Video-Volksbegehren in der Schwebe

Zweifel an Verfassungsmäßigkeit der Initiative wachsen – trotz einer Anpassung des Gesetzestextes

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 4 Min.

Wie lange die Juristen des Fachbereichs Volksbegehren in der Senatsverwaltung für Inneres noch brauchen werden, um das Volksbegehren zur Ausweitung der Videoüberwachung zu prüfen, ist unklar. »Die rechtliche Prüfung ist nicht abgeschlossen, sie wird noch Zeit in Anspruch nehmen«, heißt es aus der Pressestelle von Innensenator Andreas Geisel (SPD). Es lasse sich auch schwer abschätzen, wann es soweit sein wird. Eine gesetzliche Frist, bis wann die Prüfung abgeschlossen sein muss, gibt es nicht.

Das Volksbegehren des Aktionsbündnisses für mehr Videoaufklärung und Datenschutz, das vom ehemaligen Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) und dem früheren Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) initiiert wurde, befindet sich also weiter in der - juristischen - Schwebe. Nach den Plänen von Heilmann und Buschkowsky soll die Videoüberwachung unter anderem an sogenannten gefährlichen Orten und zum Schutz von gefährdeten Objekten ausgeweitet werden. Dazu soll nicht zuletzt das Polizeigesetz, also das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz, geändert werden. »Unser Konzept sieht einen automatischen Notruf vor, wenn die Kamera eine potenziell gefährliche Situation identifiziert«, sagt Mitinitiator Thomas Heilmann.

Den Antrag für ein Volksbegehren, also die Unterschriftensammlung für die erste Stufe im Volksgesetzgebungsverfahren, hat die Initiative unterdessen bereits vollbracht. Von den rund 25.000 im Februar eingereichten Unterschriften waren mehr als 21 000 gültig, bestätigte die Innenverwaltung in der vergangenen Woche. Damit muss sich das Abgeordnetenhaus mit dem Thema befassen. Lehnt das Parlament das Begehren ab, müsste das Bündnis mehr als 170.000 gültige Unterschriften sammeln, um einen berlinweiten Volksentscheid zu erzwingen.

Der große Unterschied zum letzten Volksentscheid Tegel ist, dass das Bündnis für mehr Kameras seine Unterschriften für einen konkreten Gesetzentwurf sammelt, der dann auch zur Abstimmung stehen wird. Nachdem in den vergangenen Monaten allerdings immer mehr Fragen zur Verfassungsmäßigkeit des Gesetzentwurfs laut wurden, haben die Initiatoren ihren Text inzwischen nachgebessert. Erlaubt ist das, wichtig ist allerdings, dass der »wesentliche Kern« des Volksbegehrens erhalten bleibt, wie aus der Innenverwaltung zu hören ist.

»Unsere Ziele sind die gleichen geblieben: Kein flächendeckender Videoeinsatz, sondern punktuelle Videoaufklärung an Plätzen mit viel Kriminalität. Die Zahl der öffentlichen Kameras erhöht sich nur um zehn Prozent«, sagt der Bundestagsabgeordnete Heilmann dem »nd«. Bereits bei der Vorstellung des Entwurfs im vergangenen Sommer habe man im Übrigen darauf hingewiesen, Anregungen von Befürwortern und Gegnern des Vorhabens umfassend zu prüfen und in das Gesetz einfließen zu lassen. »Dieser Ankündigung sind wir nachgekommen und haben nun einige Modifikationen, Verbesserungen und Klarstellungen vorgenommen«, sagt Heilmann. Wichtig sei ihnen gewesen, noch deutlicher zu machen, dass es nicht um verdeckte Überwachungsmaßnahmen gehe.

Den Zeitpunkt für die Veränderungen habe man gewählt, damit die nun ohnehin anstehende juristische Prüfung des Gesetzesentwurfes durch die Senatsverwaltung für Inneres auf Grundlage eines aktuellen Standes stattfinden könne, so der Mitinitiator des Volksbegehrens.

Bei Kritikern der Ausweitung der Videoüberwachung wie der LINKEN werden die Umformulierungen unterdessen als »durchschaubare Propaganda« verbucht. »Nach wie vor verschleiern die Initiatoren das wahre Ausmaß der Überwachung in ihrem Gesetzentwurf«, kritisiert der Abgeordnete der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, Niklas Schrader. Auch in der überarbeiteten Version sei noch eine annähernd flächendeckende Videoüberwachung möglich, ebenso das Mitschneiden von Gesprächen in der Öffentlichkeit. »Der Versuch, die gravierenden rechtlichen Mängel zu beseitigen, ist gründlich misslungen«, sagt Schrader.

Die Linksfraktion hatte bereits im Januar eine umfassende rechtliche Expertise bei Professor Fredrik Roggan von der Fachhochschule der Polizei in Brandenburg in Auftrag gegeben. Das Urteil fiel vernichtend aus: »Das Gesetz ist unzulässig«, zeigte sich Roggan seinerzeit überzeugt.

Dass das vorgelegte Gesetz der Initiative verfassungsrechtlich »höchst bedenklich« ist, sagt auch die Beauftragte des Landes Berlin für Datenschutz und Informationsfreiheit, Maja Smoltczyk. Bei der Vorstellung des Jahresberichts Ende der vergangenen Woche erneuerte die Datenschutzbeauftragte ihre Vorbehalte. So würde der Gesetzentwurf Regelungen enthalten, für die das Land Berlin keine Gesetzgebungskompetenz habe, was jedoch Voraussetzung für ein zulässiges Volksbegehren sei. Aufgaben und Befugnisse von Strafverfolgungsbehörden zu regeln, dazu sei allein der Bundesgesetzgeber berechtigt, heißt es seitens der unabhängigen Behörde.

Gut möglich, dass der Vorschlag zur Ausweitung der Videoüberwachung nach der Prüfung noch ein Fall für Gerichte wird, schließlich halten die Initiatoren ihr Volksbegehren für berechtigt.

Neben den juristischen Aspekten gibt es aber auch noch die politische Ebene. Rot-Rot-Grün ist in der Sache gespalten. Linkspartei und Grüne lehnen mehr Überwachungskameras im Öffentlichen Raum klar ab, in der SPD gibt es viele wie den Innensenator Andreas Geisel, die an bestimmten Orten durchaus Handlungsbedarf sehen und sich an diesen Stellen auch mehr Kameras vorstellen können. Wie das Mitte-links-Bündnis mit diesem Widerspruch umgeht, ist noch nicht ausgemacht. Dazu gebe es noch keine Abmachung, heißt es aus Koalitionskreisen.

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