nd-aktuell.de / 10.03.2018 / Kultur / Seite 19

Der Shakespeare der Science-Fiction

Das Schaffen der Pop-Ikone Philip K. Dick wird nicht nur von Hollywood verfilmt

Florian Schmid

Philip K. Dick ist nach wie vor schwer angesagt. Denn von keinem anderen Science-Fiction-Autor wurden im Lauf der letzten Jahrzehnte und werden auch aktuell so viele literarische Stoffe filmisch umgesetzt wie von dem schon vor 36 Jahren verstorbenen Kalifornier. Sein voluminöses Werk mit über 100 Erzählungen und mehr als 40 Romanen erweist sich als wahre Goldgrube für die Filmindustrie, die derzeit so viele Science-Fiction-Produktionen auf den Markt bringt wie seit den 1980ern nicht mehr, als die letzte große Sci-Fi-Welle, ausgelöst von Star Wars, in die Kinos flutete. Mittlerweile bringt aber nicht mehr nur Hollywood einen hochkaratig besetzten futuristischen Blockbuster nach dem anderen heraus. Mehr und mehr sind es Streamingplattformen, allen voran Amazon und Netflix, die Science-Fiction im Serien- und Spielfilmformat unter die Leute bringen und das Genre damit auch bereichern. Amazon hat bereits zwei eigene Serienproduktionen mit Verfilmungen von Philip K. Dick herausgebracht.

Der 1929 geborene Autor, den der marxistische Literaturtheoretiker Frederic Jameson einmal als »Shakespeare der Science-Fiction« bezeichnete, fungiert heute ebenso wie in der Sci-Fi-Welle vor dreißig Jahren als stilbildende und ideengebende Ikone. Woran liegt das eigentlich, dass Dicks Stoffe in einem Genre, das immer auch eine gesellschaftskritische Funktion hat und als Spiegel aktueller gesellschaftspolitischer Debatten fungiert, über so lange Zeit solche Aktualität besitzen? Welchen politischen, sozialen und kulturellen Gehalt haben Dicks Erzählungen und Romane, die derzeit ökonomisch erfolgreich über die Großbildleinwände der Filmpaläste und über die Bildschirme der Heimkinos flimmern? Und wie werden sie in den Filmadaptionen umgesetzt?

Philip K. Dick scheint einen Nerv zu treffen mit seinen stilistisch einfach geschriebenen und dennoch immer wieder brillant auf den Punkt gebrachten Geschichten über Angestellte, die plötzlich mit außergewöhnlichen Phänomenen konfrontiert werden und in krisenhaften Szenarien ums nackte Überleben kämpfen müssen. Das war damals in den 1950ern neu. Statt Helden stellte Dick einfache Menschen ins Zentrum seiner Geschichten. Aber er schrieb auch schon sehr früh über künstliche Intelligenzen und über Androiden. Immer wieder stellt sich bei ihm die Frage, wo die Wirklichkeit aufhört und wo der fantastische Abgrund anfängt, an dessen Rand Dicks kleinbürgerliche Anti-Helden von einem Moment auf den anderen stehen. Welche Rolle spielen Staat und Ökonomie in der Zukunft?

Die dystopischen Welten, durch die Dick seine Figuren irren lässt, werden oft von autoritären und faschistischen Systemen beherrscht. Er beschreibt auch postatomare Gesellschaften, die in quasi vorzivilisatorische Zustände zurückfallen oder mit brutalen Herrschaftstechniken zu kämpfen haben. Damit formulierte Dick zentrale kollektive Ängste der 1950er und 1960er Jahre aus. Nicht selten haben sich in seinen Geschichten die Technologien verselbstständigt und sind zu einem blind sich selbst reproduzierendem Gefüge geworden, das rigoros Gewalt gegen Menschen ausübt. In Science-Fiction-Kreisen wurde Dick mit seinen Geschichten bald berühmt, aber über dieses Genre-Getto kam er zu Lebzeiten nie hinaus.

Kurz bevor Ridley Scott Dicks Roman »Träumen Androiden von elektrischen Schafen?« 1982 unter dem Titel »Blade Runner« ins Kino brachte und einen Filmmythos erschuf, der noch heute als bildgewaltiges Epos mit aktuellen Produktionen mithalten kann, starb Dick in seinem Haus in Santa Ana/Kalifornien nach einem Schlaganfall. Die nachfolgenden Filmadaptionen von »Total Recall« über »Screamers« und »Paycheck« bis hin zu »Minority Report« und vor Kurzem eine Neuauflage von »Blade Runner«, um nur einige zu nennen, erschienen posthum. Dick, der zeit seines Lebens verbissen um literarische Anerkennung kämpfte, hatte keine Ahnung, dass er zu einem der bedeutendsten Science-Fiction-Erzähler seiner Zeit und sogar zu einer Pop-Ikone des 20. Jahrhunderts werden würde. Das war aber auch nie seine Absicht gewesen. Vielmehr wollte er mit seinen realistischen Romanen erfolgreich sein, von denen er in den 1950er Jahren eine ganze Reihe schrieb. Science-Fiction war für ihn nicht mehr als ein Broterwerb, dem er nachging, nachdem er Anfang der 1950er Jahre als junger Mann mit einigen Erzählungen unkompliziert und schnell Geld verdient hatte. Aber weiter als bis zu einer prekären Existenz schaffte er es damit lange Zeit nicht.

