nd-aktuell.de / 31.03.2018 / Kultur / Seite 22

Modische Parallelgesellschaft

In Iran widersetzen sich immer mehr junge Männer dem traditionellen islamischen Kleidungsstil. Sie tragen bunte Klamotten, legen Parfüm auf und färben sich die Haare

Nasrin Parsa

Die männliche Herrschaft akzeptieren sie nicht mehr. Sie sind junge iranische Männer zwischen 15 und 30 Jahren mit farbigem Lippenstift, gezupften Augenbrauen, auffälligen Frisuren, gefärbten Haaren und duftendem Parfüm. Sie tragen enge und knöchelkurze Hosen, ein Piercing am Bauchnabel zeigt sich unter dem engen Hemd oder T-Shirt. Sie tragen auffällige, modische Schuhe. Unter diesen Männern sind viele Studenten, arbeitslose Akademiker, Abiturienten und Schüler. Diese Männermode zeigt sich nicht nur in der Metropole Teheran oder anderen Großstädten, sondern wurde bis in die sehr von alten Traditionen geprägten Kleinstädte hineingetragen.

Diese Männer sind die dritte Generation nach der iranischen Revolution von 1979. Eine Revolution, die die Gründung eines schiitischen islamischen Staates zur Folge hatte mit einer obligatorischen islamischen Kleiderordnung sowohl für Männer als auch für Frauen. Während Frauen sich verschleiern mussten, trugen die Männer stehende Kragen ohne Krawatten. Dieses Symbol des Westens sollte vermieden werden. Hemden mit kurzen Ärmeln oder glatt rasierte Gesichter wurden untersagt. Die freien Arbeitsstellen wurden an Männer vergeben, wodurch Frauen automatisch aus der Arbeitswelt ausgeschlossen und auf die Rolle »Kinder, Küche und Kirche« beschränkt waren. Die Männer waren fortan Ernährer der Familien.

Das, was die neuen iranischen Männer darstellen, richtet sich gegen diese Männerrolle als Familienoberhaupt, Held und Märtyrer. Sie sind eine Enttäuschung für das fast vierzig Jahre alte islamische Erziehungssystem. Die digitale Welt gewinnt an Einfluss auf die Menschen. Und die Mode bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne, setzt sich aber zunehmend von den Vorschriften ab. Der Dualismus der schwarz verschleierten weiblichen Moralpolizisten und der militärgrün angezogenen Basij, die paramilitärische Einheit, die im Aus- und Inland tätig ist, wird durch junge modische Männer in Begleitung ihrer Freundinnen auf offener Straße infrage gestellt.

Das Tragen dieser Kleidung, Frisuren und Schmuck macht den gesellschaftlichen Charakter deutlich. Die Träger wenden sich vom Alten ab und zeigen gleichzeitig ihre Bindung an etwas Neues. Indem sie ihre Mode in der Öffentlichkeit präsentieren, wird sie zum Widerstand.

Dass Mode Widerstand bedeuten kann, hat sich auch in der europäischen Geschichte mehrfach gezeigt. So wehrten sich etwa junge Österreicher während des »Anschlusses« an das Deutsche Reich gegen eine »Arisierung« der Mode. Propagandaminister Goebbels vertrat in einer Rede die Meinung: »Die Ideologie sollte im Reich die modische Linie bestimmen, vor allem im totalen Krieg.« Indem die Mode zum Thema der Politik wurde, wurde sie auch Zeichen des Widerstands. Bei den sogenannten »Schlurfs« in Wien handelte es sich um modisch gekleidete Jugendliche, die Swing- und Jazzmusik hörten und in entsprechende Tanzlokale gingen, wo sie die Hitlerjugend und andere Einheiten durch »Nazis raus«-Rufe provozierten. Sie trugen weite, bis zu den Knien reichende doppelreihige und gut gepolsterte Sakkos mit Nadelstreifen oder großen Mustern und auffälligen Farben. So widersetzten sie sich der propagierten Uniform oder nationalen Tracht.

Wie sich die Männerrolle in Iran verändert hat, geht zurück auf die 90er Jahre. Eine Videokassette eines iranischen Flüchtlings, der in die USA gegangen war, kursierte. Sein Name ist Mohammad Khordadian, ein Tänzer, den man auf der Kassette tanzen und unterrichten sieht. Die Aufnahme gelangte über geheime Wege nach Iran und imponierte vielen jungen Leuten. Er löste damit große Begeisterung aus. Khordadian ging sogar in die Türkei, gab Tanzunterricht und veranstaltete Tanzwettbewerbe. Die Iraner reisten dorthin, um zu tanzen und zu feiern, was damals in Iran verboten war und bestraft wurde. Eine Generation - weiblich und männlich - tanzte in seinem Stil. Er war der erste Tänzer, der Einzeltanz ohne geschlechtsspezifische Ausrichtung lehrte und der den Menschen nach der Kriegsdepression ein neues Lebensgefühl gab.

Das ist zwanzig Jahre her und die Zeiten ändern sich radikal. Mittlerweile versucht eine junge Generation, sich künstlerisch den rückständigen Parolen zu widersetzen. Es entwickelte sich eine stille Protestbewegung gegen die vorgeschriebenen Rollenbilder von Männern und Frauen, vergleichbar mit den Zielen der 68er in Deutschland.

Die Schuldzuweisungen der jungen Leute richten sich gegen die Eltern, die Revolutionsgeneration. Die Vorwürfe waren und sind: Warum habt ihr die Islamisten gewählt? Eine Gegenkultur wächst, sie richtet sich gegen das Regime und die vorherrschende Kultur. Die einsamen und engen Keller der Wohnhäuser sind zu Proberäumen für Musiker geworden. Eine Underground-Musikbewegung ist entstanden. Die Musiker texten Songs, in denen es um ihre Wünsche geht, nicht um das, was ihre Wünsche sein sollen. Es ist eine andere Rhetorik von Liebe und Leben. Das, was Menschen bewegt, findet neue Ausdrucksformen. Während die Kleriker über den Islam debattieren und die Intellektuellen im Ausland sich über die Form des Regimewechsels streiten oder über ihr Leben im Exil in Depressionen verfallen, wurde völlig vernachlässigt, was die jüngere Generation bewegt.

Durch die digitale Revolution und die Massenkommunikation boomt der illegale Markt mit Fernsehsatellitenantennen in Iran und seinen Nachbarländern. Millionen Haushalte verfügen über neue, leistungsfähige Fernseher; große Satellitenschüsseln stehen nun in iranischen Hinterhöfen oder sind versteckt hinter irgendwelchen Gegenständen auf den Dächern platziert, da der Satellitenempfang in Iran untersagt ist. Persischsprachige Sendungen aus dem Ausland haben vor einiger Zeit begonnen, 24-Stunden-Programme zu senden. Millionen Menschen schauen zu.

Als sich mit der Zeit auch die Mode änderte, kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Zivilisten und der Moralpolizei. Westliche Mode wurde bestraft. Erst in der so genannten Reformistenzeit unter Mohammad Chātami konnten Männer auf privaten Feiern Krawatte tragen. Die spezifische Kleidervorschrift wude täglich ignoriert. Eine Parallelgesellschaft bildete sich anhand der Mode und Musik heraus.