Kein Einblick mehr ins Schweinesystem

Tierschützer wehren sich gegen Pläne der Großen Koalition, Recherchen in Ställen härter zu bestrafen

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Es sind Aufnahmen, die kaum zu ertragen sind. Erschlagene Ferkel liegen in einer Mülltonne, einige tote Tiere wurden noch nicht einmal aus den engen Ställen entfernt. Über 500 Stunden Videomaterial haben Aktivisten des Deutschen Tierschutzbüros aus dem sechsstöckigen sogenannten Schweinehochhaus in Maasdorf gesammelt und Mitte März veröffentlicht. In dem grauen Betonbau fristen etwa 3000 Tiere ihr kurzes Dasein. Ferkel und Muttertiere würden von den Mitarbeitern der Mastanlage getreten, misshandelt und erschlagen, so der Vorwurf der Tierrechtler. Etliche Schweine hätten offene Wunden, die nicht versorgt würden.

Eine Woche nach Veröffentlichung des Materials wurde der zuständige Landkreis Anhalt-Bitterfeld aktiv. Bei einer unangekündigten Kontrolle stellten Veterinäre Mängel in der Haltung und auch Hygiene sowie im Umgang mit kranken Tieren fest. Sollte der Betreiber diese Probleme nicht innerhalb einer festgesetzten Frist beheben, droht ihm ein Zwangsgeld. Neu sind solche Vorwürfe nicht: Bereits 2015 und 2016 hatten die Tierschützer Strafanzeige erstattet, nachdem sie Bildaufnahmen aus dem Schweinehochhaus gesammelt hatten.

Solche Stallrecherchen von Tierrechtsaktivisten könnten nach dem Willen der Großen Koalition in Zukunft schwieriger, wenn nicht sogar unmöglich werden. Es ist nur ein Satz, der sich dazu im Koalitionsvertrag findet, doch er liest sich wie eine Warnung: »Wir wollen Einbrüche in Tierställe als Straftatbestand effektiv ahnden«, heißt es auf Seite 86 unter der Überschrift zur Vereinbarung von Union und SPD, »Deutschland soll beim Tierschutz eine Spitzenposition einnehmen«. Was sich die Koalition darunter konkret vorstellt, dazu äußerte sie sich bisher nicht. Soll es für Einbrüche in Ställe künftig einen eigenen Straftatbestand geben? Könnte das bisherige Strafmaß erhöht werden?

Kommt es bisher zu einer Anzeige gegen die Aktivisten, dann geht es in den allermeisten Fällen um den Vorwurf des Hausfriedensbruchs, vorausgesetzt bei den Recherchen wurde weder etwas zerstört noch geklaut. Eine Strafe bedeutet dies aber noch längst nicht, selbst wenn die Tierschützer offen dazu stehen, nachts in einer Mastanlage heimlich Videoaufnahmen angefertigt zu haben. Erst Ende Februar sprach das Oberlandesgericht Naumburg in dritter Instanz drei Tierschützer frei, die heimlich in einer Schweinezucht in Sachsen-Anhalt massive Verstöße gegen den Tierschutz dokumentiert hatten. Zwar handelte es sich eindeutig um Hausfriedensbruch, wie der Vorsitzende Richter betonte, doch dieser sei angesichts unzureichender staatlicher Kontrollen als Notstand anzusehen, zumal die Offenlegung der Missstände im öffentlichen Interesse liege.

Selbst staatliche Stellen konnten dem Urteil etwas Positives abgewinnen. »Das Urteil ist in keiner Weise ein Freibrief für Tierschutzaktivisten, sondern vielmehr eine Ohrfeige sowohl für Veterinärbehörden, die von Missständen wissen, sie aber nicht ahnden, als auch für politisch Verantwortliche, die mangelhafte Ausstattung der Veterinärbehörden als normal betrachten oder sie vielleicht sogar wünschen«, erklärte die hessische Landestierschutzbeauftragte Madeleine Martin.

Aus Sicht der Agrarlobby war der Freispruch dagegen ein Fehler. Für den Präsidenten des Deutschen Bauernverbands, Joachim Rukwied, war das Urteil schlicht ein »Skandal« und eine »Bankrotterklärung«, da es ein Trugschluss sei, dass es »bei diesem illegalen Eindringen in Ställe um den Tierschutz geht«. Schließlich forderte Rukwied genau das, was die Große Koalition nun in ihrem Koalitionsvertrag plant: »Umso wichtiger ist es, dass die neue Bundesregierung dieses Thema gesetzgeberisch aufnimmt.« Tierschützer beklagen, dass besonders von Vertretern der konventionellen Landwirtschaft in den vergangenen Monaten massiv Druck ausgeübt wurde, um Stallrecherchen verstärkt als schwere Straftaten dastehen zu lassen. »Statt angemessen zu reagieren, werden die Überbringer der negativen Botschaften - Tierschutz- und Tierrechtsorganisationen - diffamiert und kriminalisiert«, beobachtet etwa die Organisation »Animal Rights Watch« (Ariwa).

Politisch organisiert sich bereits Widerstand gegen die bisher noch vagen Pläne der Bundesregierung. »Solange wir noch Tiere produzieren und dabei massive Vollzugsdefizite in der Kontrolle zulassen, sind Stalleinstiege notwendig«, stellt etwa »Sozis für Tiere« klar. Die Gruppe kämpft dafür, dem Thema Tierschutz innerhalb der SPD ein größeres Gewicht zu geben. Deshalb lehnt sie die Einigung im Koalitionsvertrag ab. »Stattdessen ist eine grundsätzliche Neuausrichtung der Menschen-Tiere-Verhältnisse und der Landwirtschaft notwendig. Wir fordern eine Landwirtschaft ohne Ausbeutung und Tierproduktion«, so die Gruppe in einer Erklärung. Auch aus den Reihen der Linkspartei regt sich Widerspruch. »Da die Haltung von Tieren in fast allen Fällen, insbesondere in der industriellen Tierhaltung, gegen das Interesse der Tiere an Freiheit und körperlicher Unversehrtheit« verstoße, ist es nach Ansicht des Berliner Arbeitskreises »Rote Beete« »gerechtfertigt, wenn die Öffentlichmachung solcher Zustände auch mit der Schädigung von Eigentumsrechten einhergeht«, so ein Sprecher der Gruppe gegenüber »nd«. Ohne die Transparenz, die durch Stallrecherchen geschaffen werde, sei »eine gesamtgesellschaftliche Debatte über Tierhaltung schwieriger, da sie von der Heile-Welt-Werbung der Industrie dominiert wird, während dieselbe Industrie die wahren Zustände« verstecke.

Ähnlich sieht dies die Umweltorganisation Greenpeace. In einer Analyse des Koalitionsvertrages spricht sie von einer »absonderlichen Forderung«, da »eine Vielzahl von illegalen Nutztierhaltungen erst durch Filmaufnahmen aus Ställen bekannt und geahndet wurde«.

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