Das Geschenk der Angst

Im Kino: «Unsane - Ausgeliefert» drehte Regisseur Steven Soderbergh auf einem iPhone

  • Gabriele Summen
  • Lesedauer: 3 Min.

Sie haben Betten, Du eine Versicherungskarte«, erklärt ein Psychiatriepatient in Steven Soderberghs neuem Thriller »Unsane« einer Frau, die gegen ihren Willen in eine geschlossene Anstalt eingewiesen wurde. Keine Frage, der experimentierfreudige Soderbergh, der seinen neusten Film - unter seinem üblichen Kameramann-Pseudonym Peter Andrews - mit einem iPhone (und drei zusätzlichen Linsen) drehte, steht dem kapitalismusverseuchten Gesundheitssystem äußerst kritisch gegenüber. Bereits 2013 beleuchtete er in seinem Berlinale-Beitrag »Side Effects« die kranke Welt der Pharmakonzerne, die Ärzte mit Geld ködern, um ihren Profit zu steigern. Das Wohl der Patienten scheint sie kaum zu interessieren.

Eine ähnliche Erfahrung muss auch Sawyer Valentini machen, die packend von »The Crown«-Star Claire Foy verkörpert wird. Die junge Frau hat gerade einen neuen Job als Analystin in Pennsylvania angetreten, weit weg von ihrer Heimatstadt Boston. Dort hat ihr ein extrem hartnäckiger Stalker, der von »The Blair Witch Project«-Star Joshua Leonard gespielt wird, das Leben zur Hölle gemacht. Die ungewöhnlichen Handy-Perspektiven machen dies für den Zuschauer von der ersten Einstellung an erfahrbar, teilweise hat man das Gefühl, selbst der Stalker zu sein, der Sawyer durch die unscharfen Büsche im Vordergrund beobachtet.

Das alles hat Spuren bei der jungen Frau hinterlassen - immer wieder meint sie ihren Stalker in anderen Männern zu erkennen. Deshalb entschließt sie sich zu einer ambulanten Therapie. Doch beim vermeintlich netten Erstgespräch wird sie reingelegt, sie unterzeichnet ein Formular ohne das Kleingedruckte zu lesen - und hat sich im Endeffekt für sieben Tage selbst eingewiesen.

Ihr wird die Tasche abgenommen, das Handy, Anstaltskleidung aufgezwungen. Jeder Versuch der zu Sarkasmus neigenden Sawyer, gegen diese Vorgehensweise zu rebellieren, wird ihr als »verrückt« ausgelegt. Dies erinnert an ähnlich perfide Konfrontationen von Anstaltsinsassen mit dem Personal in Miloš Formans Klassiker »Einer flog über das Kuckucksnest«.

Auf ihrem Zimmer macht sich Sawyer sogleich die aggressive Violet, die grandios von Juno Temple gespielt wird, zur Feindin, doch es kommt noch schlimmer. Bei der nächtlichen Tablettenausgabe steht sie auf einmal ihrem Stalker David, der sich als Pfleger George Shaw ausgibt, gegenüber. Wahn oder Wirklichkeit?

Von da an kippt der Film vollends in einen düsteren Horrorthriller. Die Machenschaften des Krankenhausmanagements, welche ein in die Klinik eingeschleuster investigativer Journalist hatte aufdecken wollen, verblassen zum Nebenschauplatz. Das kann man durchaus misslungen und lächerlich finden (es gibt zum Beispiel einen Folterkeller im Hospital) - oder aber nägelkauend bis zur letzten Minute genießen.

Soderberghs Stammschauspieler Matt Damon brilliert übrigens in einer rabenschwarzen Rückblende als Berater für Stalking-Opfer und legt dem Zuschauer seine Sicherheitsbibel »Das Geschenk der Angst« wärmstens ans Herz. Man ist versucht, nach diesem kafkaesken Thriller tatsächlich ein wenig darin zu blättern.

»Unsane - Ausgeliefert«, USA 2017.

Regie: Steven Soderbergh; Drehbuch: Jonathan Bernstein, James Greer;

Darsteller: Claire Foy, Joshua Leonhard, Amy Irving. 98 Min.

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