Ein Beispiel nehmen

Hans-Gerd Öfinger über die Streiks in Frankreich

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 2 Min.

Wenn jetzt durch Frankreich wieder ein Hauch von 1995 oder gar von 1968 weht, sollten deutsche Gewerkschafter genau hinsehen und sich fragen, was sie daraus lernen können. Streikende Eisenbahner setzen ein Zeichen gegen Kahlschlag bei der Staatsbahn SNCF und Verschlechterungen ihrer Arbeitsbedingungen. Beschäftigte in Krankenhäusern und bei Elektrizitätswerken begehren auf. Studierende besetzen aus Protest gegen Zulassungsbeschränkungen die Unis. Bei ersten Kundgebungen von Arbeitern und Studierenden deutet sich ein Schulterschluss an. Gemeinsamer Nenner ist die Verteidigung öffentlicher Dienste und Daseinsvorsorge und die Abwehr von Spardiktaten und Privatisierung.

»Lieber französische Verhältnisse als amerikanische Zustände«, lautete hierzulande eine griffige Parole, als 1996, in der Endphase der Regierung Kohl, Gewerkschafter gegen sozialen Kahlschlag protestierten. Mit »französischen Verhältnissen« war der legendäre unbefristete Eisenbahnerstreik Ende 1995 gemeint. Damals widersetzten sich die »Cheminots« (Eisenbahner) zäh dem Spardiktat der Regierung und verteidigten ihre Errungenschaften. Sie gelten bis heute als kämpferische Bastion der Gewerkschaftsbewegung und haben viel zu verlieren. Was bürgerliche Kommentatoren verächtlich als »Privilegien« und »Besitzstandsdenken« anprangern, sind einigermaßen annehmbare Arbeitsbedingungen und Einkommen und im Rentenalter die Aussicht auf ein Leben vor dem Tod.

Staatspräsident Macron möchte Gerhard Schröders »Agenda 2010« nachahmen und eine »moderne« Arbeitswelt mit prekären Jobs und Hungerlöhnen durchpeitschen. Sollte er die Cheminots in die Knie zwingen, wäre dies der Dammbruch. So wie einst die britische Premierministerin Margaret Thatcher die gut organisierten Bergarbeiter isolieren und ermatten ließ, bläst er zum Generalangriff auf die Cheminots und ihre Errungenschaften. Wenn er von Modernisierung redet, meint er die Zerschlagung in profitable Filetstücke. Die SNCF-Beschäftigten wissen, dass ihnen dann Zustände drohen wie in Großbritannien, dem Mutterland der Bahnprivatisierung. Aber auch in Schweden und Deutschland ist die Liberalisierung und Privatisierung im Eisenbahnwesen mit dem Ko-Management der Gewerkschaften weit fortgeschritten - zum Nachteil von Beschäftigten, Kunden und Umwelt.

Während deutsche Politiker jetzt gemeinsam mit Macron »Europa retten« wollen, sollten Gewerkschafter nicht vergessen: Von Banken, Konzernen und Lobbyisten formulierte EU-Richtlinien zur Liberalisierung von Bahnen und öffentlicher Daseinsvorsorge sind der Vorwand für Privatisierung und Ausplünderung. All dies ist kein Naturgesetz und muss wieder rückgängig gemacht werden. Höchste Eisenbahn für den europaweiten Schulterschluss von unten.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal