen die Aufweichung der 50+1-Regel leisten, müssen wissen: Sie werden entweder von weniger prinzipientreuen Konkurrenten überflügelt oder sie müssen mitmachen.« Zumal der Debatte von den Befürwortern offen formulierte und für die Mehrheit der 36 Klubs überzeugende Argumente für eine Investorenliga bislang fehlen. Klar, Martin Kind möchte gerne Hannover 96 übernehmen, schlecht geführte Dauerkrisenklubs liebäugeln mit einem Geldregen, es könnten höhere Spieler- und Beraterhonorare gezahlt werden. Das sind Interessen Einzelner, aber worin liegt der Gewinn des Gesamtproduktes Profifußball?

Dass plötzlich lauter Bundesligisten zu den besten Teams im Europapokal gehören würden, glaubt jedenfalls kaum jemand. »So lange Real Madrid und der FC Barcelona als eingetragene Vereine so erfolgreich sind, kann es nicht am Gesellschaftskonstrukt liegen«, sagt beispielsweise Hans-Joachim Watzke und befürchtet: »Die Fans würden die Zeche zahlen.« Eintrittspreise würden steigen, TV-Abos könnten noch teurer und die Zersplitterung der Spieltage fortgesetzt werden. Schließlich wolle ein Investor ja Rendite, sagt der BVB-Chef.

Borussia Dortmund würde die Kontrolle über das operative Geschäft demnach ebenso wenig verscherbeln wie der FC Bayern, der zwar für eine Abschaffung von 50+1 ist, aber nur »damit endlich diese Diskussion aufhört«, wie Präsident Uli Hoeneß versichert. Da beim Rekordmeister 70 Prozent der Mitglieder einem Verkauf zustimmen müssten, bevor ein Investor eine Stimmmehrheit übernimmt, würde an der Säbener Straße auch ohne 50+1 alles beim Alten bleiben, argumentieren die Münchner.

Weder die Bayern noch der BVB würden also nach einer Modifizierung in neue Dimensionen vorstoßen. Und mit Leverkusen, Leipzig, Hoffenheim und Wolfsburg sind bereits jetzt vier weitere Klubs mit europäischen Ambitionen von der Regel ausgenommen. Es sind also eher Mittelklassevereine wie Köln, Bremen oder Frankfurt, die von Investoren übernommen werden würden. Dass diese dann zu Manchester City oder Paris St. Germain aufschließen, den Bayern ihren Meistertitel streitig machen oder den nächsten Neymar verpflichten, ist schwer vorstellbar.

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