Pogromstimmung gegen Haitianer

In der Dominikanischen Republik sind die Migranten aus dem Nachbarland in Ungnade gefallen

  • Hans-Ulrich Dillmann, Santo Domingo
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein kleines Kleiderbündel hat Joseph Jacques* zusammengerafft und was vom Wochenverdienst übrig war. Die Lebensmittel musste er in seinem armseligen Zimmer am Rande der dominikanischen Grenzstadt Pedernales zurücklassen. »Ich hatte Angst, dass sie mich lynchen«, sagt er einem Reporter der Nachrichtenagentur Alterpresse, nachdem er den Grenzfluss nach Haiti überquert hatte.

Tagelange herrscht an der südlichen Grenze zwischen der dominikanischen Republik und Haiti Pogromstimmung, nachdem drei haitianische Staatsbürger verdächtigt wurden, in Pedernales den dominikanischen Bauern Julio Reyes Pérez und seine Frau Neida Milady Urbáez brutal ermordet zu haben. Zwei der Verdächtigen sind flüchtig, einer wurde in Haiti inhaftiert. Zwischen beiden Staaten gibt es kein Auslieferungsabkommen.

Mit einem Lautsprecherwagen forderten unmittelbar danach nationalistisch gesinnte Bewohner der Stadt die zahlreichen Wanderarbeiter aus dem Nachbarland auf, »innerhalb von 24 Stunden abzuhauen«. Ansonsten würden ihre Hütten niedergebrannt, drohte die Gruppe, die von ihrer Kampagne ein Video ins Internet stellte.

Der Drohung ließen sie auch Taten folgen. Das konnte auch ein Kontingent von Spezialeinheiten der dominikanischen Polizei und der Grenzstreitkräfte nicht verhindern, die kurz zuvor in die Grenzstadt verlegt worden waren.

Der pulsierende binationale Markt, auf dem Dominikaner und Haitianer jeden Montag und Freitag mit Waren, vor allem Grundnahrungsmitteln, handeln, ist seitdem verwaist. Der Bürgermeister von Pedernales, Luis Félix Matos, hat vorerst jede Aktivität auf dem Marktplatz verboten. Das Areal liegt direkt am Fluss Pedernales, der die dominikanische Grenzstadt von dem haitianischen Ort Anse-à-Pitres trennt.

Inzwischen ist die »Situation in Pedernales schwierig«, berichtet die dominikanische Tageszeitung Listin Diario. Die Grenzstadt sei inzwischen eine Stadt »ohne Haitianer«. Die billigen Arbeitskräfte auf den Feldern und in den Kleinbetrieben und sie fehlen als Kunden auf dem Markt. Die haitianischen Kindermädchen kümmern sich nicht mehr um die Kinder ihrer dominikanischen Arbeitgeber, die sie für gerade mal rund zwei Euro pro Tag angeheuert hatten. Auch die Hausarbeit bleibt liegen, weil die haitianischen Billighaushaltshilfen über die Grenze nach Haiti zurückgeflohen.

Die Beziehungen zwischen der hispanischen Dominikanischen Republik und dem frankophonen Haiti verschlechtern sich derzeit im Tagesrhythmus. Die Nachbarn aus dem Armenhaus im Westen sind seit Jahrzehnten als Billigarbeitskräfte gern gesehen, aber nicht wirklich willkommen. Das liegt an der Kolonialgeschichte. 1844 machte sich die Dominikanische Republik von Haiti unabhängig, das 1804 als erstes Land Lateinamerikas seine Unabhängigkeit erlangte.

Viele der Haitianos sind längst dominikanische Staatsbürger, weil sie im Land geboren wurden. Erst vor fünf Jahren wurden zahlreichen im Land Geborenen mit haitianischen Eltern ihre Staatsbürgerschaft aberkannt. Zwar wurde auf internationalen Druck eine Regularisierung eingeleitet, aber noch immer kämpfen Tausende gegen bürokratische Hürden um ihren dominikanischen Ausweis zurückzuerhalten.

Seit das Erdbeben 2010 und die politische Instabilität in Haiti immer wieder Abertausende über die kaum zu kontrollierende Grenzen kommen lässt, werden die Stimmen der Nationalisten gegen die Einwanderer immer lauter. Und immer wieder führen Ereignisse wie jetzt in Pedernales zu Zusammenstößen zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen. »Dabei sind wir wie Siamesische Zwillinge«, sagte die Gemüsehändlerin María Cuevas Reportern der dominikanischen Tageszeitung Hoy. »Sie leben von uns und wir von ihnen. Wir sind wie zwei Brüder, die man nicht trennen kann.«

*Name geändert

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