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Stundenlang Aug in Aug

Für Twilight Imperium braucht es viel Kondition und strategisches Denken

  • René Gralla
  • Lesedauer: 4 Min.

Sitzfleisch ist offenbar angesagt im Twilight Imperium, jedenfalls gibt der Verlag für die Partien eine Mindestdauer von sechs Stunden an ...

... und das ist eine sehr optimistische Schätzung. Nach meiner Erfahrung müssen für Matches, die relativ flott ablaufen, zwischen neun und zehn Stunden einkalkuliert werden. Meine längste Partie verlief übrigens so: Sie startete um 12 Uhr mittags und war um 3 Uhr morgens am Folgetag immer noch nicht entschieden. Da mussten wir unterbrechen, weil alle schlicht übermüdet waren.

Konrad Dreier

Wer bisher geglaubt hat, dass Schachpartien echte Geduldsproben sind, der war noch nie Zaungast bei einer Session Twilight Imperium. Das Strategiespiel, in dem mehrere Teilnehmer um die Kontrolle über ein fremdes Milchstraßensystem kämpfen, verlangt von den Aktiven eine gute Kondition und Sitzvermögen. Einer der Aficionados, die das alles als Herausforderung genießen, ist der 38-jährige Hamburger Konrad Dreier. Von dem Mann im Twilight, hauptberuflich Controller in einer Fotofirma, lässt sich nd-Autor René Gralla für die Entdeckung der Langsamkeit am Brett begeistern.

Das ist ja Wahnsinn. Gibt es denn auch zwischendurch schon Hänger, wenn sich die Sache etwa bloß noch mühsam voranschleppt?

Nein. Zumal du dann, falls du gerade nicht am Zug bist, während ein anderer seine Einheiten bewegt, heftig mitfieberst und die Daumen drückst. Denn vielleicht könnte ja der Betreffende demnächst zu deinen Verbündeten zählen. Du merkst nicht, wie die Zeit verfliegt - bis sich irgendwann der Hunger einstellt, es draußen dunkel wird und eben die Augen zuklappen.

Eigentlich soll ja heutzutage einerseits alles schneller werden, wie wir dauernd hören. Andererseits formiert sich dagegen allmählich Widerstand, etwa die Slowbewegung, die für Entschleunigung wirbt. Ist Twilight Imperium dazu das passende Spiel?

Ich weiß nicht so richtig. Aber Menschen, die einfach mal einen Tag frei nehmen, um sich mit Gleichgesinnten in eine ferne Zukunft zu versetzen, und die glasige Augen kriegen beim Gedanken an epische Abenteuer im Weltraum, die sollten hier unbedingt zugreifen.

Dass ein Match nicht ruckzuck entschieden ist, liegt wohl vor allem am umfangreichen Regelwerk: ein Kompendium von mehr als vierzig Seiten. Wie kriege ich das drauf?

Halb so wild. Werden Ihnen die wichtigsten Aktionen von einem erfahrenen Spieler erklärt, können Sie schon nach einer Stunde loslegen - und für Zweifelsfragen haben selbst Profis das Regelbuch immer griffbereit neben dem Brett liegen. Aber ich gebe zu: Als ich Twilight Imperium zum ersten Mal in einem Laden entdeckte, stellte ich das umgehend wieder zurück ins Regal. Denn ich dachte, das wäre bloß etwas für totale Nerds.

Da gab es einen zweiten Anlauf.

Ja, der startete bei einem Freund, der zeigte mir, wie alles funktioniert, und seitdem gehört das Spiel zu meinen Favoriten. Ich mag den Wettkampf in einer anregenden Runde mit Freundinnen und Freunden sehr. Das ist anders, als nächtelang am Computer zu zocken.

Aber das Szenario würde sich doch auch für ein bildgewaltiges E-Game eignen, oder?

Nicht unbedingt. Ließe sich Twilight Imperium aus einer Ich-Perspektive programmieren, zum Beispiel wie der Kapitän eines Raumschiffs das Geschehen sehen würde, könnte eine digitale Version vielleicht sogar überlegen sein. Aber Twilight Imperium ist ein strategisches Spiel, auf der Basis einer Karte, die einen Abschnitt eines fiktiven Universums widerspiegelt. Das käme recht spröde rüber am Bildschirm.

Das zeigt, dass Old-School-Brettspiele im Vergleich mit modernen E-Games durchaus punkten können.

Genau, und zwar auch inhaltlich. Bei Twilight Imperium müssen Sie Bündnisse schließen und mit Verrat rechnen, Gegner arbeiten mit Bestechung oder Erpressung usw. Entsprechend wichtig sind die intensiven Kommunikationsprozesse, die am Brett ablaufen. Dieser ständige Dialog, übrigens auch mit nonverbalen Mitteln, wie einer drohenden oder einfältigen Miene, macht das Spiel zum Nonplusultra, was Spannung und strategische Tiefe betrifft.

Gibt es aber nicht auch da viele Wiederholungen?

Jeder Partieablauf ist weitgehend einzigartig. Und das alles lebt vom direkten Kontakt Face-to-Face, der aus meiner Sicht ohnehin zu einem echten Spiel gehört und den, zumindest für mich, kein Chat via Skype während eines Multiplayer-Onlinegames ersetzen kann. Eine Headset ist eben bloß ein dürftiger Ersatz dafür, dem Kontrahenten direkt ins Gesicht zu sehen.

Ist das nicht unangenehm, wenn der Freund dir demnächst in den Rücken fällt oder auch umgekehrt?

Ja, im Verborgenen werden gerne die Dolche gewetzt. Du musst einstecken können und zugleich Spaß daran haben, deinerseits kräftig auszuteilen.

Da kommen ja die besten untergründigen Seiten des Menschen raus!

So ungefähr! (lacht)

Führt das auch mitunter zu viel Geschrei oder gar ernsteren Streitereien?

Das habe ich noch nie erlebt. Es ist eben ein Spiel, meist unter Freunden. Es gibt natürlich Unmut, auch Rachegelüste keimen und werden ausgelebt. Vor dem Wettkampf hast du jemanden für einen Netten gehalten und plötzlich fällt er dir in den Rücken, das ist nicht ganz ohne. Bei Twilight Imperium kannst du eine sprichwörtliche Erkenntnis bestätigt finden: Über Jahre lernst du einen Menschen nicht so gut kennen wie nach nur einer einzigen Stunde am Spielbrett.

Infos bei: www.asmodee.de

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