Den großen literarischen Ruhm, von dem Dick träumte, der Bestseller, der ihn in die Feuilletons katapultieren und reich machen sollte, konnte er nicht mit einem Genre-Roman über künstliche Wesen und Zeitreisen schaffen. Aber als realistischer Autor setzte sich Dick nie durch. Nur einer dieser Romane wurde zu seinen Lebzeiten veröffentlicht, alle anderen blieben in der Schublade und wurden erst lange nach seinem Tod editiert. Weite Teile von Dicks Science-Fiction-Werk sind also nicht als die literarischen Geniestücke konzipiert worden, als die sie heute gelten. Vielmehr waren seine frühen Erzählungen, die derzeit in zeitgemäßen Sujets inszeniert bei Amazon unter dem Titel »Electric Dreams« zu sehen sind, Arbeiten eines routinierten Lohnschreibers, der auf ökonomische Zwänge reagierte. Dass dabei die Mischung aus Ironie, Gesellschaftskritik und konziser Erzählkunst herauskam, für die er heute so berühmt ist, ist nur indirekt einem künstlerischen Anspruch oder kreativem Plan geschuldet. Aber Dick schrieb sich auf diese Weise nicht nur in den Olymp der damaligen zeitgenössischen Science-Fiction-Literatur, sondern gleich noch in die große Hall of Fame der Popkultur, wo er heute noch thront.

Anfang der 1960er Jahre erhielt Dick für seinen Parallelwelt-Roman »The Man in the High Castle«, der demnächst als aufwendig produzierte Serie bei Amazon in die dritte Staffel geht, den begehrten Hugo-Award. Der biografischen Legende zufolge wurde ihm fast zeitgleich von seiner Agentur eine ganze Kiste mit den realistischen Romanen zurückgeschickt inklusive des Hinweises, dass sich dafür kein Verlag finden würde. Dick wurde eher unfreiwillig zum Science-Fiction-Autor und gab damit der Sachzwang-Logik des Markes nach.

In dieser Phase wurden seine Romane weitaus komplexer als es seine Erzählungen zuvor waren. In »The Man in the High Castle« entwirft er ein Paralleluniversum, in dem die Nazis den Zweiten Weltkrieg gewonnen haben und die USA von den Deutschen besetzt werden. In den nachfolgenden Romanen wie »Marsianischer Zeitsturz« (1964), »Nach der Bombe« (1965) und »Ubik« (1969) beschreibt Dick vielschichtige fiktionale Welten und alternative Geschichtsverläufe. Wobei er die Motive des vergleichsweise engen Erzählrahmens seiner Geschichten aus den 1950er Jahren beibehält, mitunter aber virtuos weiterentwickelt. Dick gilt plötzlich auch als Autor einer sich konstituierenden kalifornischen Gegenkultur. Jedenfalls wird er von vielen so gelesen, nicht nur wegen seiner kritischen Haltung gegen Krieg und Militär, sondern auch weil Drogen und Bewusstseinserweiterung immer wieder eine zentrale Rolle in seiner Prosa spielen. Gleichzeitig wird Philip K. Dick, der in seinen Geschichten nicht nur an den Grundfesten der Realität rüttelt, sondern auch Ökonomie, Staatlichkeit und die autoritäre Zurichtung des kleinbürgerlichen Subjekts in ein herrschaftskritisches Spannungsfeld setzt, immer interessanter für die linke Theoriegemeinde, die seine Bücher als explizit kapitalismus- und herrschaftskritische Entwürfe versteht.

Allen voran der eingangs erwähnte Frederic Jameson hielt große Stücke auf Dicks literarisches Werk. Ihn faszinierte der Aspekt, dass Dick in seinen Fiktionen unsere Gegenwart als Geschichte einer zukünftigen Welt in Szene setzte. Literaturwissenschaftler wie Peter Fitting sahen in Dicks immer wieder handlungstragenden Frage, was eigentlich Wirklichkeit ist und wie sie sich konstituiert, eine Dekonstruktion sowohl bürgerlicher Ideologie als auch des bürgerlichen Romans.

