Auf den Spuren eines Komplotts

Wilfried Poßner folgt auf packende Weise dem Schicksal Tuchatschewskis

  • Werner Abel
  • Lesedauer: 3 Min.

Dieses Buch ist eine Sensation! Da schreibt der ehemalige Vorsitzende der Pionierorganisation »Ernst Thälmann« einen Roman über eine der wichtigsten Persönlichkeiten der sowjetischen Geschichte. Eine grundlegende Abrechnung mit dem Stalinismus, ohne jede Spur von Antikommunismus.

Wilfried Poßner: Wenn Sterne untergehen. Roman.
NORA Verlag, 498 S., geb., 23,90 €.

Georgi Dimitroff notierte in seinem Tagebuch einen Trinkspruch Stalins vom 7. Januar 1937 während eines Abendessens bei Kliment Woroschilow, Verteidigungsminister der Sowjetunion: »Wir werden jeden dieser Feinde vernichten, sei er auch ein alter Bolschewik, wir werden seine Sippe, seine Familie komplett vernichten ... Auf die Vernichtung aller Feinde, ihrer selbst, ihrer Sippe - bis zum Ende!« Als Stalin diese Worte sprach, war Michail Nikolajewitsch Tuchatschewski, der jüngste sowjetische Marschall und stellvertretende Volkskommissar für Verteidigung, seit vier Monaten tot. Erschossen auf Befehl Stalins, der sich die Rote Armee noch nicht vollständig unterworfen und mit Tuchatschewski noch eine Rechnung aus dem Sowjetisch-Polnischen Krieg von 1919-1921 offen hatte.

Stalin sollte den schon vor den Toren Warschaus stehenden Truppen Tuchatschewskis zur Hilfe kommen, lenkte seinen Vorstoß aber prestigeträchtig auf Lemberg. Die Schlacht an der Weichsel geriet für die Rote Armee zum Desaster. Stalin sah in dem charismatischen Militär, der maßgeblichen Anteil daran hatte, dass die Rote Armee zu einer modernen, schlagkräftigen Armee wurde, diesem »roten Napoleon«, wie ihn das Ausland nannte, eine persönliche Gefahr. Tuchatschewski hatte zeitig davor gewarnt, dass Nazi-Deutschland die Sowjetunion angreifen würde, Grund auch für die Nazi-Führung, diesen hochqualifizierten Militär zu beseitigen, den die Deutschen als Kriegsgefangenen aus dem 1. Weltkrieg und als Offizier kannten, der entscheidend an der Zusammenarbeit zwischen der Roten Armee und der Reichswehr beteiligt war.

Es kam zu einem abgekarteten Spiel zwischen dem NKWD und dem Reichsicherheitshauptamt. Fabrizierte Dokumente sollten beweisen, dass Tuchatschewski einen Putsch gegen die Sowjetregierung plane. Was drauf folgte, war die Enthauptung der Roten Armee, die Hinrichtung ihres Oberkommandos und mehr als der Hälfte des Offiziersbestandes. Als Nazi-Deutschland die Sowjetunion überfiel, sollte sich das katas-trophal auswirken.

Aber Stalins Rachefeldzug galt nicht nur den Militärs, sondern auch deren Familien. Im Fall Tuchatschewski erzählt das Wilfried Poßner mitreißend und spannend. Es ist keine wissenschaftliche Abhandlung, keine mit Dokumenten untermauerte Biographie, aber alles könnte wahr sein, auch weil es sich tausendfach so abgespielt hat. Tuchatschewskis große Liebe, die Minsker Primaballerina Tanja, ihr gemeinsamer Sohn und viele andere wurden gejagt vom NKWD und seinen Nachfolgern, getreu der Ankündigung Stalins, auch die »Sippe« zu vernichten.

Symbolisch dafür steht der NKWD-Offizier Dormin, der sich noch nach dem Krieg den Befehl von Stalins gnadenlosem Exekutor Berija zu eigen macht, Tuchatschewskis noch lebende Nachkommen zu vernichten. Als Berija erschossen wurde, musste auch Dormin seinen Platz räumen. Mit der gruseligen Versicherung allerdings, dass wenn Gras über die Sache gewachsen sei, man sich seiner Verdienste erinnern würde.

Auf deutscher Seite war es die von Poßner geschaffene Kunstfigur von Seelen, skrupellos und über die Zeiten verbunden mit den Mächtigen des Kapitals und der Konterrevolution. Von Seelen arbeitete darauf hin, dass mit der Aufdeckung von Stalins Verbrechen der Untergang der Sowjetunion und des Sozialismus als Alternative zum Kapitalismus eingeleitet werden würde.

Ein packender Roman: Wer an deutscher und sowjetischer Geschichte interessiert ist, sollte ihn unbedingt lesen. Nach 1990 hatte sich Wilfried Poßner beruflich erfolgreich umorientiert, aber dass er so ein talentierter Erzähler ist, der mit erstaunlicher Sachkenntnis dieses Buch schrieb, ist eine erfreuliche Überraschung.

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