Unheilvolles Schweigen

In seiner Regierungserklärung geht der neue Arbeitsminister mit keinem Wort auf Hartz IV ein

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 4 Min.

Armut ist längst kein Randphänomen mehr in Deutschland: Etwa acht Millionen Menschen sind auf Grundsicherung angewiesen, darunter sind fast sechs Millionen Hartz-IV-Bezieher und deren Kinder. Angesichts dieser Zahlen sollte man meinen, dass der neue Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) das Thema zum zentralen Aufhänger seiner Regierungserklärung machen würde, schließlich fällt das Arbeitslosengeld II, wie Hartz IV offiziell heißt, in seinen Aufgabenbereich. Doch weit gefehlt: Der Ressortleiter hielt sich am Donnerstag zwar an die von Merkel ausgegebene Regierungslinie und beklagte ebenfalls die zunehmende Spaltung der Gesellschaft, »im Arbeitsleben und bei Einkommen und Vermögen«, erwähnte aber Hartz IV als Treiber dieses Auseinanderdriftens mit keinem Wort.

Nicht immer war Heil so sprachlos. In seiner ersten Amtszeit als SPD-Generalsekretär verteidigte er die Agenda 2010, deren Kernpunkt die Einführung des ALG II war, gegen Angriffe von links. Als die SPD später die Oppositionsbänke drückte, erfassten Heil ernsthafte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Schröderschen Reformprojekts. »Das riecht nach Willkür«, klagte er mit Blick auf die fragwürdige Regelsatzberechnung in der »taz«. Als zuständiger Minister hat er sich nun offenbar mehr Zurückhaltung auferlegt. Und so fragte er unverbindlich in die weite Runde des halbleeren Plenums: »Wie halten wir in diesem gesellschaftlichem Wandel die Gesellschaft zusammen?« Heil zufolge soll der starke Sozialstaat »Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen«. Das Ganze wolle er aber »nicht an der Höhe des sozialen Transferleistungen« festmachen. Ohne es zu sagen, erteilte der Minister so Forderungen nach einer Erhöhung der Hartz-IV-Sätze eine Absage.

Es war die Opposition, die am Donnerstag das ungeliebte Thema zur Sprache brachte. Die Parteivorsitzende der LINKEN, Katja Kipping, beklagte in ihrer Rede »die soziale Ignoranz gegenüber Hartz-IV-Betroffenen«. Im Koalitionsvertrag finde sich nicht ein Satz zur Erhöhung der Regelsätze, so Kipping. Auch zur möglichen Abmilderung der Sanktionen verliere der Vertrag kein Wort. Obwohl von jeder dritten Sanktion auch Haushalte betroffen seien, »in den Kinder leben«, unterstrich die Linkspolitikerin.

Heils Schweigen zu Hartz IV ist umso unverständlicher, als die Debatte wieder neu entbrannt ist. Losgetreten hatte die Diskussion der designierte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), als er behauptete, dass Hartz IV nicht Armut bedeute, sondern die Antwort der Solidargemeinschaft auf Armut sei.

Heil selbst brachte sich in die Debatte ein und sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: »Die Diskussion, die der Kollege Spahn angestoßen hat, führt uns nicht weiter. Die Grundsicherung liegt am Existenzminimum.« Vor wenigen Tagen verkündete er dann, einen »sozialen Arbeitsmarkt« schaffen zu wollen. Langzeitarbeitslose, die aufgrund multipler Vermittlungshemmnisse kaum eine Chance auf einen regulären Job haben, sollen zukünftig gemeinnützige Arbeit leisten. Dafür will der Minister bis 2012 rund vier Milliarden Euro einsetzen und so etwa 150 000 Betroffene erreichen. Ein Projekt mit vielen Fallstricken, denn unter anderem dürfen die Sozialjobs keine reguläre Beschäftigung verdrängen. Ob er seine Pläne deshalb unerwähnt ließ?

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD), der auch im Parteivorstand sitzt, geht einen Schritt weiter. Am vergangenen Wochenende machte er Schlagzeilen mit der Forderung nach Abschaffung von Hartz IV. Stattdessen soll ein »soziales Grundeinkommen«, das sich am Mindestlohn orientiert, an die Betroffenen ausgezahlt werden. Die Bezieher sollen sich »in Bereichen, die unserer Gemeinschaft zugutekommen« engagieren, wie die »Berliner Morgenpost« berichtete. Darunter stellt sich Müller Schulhausmeister und Begleiter in Bus und Bahn vor.

Der rentenpolitische Sprecher der Grünen, Markus Kurth, ging in seiner Rede auch auf Müllers Vorstoß ein. Dessen Grundeinkommen sei »in Wirklichkeit ein schmales Salär für Langzeitarbeitslose, die als Hausmeister arbeiten sollen«. Kurth plädierte dafür, stattdessen eine »individuelle und sanktionsfreie Grundsicherung« einzuführen. Tatsächlich soll das Grundeinkommen laut Müller nur erhalten, wer arbeitet. Alle anderen würden weiterhin mit Leistungen auf Hartz-IV-Niveau abgespeist.

Der Bundesarbeitsminister setzte in seiner Antrittsrede aber ganz andere Prioritäten. Er wolle das geplante Rückkehrrecht in Vollzeit in Gesetzesform bringen, sagte Heil. »Das wird in den ersten 100 Tagen auf den Weg gebracht.« Viele Frauen müssten unfreiwillig in Teilzeit arbeiten. Dies dürfe kein Dauerschicksal sein, zumal lebenslange Teilzeitarbeit keine auskömmliche Rente bringe.

Zur Zukunft der Rente wiederum soll eine Kommission noch in diesem Jahr ihre Arbeit aufnehmen. Bisheriger Arbeitstitel des Gremiums: »Verlässlicher Generationenvertrag«. Heil warnte davor, in der Frage die Generationen gegeneinander auszuspielen. Rentner seien keine »Empfänger von Mildtätigkeiten des Staates«, sondern hätten sich im Lauf ihres Arbeitslebens ein »soziales Recht« erworben. Zugleich müsse es einen »Interessenausgleich« geben. Der Minister verwies auf das Ziel der Bundesregierung, das Rentenniveau bis zum Jahr 2025 nicht unter 48 Prozent sinken und den Beitragssatz zur Rentenversicherung nicht über 20 Prozent steigen zu lassen. »Beides ist notwendig und beides werden wir in diesem Jahr gesetzgeberisch angehen.«

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