Auch für den entstehenden Poststrukturalismus war gerade der Aspekt der Wirklichkeit, die sich in Dicks Geschichten als so flüchtig und konstruiert erwies, eine interessante Quelle. Deswegen avancierte Dick, wie Jameson einmal bemerkte, zur »Kultfigur für französische Intellektuelle«, an Fachbereichen für englische Literatur blieb er dagegen völlig unbekannt. Nur konnte Philip K. Dick diese Sichtweise auf sein Werk keineswegs teilen. Im Gegenteil verwahrte er sich sogar heftig dagegen, von linken Intellektuellen so interpretiert zu werden. Er fühlte sich vereinnahmt und in der Tat liest sich vor allem in den frühen Erzählungen Dicks die eine oder andere plumpe Gegenüberstellung von Kommunismus und Faschismus als stamme sie aus dem Baukasten der Extremismustheorie. Auch seine immer wieder in Romansujets auftauchende Begeisterung für die bürgerliche Wohlstandswelt des Fordismus zeigt Dick als Vertreter einer bürgerlich-liberalen Weltsicht. Gleichzeitig sind für den lange am Existenzminimum entlangschreibenden Dick in seinem Werk Faschismus und Antisemitismus wichtige Themen, die er keineswegs platt oder eindimensional abhandelte.

Am interessantesten ist hier zweifellos Dicks Roman »The man in the High Castle«, in dem er ein parallelweltliches faschistisches Amerika im Jahr 1962 ansiedelt. In Dicks Fiktion ist der Westteil der USA von Japanern besetzt, der Ostteil von Nazis. Widerstand regt sich keiner. Das ist in der Filmadaption von Amazon anders, wo eine Widerstandsgruppe im Zentrum der Erzählung steht, die in Dicks Roman gar nicht vorkommt. Dick zeigt in seinem Roman vielmehr, wie der amerikanische Kleinbürger im Faschismus funktioniert.

Am deutlichsten wird das an der Person des Kunsthändlers Childan, der in der Amazon-Serie ein etwas hasenfüßiger Sympathieträger ist, der sich in der Peripherie der Widerstandsgruppe bewegt. Im Roman ist Childan überzeugter Rassist und Antisemit, der wegen der erlittenen militärischen Niederlage durch die Deutschen und Japaner leidet, die politischen Ziele und Ideen der Nazis aber letztlich gar nicht ablehnt, sondern teilt. In dem Roman spielt eine fiktionale Gegenwelt eine wichtige Rolle, in der nicht die Nazis, sondern das britische Empire den Zweiten Weltkrieg gewonnen hat, während die USA nur eine zweitrangige Macht sind. In der Serienadaption ist diese Gegenwelt aber unsere Wirklichkeit, die theatralisch mit dem amerikanischen Traum von Freiheit angerufen wird. Die wirklich brisante Kritik Dicks verbleibt in der Literatur und übersetzt sich nur ansatzweise ins Massenmedium Film, wo durchaus die Frage, wie der amerikanische Bürger im Faschismus funktionieren würde, thematisiert wird. In der Serienadaption wird dagegen der imaginierte American Way of Life zur Firewall gegen alles Böse, obwohl Dick in seinem Roman genau hinter diesen Mythos schauen und ihn demontieren wollte. Das kritische Potenzial Dicks bleibt in der Serie in letzter Konsequenz außen vor.

Die Filmadaptionen von Dicks Werken sind aber auch in Hollywood weit von den ursprünglichen literarischen Arbeiten entfernt. Deutlich wird das bei »Blade Runner«, der sowohl in Ridley Scotts Version von 1982 als auch in der Neuauflage mit Ryan Gosling von 2017 wehrhafte, von sich selbst überzeugte Männer ins Zentrum der Erzählung stellt. In Dicks Roman ist der Ermittler Deckard hingegen ein frustrierter Büroangestellter, der mit seiner Klassenzugehörigkeit und dem niedrigen Beamtensold hadert, weil er sich nicht die Konsumartikel leisten kann, die er zur Befriedigung seiner Bedürfnisse zu brauchen glaubt. Während Harrison Ford in beiden Filmen mit einer großen Waffe im Actionmodus durch ein futuristisches Los Angeles hetzt, arbeitet der Deckard des Romans Kataloge für künstliche Tiere durch, die er gerne auf seinem Hausdach halten würde, um den erhofften sozialen Status repräsentieren zu können, der wie ein Fluch auf ihm lastet. Aber auch in der aktuellen Verfilmung von Dicks Geschichten von Amazon lohnt sich ein Blick in die Erzählungen, denn mitunter sind die Texte weitaus schärfer in ihrer Gesellschaftskritik als es die mitunter ins Kitschige abrutschenden Filme der Anthologie-Serie sind.

