nd-aktuell.de / 31.03.2018 / Berlin / Seite 13

Kita-Not: Ausgebucht bis 2020

GastBEitrag: Sarah Liebigt über die endlose Suche nach einer Kinder-Tagesstätte

Sarah Liebigt

1, 3, 70, 150, 3000, 160.000: Diese Zahlen sind nicht Teil eines mathematischen Logikrätsels, sondern bestimmen so oder ähnlich den Alltag von hunderten, wenn nicht tausenden Berliner Eltern. Meine Zahlenreihe beginnt mit einer zwölf: Auf so vielen Kitaplatz-Wartelisten stand meine Tochter im August. Die Zahl schien absurd hoch. Meine Hebamme beruhigte mich im Frühsommer, ich würde einen Platz finden. »Am Ende finden alle einen.« Diesen Satz sollte ich den folgenden Monaten noch öfter hören.

Mittlerweile ist es März. Im Wohnzimmer ist es still, wir sitzen auf Sofa und Sessel und wischen auf unseren Handys herum. Neben mir liegt meine Tochter und hält ein Vormittagsschläfchen. Mein Freund guckt hoch, als ich ihm hektisch zuwinke, er solle doch bitte den Link angucken, den ich ihm gerade geschickt habe. In der Liste der Bildungsverwaltung für freie Plätze sind zwei Kitas aufgetaucht. Der Adrenalinpegel steigt, jetzt schnell anrufen. Das Gespräch dauert eine Minute und 20 Sekunden.

Meine Tochter ist elf Monate alt. In ein paar Wochen habe ich einen rechtlichen Anspruch auf einen Kitaplatz. 3, 70, 150: Auf dem Küchentisch liegt seit Wochen eine Liste mit 150 Tagesstätten im Umkreis von drei Kilometern. So eine Liste kann man sich auf den Seiten der Senatsverwaltung herunter laden. Rund 70 dieser Kitas haben mein Freund und ich mittlerweile angerufen, angeschrieben, erneut angerufen. Die Telefonate dauern selten länger als eine Minute. Sätze wie »Wir sind ausgebucht bis 2020«, oder auch »Ihre Tochter ist erst ein Jahr alt? Vergessen Sie’s!« schaffen es in unsere Top Ten der tollsten Gespräche. Ohne Sarkasmus lässt sich das längst nicht mehr ertragen.

Die Kita, die ich an jenem Morgen so eilig anrufe, wartet mit einer ganz neuen Version des »Nein, kein Platz« auf: Die leicht genervte Dame am anderen Ende entschuldigt sich, ihre Kita stünde fälschlicherweise in der Liste der freien Plätze.

Wir wohnen im Bezirk Pankow, im Dreiländereck von Weißensee, Pankow und Prenzlauer Berg. Die Kieze in dieser Gegend gehören berlinweit zu denen mit den geringsten freien Kapazitäten. Etwa 170 000 Plätze könnte Berlin anbieten, gäbe es denn genug Personal. So stehen von diesen genehmigten Plätzen nur rund 160 000 zur Verfügung. Noch mehr Zahlen, die auswendig weiß, wer sich wochen- und monatelang mit zunehmender Dringlichkeit um einen Kitaplatz bemüht. Zuletzt berichtete der »Tagesspiegel« Konkreteres: Laut Senatsverwaltung stünden rund 8000 Kinder (bzw. noch uneingelöste Kitagutscheine) etwa 5500 freien Plätzen gegenüber.

Betroffene Eltern gehen mit dieser Notlage unterschiedlich um: Bekannte wollen selbst einen Kinderladen gründen. Ein Paar nutzt abwechselnd seinen Jahresurlaub, um die Wartezeit zu überbrücken. Und schließlich: vor Gericht ziehen. Zunächst lautete ein Urteil des Verwaltungsgerichts sinngemäß: Was Berlin nicht liefern könne, darauf könne man auch keinen Anspruch erheben. Ein Entscheid nicht nach Gesetz, sondern Realität. Das Oberverwaltungsgericht folgte danach der Gesetzeslage und forderte das Land Berlin auf, Plätze bereit zustellen.

Andere Eltern fordern vom Jugendamt erfolgreich eine finanzielle Unterstützung - oder Entschädigung - dafür ein, dass sie ihr Kind selbst betreuen. Der Senat sagt dazu, die Kitas sollten doch bitte auch eine Überbelegung in Kindertagesstätten prüfen, bevor Eltern Geld (einen Betreuungsaufwandsausgleich) vom Land bekommen. Auch Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) wiederholte unlängst die »Notwendigkeit« einer temporären Überbelegung. Und wundert sich darüber, wenn die Diskussion um den Mangel an Kitaplätzen emotional wird: Weil die Aussicht, zum Beispiel die Gruppenstärke der Einjährigen bei selbem Personalschüssel zu erhöhen, weder Eltern noch ErzieherInnen jubeln lässt.

Meine Tochter hat vielleicht einen Platz ab August, meine Elternzeit endet nach Pfingsten. Ich kann mich glücklich schätzen, teilzeit arbeiten zu »dürfen« (drei Monate nun, statt einen) und Eltern in der selben Stadt zu haben, die helfen, die Wartezeit zu überbrücken. Einen Glücksfall muss man wohl auch nennen, dass mein Partner als Krankenpfleger seinen Dienstplan anpassen kann. Mit einer akribisch geplanten Woche können wir die Betreuung unseres Kindes sicherstellen. Und wie man weiß, halten sich Kinder immer gern an Pläne.