Scheinwahlen am Nil

Für Präsident Abdelfattah al-Sisi zählt nur vermeintliche Stabilität, nicht die Demokratie

  • Oliver Eberhardt, Tel Aviv
  • Lesedauer: 4 Min.

Selbst wenige Tage vor der Öffnung der Wahllokale war von einem Wahlkampf so gut wie nichts zu spüren. Ja, es gab die obligatorischen Poster und Banner an jeder Straßenecke, und im Internet wurden Lieder und Videos verbreitet, in denen die Errungenschaften des ägyptischen Präsidenten Abdelfattah al-Sisi gepriesen werden. Doch in den sozialen Netzwerken sind sich die meisten schon seit langem sicher, wen sie wählen werden - niemanden.

Denn wenn am Montagmorgen überall im Land die Wahllokale öffnen, dann werden auf den Wahlzetteln nur zwei Kandidaten stehen. Und einer davon, der 65-jährige Architekt Mussa Mostafa Mussa, ist zwar Chef der sich selbst als »säkular-liberal« bezeichnenden El-Ghad-Partei, aber eben genauso wie seine Partei völlig unbekannt. Nur Insider wissen, dass er noch im Januar um Unterstützung für die erneute Kandidatur al-Sisis warb. 15 Minuten vor Ende der Bewerbungsfrist hatte er dann am 29. Januar selbst seine Unterlagen bei der Wahlkommission eingereicht.

Kurz vor der Wahl konzentrierte er sich allerdings vor allem darauf, jene zu kritisieren, die eine Kandidatur angekündigt und dann entweder zurück gezogen hatten oder von der Wahl ausgeschlossen wurden. »Diese Personen hatten das einzige Ziel, Ägypten durch den Schmutz zu ziehen«, sagt er: »Mir wäre es lieber, wenn wir fünf Kandidaten hätten und eine echte Debatte. Doch das wollten diese Leute doch gar nicht. Sie wollten einen erfolgreichen Präsidenten diskreditieren, der uns Stabilität gebracht hat.«

In einem Land, in dem die Medien weitgehend gleichgeschaltet sind und der Zugang zu ausgewogenen Informationen von einem Internetzugang und ausreichenden Sprachkenntnissen abhängt, tragen Aussagen wie diese stark zur öffentlichen Meinungsbildung bei. Plötzlich ist Mussa, der Sisi-Getreue aus der hintersten Reihe, die Opposition. Und seine Nachricht an die Bevölkerung ist, dass es doch nicht die Schuld der Regierung sei, wenn es nur zwei Kandidaten gibt.

Doch die Realität sieht anders aus: Neben dem ehemaligen Premierminister Ahmed Schafik hatten auch der Menschenrechtsanwalt Khaled Ali, der einstige Generalstabschef Sami Hafes Anan, der Chef der nationalliberalen Neuen Wafd-Partei, El Sayyed al-Badawi, der Boss des Fußballvereins Zamalek, Mortada Mansur, sowie Anwar Esmat Sadat, Neffe des ehemaligen Präsidenten und Friedensnobelpreisträgers von Anwar Sadat, ihre Kandidatur angekündigt. Und in allen Fällen begann kurz danach eine Schmutzkampagne. In den Medien wurde über angebliche Verfehlungen berichtet, die Sicherheitsdienste kamen bei den potenziellen Bewerbern vorbei. Khaled Ali wurde deutlich gemacht, dass eine Kandidatur keine Chance habe. Ihm war einmal eine Geldbuße auferlegt worden, weil er in einem Gerichtssaal ein Schimpfwort benutzt hatte. Sami Hafes Anan wurde gar festgenommen: Er habe als Generalstabschef Unterlagen gefälscht.

Während all dies geschah, wurde aber auch deutlich, dass man die Entwicklungen im Umfeld von Präsident al-Sisi mit Sorge betrachtet. Im Parlament, wo die al-Sisi-Unterstützer die absolute Mehrheit haben, hatte man im vergangenen Jahr versucht, die Amtszeit des Präsidenten zu verlängern, die Wahlen zu verschieben. Der Präsident selbst hatte die Bemühungen gestoppt. Regelmäßige Wahlen und eine überschaubare Amtszeit seien notwendig, »um die Öffentlichkeit zu beteiligen und der Welt zu zeigen, dass man eine stabile Demokratie« sei, hieß es damals in einer Erklärung der Regierung.

Denn auch fast fünf Jahre nach der Absetzung des Präsidenten Mohammad Mursi, der der islamischen Muslimbruderschaft nahe stand, ist das Land immer noch gespalten. Obwohl die Organisation seit Jahren verboten ist und ihre Funktionäre in Haft sitzen, hat sie vor allem auf dem Land nach wie vor viele Unterstützer. Hinzu kommt die weitgehend unorganisierte Gruppe von jungen Ägyptern, die sich mehr Freiheiten wünscht.

Gleichzeitig gibt es Differenzen zwischen al-Sisi und dem Militär, das durch eine Vielzahl von Unternehmensbeteiligungen die Wirtschaft dominiert und tief in der Bevölkerung verwurzelt ist. So hatte Ex-Generalstabschef Anan der Regierung bereits vor Bekanntgabe seiner Kandidatur mehrmals öffentlich vorgeworfen, sie missachte die Bedürfnisse der Bevölkerung. Al-Sisi hatte daraufhin erwidern lassen, die Wahl werde beweisen, dass die Ägypter »wie ein Mann« hinter ihm stünden.

Doch statt einer dreitägigen Wahl, an die sich dann eine Stichwahl anschließt, aus der schließlich ein siegreicher al-Sisi hervorgeht, ist nun mit einer Abstimmung zu rechnen, an der sich nur wenige beteiligen - obwohl bei Wahlverzicht eigentlich Geldbußen drohen. Und am Ende wird der Amtsinhaber mit einem Ergebnis in der Nähe von 100 Prozent gewinnen. Schon bei der letzten Präsidentschaftswahl hatte die Wahlbeteiligung offiziell bei nur 47,5 Prozent gelegen, und al-Sisi siegte mit 96,91 Prozent der Stimmen. Und damit es dieses Mal wenigstens keine Bilder von leeren Wahllokalen gibt, hat die Regierung den in- und ausländischen Journalisten strikt vorgegeben, wie zu berichten sei.

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