Ob Dick mit den Verfilmungen seiner Romane und Erzählungen zufrieden gewesen wäre, bleibt Spekulation. Dem Filmprojekt »Blade Runner« stand er anfangs sehr skeptisch gegenüber, er änderte seine Meinung aber, nachdem er einige Sequenzen des Films vorab gesehen hatte.

Wie sehr ihm die Interpretation seines Werks durch die linke und marxistische Literaturkritik missfiel, wird an einem bizarren Ereignis Mitte der 1970er Jahre klar. Damals bemühten sich einige Intellektuelle, unter ihnen Frederic Jameson und Peter Fitting, Kontakt mit ihm aufzunehmen, um mit ihm über sein Werk zu diskutieren. Im Mai 1974 kam es tatsächlich zu einem Treffen, über welches Dick jedoch im Nachhinein sehr verärgert war. Er stritt mit den linken Theoriegrößen über deren Thesen. Außerdem warfen sie ihm angeblich vor, eine rechtsradikale, faschistische Haltung einzunehmen. Fitting dagegen vermerkte dazu, dass es bei dem Treffen sehr wohl Unstimmigkeiten gab, aber keiner der Anwesenden auf eine Bestätigung seiner Dick-Exegesen gehofft hatte. »All in all, a wonderful and amusing day«, vermerkte Fitting. Nur sah Dick zu diesem Zeitpunkt bereits eine kommunistische Verschwörung zur Unterwanderung der amerikanischen Science-Fiction-Literatur heraufziehen.

Bereits im Februar 1974 begann Dick an Halluzinationen zu leiden und glaubte zeitweise als verfolgter Christ im antiken Rom zu leben, während sich ihm gleichzeitig extraterrestrische Mächte offenbarten. Die Realität begann sich für Dick auf ganze ähnliche Weise als brüchig zu erweisen, wie dies auch in seinen Geschichten der Fall war. Philip K. Dick scheint regelrecht in den Kosmos seiner Literatur eingetreten und von ihm verschluckt worden zu sein.

Im März desselben Jahres wandte sich Dick an das FBI und wies darauf hin, dass eine kommunistische Verschwörung darauf abziele, die amerikanische Science-Fiction zu übernehmen und für ihre ideologischen Zwecke einzuspannen. Kopf dieser Operation war seiner Meinung nach Stanislaw Lem, der damals Dicks Roman »Ubik« ins Polnische übersetzt hatte und 1973 sogar Ehrenmitglied der Vereinigung »Science Fiction Writers of America« wurde. Über diese Ehrenmitgliedschaft entbrannte in der Tat eine Polemik, die 1976 dazu führte, dass Lem die Zugehörigkeit wieder aberkannt wurde. Das hatte mit seiner heftigen Kritik an der US-amerikanischen Science-Fiction-Literatur zu tun, die er für völlig uninspiriert und handwerklich schlecht gemacht hielt - mit Ausnahme Dicks, den er sehr schätzte. Für Dick war neben Lem auch Franz Rottensteiner, der frühere Herausgeber der Phantastischen Bibliothek bei Suhrkamp und der marxistische Science-Fiction-Guru Darko Suvin, der noch heute als die Theoriegröße in Sachen Sci-Fi gilt, Teil dieser Verschwörung. Auch den Besuch der »Fitting-Gruppe«, wie Dick sie nannte, meldete er brav dem FBI, das seine Briefe zur Kenntnis nahm, ohne aber weiter darauf zu reagieren.

Etwa um die Zeit, als Philip K. Dick die »Fitting-Gruppe« empfing und mehr schlecht als recht mit seinen eigenen Fiktionen und einem immer flüchtiger werdenden Realitätsbegriff zurechtkam und in eine damals nicht einmal mehr in den USA salonfähige antikommunistische Paranoia abrutschte, schrieb einige tausend Kilometer weiter westlich Theodor Adorno in seine »Ästhetische Theorie«: »Die Arbeit am Kunstwerk ist gesellschaftlich durchs Individuum hindurch, ohne dass es dabei der Gesellschaft sich bewusst sein müsste; vielleicht desto mehr, je weniger es das ist.« Werkbewusstsein und Autorenbewusstsein, um es so zu nennen, können auseinanderfallen. Bei Philip K. Dick ist das ein grundlegender Aspekt für das Verständnis seines Werks, das als Erbe frei verfügbar ist - egal ob die Filmindustrie daraus spannende und ökonomisch inwertsetzende Unterhaltung produziert und Dicks kritische Inhalte entschärft, oder ob die Virtuosität Dicks und der herrschaftskritische Charakter seiner Literatur erkannt und entschlüsselt werden. Genug Gründe also, dass der Shakespeare der Science-Fiction und seine Dramen auch in der Zukunft noch eine ganze Zeit sinnstiftend für dieses Genre bleiben.