Seit 60 Jahren für Frieden und Abrüstung

Tausende werden zu den diesjährigen Ostermärschen erwartet

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Ostermärsche feiern ihren 60. Geburtstag. An diesem Wochenende sind in Deutschland mehr als 100 Friedens-Demos und -Kundgebungen angekündigt. An manchen Orten werden einige hundert, anderswo auch nur ein paar Dutzend Menschen für den Frieden auf die Straße gehen. Es sind die Übriggebliebenen einer Bewegung, die zu ihren besten Zeiten Hunderttausende mobilisieren konnte.

4. April 1958, Karfreitag. In London versammeln sich mehr als 10.000 Menschen zum Protest gegen das britische Atomwaffenprogramm. Ihre Demonstration dauert vier Tage und führt über 80 Kilometer. Ziel ist das »Atomic Weapons Establishment« in der südenglischen Ortschaft Adlermaston, wo Nuklearbomben entwickelt werden.

1952 ist Großbritannien nach den USA und der Sowjetunion zur dritten Nuklearmacht aufgestiegen. Fünf Jahre später zündet das Land im Pazifik seine erste Wasserstoffbombe. Viele der Protestierenden in Adlermaston tragen das »Peace«-Zeichen auf großen Holz- und Pappschildern vor sich her oder recken es, aufgemalt auf Plakate, in die Höhe. Der englische Designer und Pazifist Gerald Holtom hat das weltbekannte Symbol - ein Kreis und drei Striche, die nach unten weisen - kurz vor der Demo für die britische Friedensorganisation »Campaign für Nuclear Disarmament« (CND) entworfen.

Die Bilder der Demonstration gehen um die Welt, der Adlermaston-Marsch wird zum Fanal für die internationale Ostermarsch-Bewegung. Seitdem gehen in verschiedenen Ländern jedes Jahr zu Ostern Tausende Menschen auf die Straße, um gegen Kriege und atomare Rüstung zu protestieren. In der Bundesrepublik führt der erste Ostermarsch 1960 mit rund 1.500 Teilnehmern zum Truppenübungsplatz Bergen-Hohne in der Lüneburger Heide.

»Es war ein ganz scheußlicher Tag, mit Schneematsch und Kälte. Wir standen in Braunschweig mit einer Gruppe von etwas mehr als 20 Leuten zwischen den Pfeilern der Kirche, der Pfarrer gab uns noch gute Worte auf den Weg und dann mussten wir hinaus«, erinnerte sich der 2016 verstorbene Politikwissenschaftler Andreas Buro an diese Aktion. »Ich wäre damals gern dort stehen geblieben zwischen den Pfeilern. Dann sind wir drei Tage lang marschiert.« Nur wenige Monate zuvor hat die NATO in Bergen-Hohne Raketen vom Typ Honest John stationiert. Sie sollen Atomsprengköpfe aufnehmen. Drei Jahre zuvor haben 18 westdeutsche Atomwissenschaftler - unter ihnen die Nobelpreisträger Max Born, Otto Hahn und Werner Heisenberg - in ihrer »Göttinger Erklärung« den Regierungsplänen für eine Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen widersprochen.

Beflügelt auch von den Protesten der Studenten, haben die Ostermarschierer in der Bundesrepublik in der zweiten Hälfte der 60er Jahre enormen Zulauf. 1967 beteiligen sich 150.000 Demonstranten an Oster-Aktionen in mehr als 200 Städten, ein Jahr später sind es doppelt so viele.

In jenen Jahren schwappen die Ostermarschlieder auch über die Mauer und die deutsch-deutsche Grenze. Mitglieder der jungen DDR-Singebewegung verbreiten die Melodien auch in ihrem Staat - teils leicht umgedichtet und mit Kritik auch an der Rüstung des Warschauer Pakts. Partei und Staatsführung vereinnahmen die Lieder jedoch: Wenig später erschallen die Ostermarschgesänge bei den offiziellen Ost-Berliner Maidemonstrationen.

In Westdeutschland zerfällt die Bewegung: Streit entzündet sich vor allem daran, dass die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) und ihre »Massenorganisationen« den Einmarsch der Warschauer Pakt-Truppen in die Tschechoslowakei rechtfertigen. Erst 1968 gegründet, hat die DKP schnell großen Einfluss in der Friedensbewegung erlangt. Außenpolitisch ganz auf der Linie der Sowjetunion, heißt sie deren Kriege oder Stellvertreterkriege als anti-imperialistische oder -feudalistische Abwehrschlachten gut.

Eine Renaissance erfahren die Ostermärsche um 1980 mit der Debatte über die Nachrüstung der Nato mit atomaren Mittelstreckenwaffen, Zehntausende versammeln sich an den geplanten Standorten für Cruise Missiles und Pershing-II-Raketen. Die Kriege gegen Jugoslawien und den Irak mobilisieren in den 90er und 2000er erneut zahlreiche Menschen. In den vergangenen Jahren pendelt sich die Zahl der Ostermarschierer bei einigen tausend ein.

Mit einer ähnlichen Beteiligung ist auch in diesem Jahr zu rechnen. Der »Bundesausschuss Friedensratschlag« und die »Kooperation für den Frieden« haben einen gemeinsamen Aufruf zu den diesjährigen Ostermärschen veröffentlicht. Er kritisiert unter anderem deutsche Rüstungsexporte und Auslandseinsätze der Bundeswehr. Einer Erhöhung der Rüstungsausgaben auf die von der Nato geforderten zwei Prozent des Gesamtetats erteilt der Appell eine Absage. Das Geld sei besser in Bildung, Gesundheit und Umwelt investiert. Zudem müsse die »todbringende Abschottung Europas gegen Flüchtlinge« sofort beendet werden.

Örtliche Bündnisse setzen zudem eigene Themen. Im schleswig-holsteinischen Jagel wollen Demonstranten zum Fliegerhorst der Luftwaffe ziehen, in Stuttgart richtet sich der Protest gegen die dort geplante Militärmesse ITEC. An der Urananreicherungsanlage im westfälischen Gronau nehmen die Ostermarschierer bereits an Karfreitag auch die zivile Atomkraft ins Visier, im benachbarten Dülmen ist eine Blockade der US-Kaserne »Tower Barracks« angekündigt.

Auch der kurdische Dachverband NAV-DEM hat einen Aufruf verfasst. »Die dramatische Lage in dem nordsyrischen Kanton Afrin steht sinnbildlich für die Kriegspolitik der Staaten im Mittleren Osten«, heißt es darin. »Für uns stehen die diesjährigen Ostermärsche für den Protest gegen jegliche Kriegspolitik und für ein Zeichen der Solidarität mit dem wegweisenden demokratischen Modellprojekt der Demokratischen Föderation Nordsyrien«.

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