nd-aktuell.de / 24.03.2018 / Wissen / Seite 26

Neandertaler kamen in Wellen

Erbgutanalysen geben neue Einblicke in die Populationsgeschichte der ausgestorbenen Urmenschenart.

Steffen Schmidt

Keine andere ausgestorbene Menschenart ist so gut untersucht wie der Homo neanderthalensis. Mehr als 300 Skelettfunde von Westeuropa bis nach Mittelasien sind bekannt. Dennoch ist noch vieles offen. Das beginnt schon mit der Herkunft des Neandertalers. Stammt er wie der Homo sapiens vom Homo erectus ab, wie neuere genetische Untersuchungen nahelegen, oder ist der letzte gemeinsame Vorfahr von Mensch und Neandertaler der Homo heidelbergensis? Viele Erkenntnisse der letzten Jahre verdanken wir der modernen Gentechnik, die es erlaubt, selbst die geringen Reste alten Erbguts zu analysieren.

Forscher am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig haben sich mit diesen gentechnischen Werkzeugen der Spätphase der Neandertaler zugewandt. Sie sequenzierten das Erbgut von fünf Individuen, die vor 39 000 bis 47 000 Jahren gelebt hatten, und verglichen die Ergebnisse mit denen eines 120 000 Jahre alten Neandertalers aus dem Altai-Gebirge, 70 000 Jahre alten Knochen aus dem Kaukasus und dem Genom heutiger Menschen. Der Datenvergleich erlaubte den Forschern, die Populationsgeschichte der letzten Neandertaler besser zu rekonstruieren.

»Wir wissen jetzt, dass sich die Neandertaler genetisch umso ähnlicher sind, je näher sie zusammen gelebt haben. Außerdem zeigt der Vergleich mit einem älteren Neandertaler aus dem Kaukasus, dass sich verschiedene Populationen von Neandertalern gegen Ende ihrer Geschichte fortbewegt und gegenseitig ersetzt zu haben scheinen«, sagt Mateja Hajdinjak, Erstautorin der im Fachblatt »Nature« (DOI: 10.1038/nature26151) erschienenen Studie. Die Hinweise auf Wanderungen passen gut zu Klimaschwankungen vor 24 000 bis 60 000 Jahren. In dieser Zeitspanne kam es zu massiven Kälteeinbrüchen in Nordeuropa, die lokale Neandertalerpopulationen ausgelöscht und zur Neubesiedlung von Südeuropa oder Vorderasien aus geführt haben könnten.

Der Genvergleich der fünf jüngsten Neandertaler mit älteren Individuen legt nach Auffassung der Forscher nahe, dass sich alle späten Neandertaler vor etwa 150 000 Jahren von einem gemeinsamen Vorfahren in Sibirien trennten. Zudem stammen offenbar die meisten Neandertalergene, die sich beim Homo sapiens wiederfinden, von Neandertalerpopulationen, die sich vor 70 000 Jahren trennten.

Obwohl vier der Neandertaler zu einer Zeit lebten, als moderne Menschen bereits in Europa angekommen waren, tragen sie keine nachweisbaren Mengen an moderner menschlicher DNA in sich. »Es könnte sein, dass DNA größtenteils nur in einer Richtung weitergegeben wurde, vom Neandertaler hin zum modernen Menschen«, sagt Svante Pääbo, Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.