In Sorge

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 2 Min.

Kürzlich erreichte mich via Facebook eine ungewöhnliche Frage. Der gute Freund, ein Bewohner eines schon fast durchgentrifizierten Kiezes, ist in Sorge. Investoren in Wohneigentum haben sich angekündigt; sie wollen einige der Heimstätten, die sie »Objekte« nennen, käuflich erwerben, und dies vermutlich mit der Absicht, die jetzigen Bewohner schnellstmöglich auszuquartieren, um die Wohnung anschließend teurer vermieten zu können. Mein Freund überlegte sich mögliche Gegenstrategien: »Macht man natürlich nicht, aber nur so theoretisch, wenn Klassenfeinde die Wohnung unter mir besichtigen wollen, und ich ihnen zeigen will, wie hellhörig das Haus ist, wie tue ich das? Ich überlege die Kombination aus Seilspringen und ›Vikings‹ mit vollen Bässen gucken.« Auch das Abspielen lauter arabischer Musik bei gleichzeitiger Rezitation von Koranversen käme in Frage.

Gute Idee, kann aber schiefgehen. In grauer Vorzeit (also noch vor Hartz IV) dachte ein Bekannter von mir, ein gelernter Elektriker, der sich ein Jahr lang eine berufliche Auszeit genommen hatte, um zu Hause einige wichtige Umbauarbeiten vornehmen zu können (aber auch, um mal mit dem Motorrad ausgedehnte Reisen zu unternehmen), er könnte beim arbeitsamtlich verordneten Vorstellungsgespräch bei einem großen Kohlekraftwerk die ungewollte Einstellung abwenden, wenn er ungewaschen, unrasiert und zu spät zum Termin erscheint. Als sich dennoch (Elektriker wurden damals händeringend gesucht!) ein Scheitern seiner Bemühungen abzeichnete, spielte er seinen letzten Trumpf aus und gab sich als Gewerkschaftsmitglied zu erkennen, das sich im Betriebsrat engagieren möchte. Der Wortführer der Kapitalfraktion sprang daraufhin freudestrahlend auf, schüttelte ihm die Hand und gab sich als Betriebsratsvorsitzender zu erkennen.

Lieber Facebook-Freund: Lass es! Die Kaufinteressenten sind wahrscheinlich ehemalige schwäbische Hausbesetzer mit Migrationshintergrund, die gerne laute arabische Musik hören.

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