Besser wird’s nicht

Die Angst geht um bei den Beschäftigten im Berliner Dynamowerk: Siemens will die Fertigung schließen

Die Nachricht über den umfassenden Stellenabbau hat das Berliner Dynamowerk regelrecht erschüttert. Der 16. November war für die Beschäftigten ein Schwarzer Donnerstag. Morgens lief die Meldung schon in den Nachrichten, noch bevor die Siemens-Führung mit den Arbeitnehmervertretern im Wirtschaftsausschuss des Konzerns zusammenkam. Darüber war die IG Metall erbost.

Im Dynamowerk in Spandau soll die komplette Produktion von Elektromotoren und Generatoren wegfallen und auf Werke in Erfurt und Mühlheim an der Ruhr verlagert werden. Für die Beschäftigten ist von einem Moment auf den anderen das Arbeitsleben aus den Fugen geraden.»Keiner hat bei uns an diesem Tag gearbeitet«, erzählt der Fertigungsingenieur Michael Baasner. »Wir wollten alle wissen, wie es weitergeht.« Tags darauf hat die Werksleitung eine Betriebsversammlung einberufen. »Die haben wir dann aber abgebrochen und sind raus auf die Straße«, erinnert sich Baasner, der bereits länger als drei Jahrzehnte bei Siemens arbeitet. Rund 400 Leute waren sie an dem Tag in der Frühschicht. »Keiner kann hier verstehen, dass der Konzern große Gewinne einstreicht und trotzdem massiv Stellen streicht«, sagt er.

Siemensstadt

»Dort hinter der Spree erheben sich gewaltige Gebäude in rotem Backsteinbau; vier- und fünfstöckige Gebäude von mehreren hundert Metern Front, und lange Maschinenhäuser dehnen sich aus.«

So lautet eine historische Beschreibung der Siemensstadt von 1913. Auf den Nonnenwiesen, einer großen Freifläche zwischen Spandau und Charlottenburg, waren die Werke von Siemens & Halske und Siemens-Schuckert entstanden. Vor den Toren Berlins erlangte Siemens Weltruhm.

11 300 Menschen leben derzeit in den Werkssiedlungen der zum Bezirk Spandau gehörenden Siemensstadt. Seine Blüte hatte sie in der Hochzeit der Industrialisierung. Früher hätten einmal mehr als 40 000 Menschen in Siemensstadt gearbeitet, rief Helmut Kleebank (SPD), der Bezirksbürgermeister von Spandau, den Beschäftigten des Dynamowerks im November während einer Kundgebung auf der Nonnendammallee zu. »Heute sind es weniger als 10 000.« Der seit Jahrzehnten anhaltende Abbau von Arbeitsplätzen in Siemensstadt ist exemplarisch für die Deindustrialisierung Berlins. Seine Zentrale hat Siemens bereits zu Beginn der Berlin-Blockade 1949 nach München verlagert. Das geteilte Berlin galt als unsicherer Produktionsort und war zudem weit entfernt von den Absatzmärkten.

Dennoch ist Berlin noch immer der größte Standort des Weltkonzerns. In den sieben Werken arbeiten heute rund 11 600 Beschäftigte. Nun plant Siemens aber in zwei Fabriken Stellen abzubauen: Im Dynamowerk soll die Fertigung aufgegeben werden. Von den 800 Arbeitsplätzen werden den Plänen zufolge nur 150 bis 200 erhalten bleiben. Und im Gasturbinenwerk in der Huttenstraße in Moabit, das rund 3700 Beschäftigte hat, sind 300 Stellen gefährdet.

Berlin hat sich hinter die Beschäftigten gestellt. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) forderte den Konzern auf, für die Standorte eine Perspektive zu entwickeln, etwa in Forschung und Entwicklung. Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) stellte eine bessere Förderung der Standorte in Aussicht. sot

Der Grund dafür liegt jedoch auf der Hand. Die Antriebs- und die Kraftwerkssparte bei Siemens haben zuletzt Auftragseinbußen erlitten. »Die Nachfrage ist dramatisch eingebrochen und wird nicht wieder das alte Niveau erreichen«, erklärte der Aufsichtsratschef Gerhard Cromme. Er stellte sich hinter den Kurs der harten Einschnitte von Vorstandschef Joe Kaeser. Knapp 7000 Arbeitsplätze will der Konzern weltweit in mehreren Sparten abbauen, rund die Hälfte davon in Deutschland. Im Berliner Dynamowerk stehen rund 570 Arbeitsplätze vor dem Aus, im Gasturbinenwerk in Berlin-Moabit weitere 300 Stellen.

Derzeit laufen Gespräche zwischen den Betriebsräten und den einzelnen Werken. Predrag Savic, Betriebsratschef des Dynamowerks, ist »verhalten optimistisch«, dass der große Kahlschlag doch noch abgewendet werden kann. Die nächste Sondierung findet am 13. April in der Siemens-Zentrale in München statt. Anschließend sollen die Verhandlungen konkret werden.

Während der letzten Zusammenkunft Mitte Februar hielten die Beschäftigten vor dem Werkstor am Dynamowerk eine Mahnwache ab, um Savic aus der Ferne zu unterstützen. »Wir fordern, dass Siemens seine Pläne zurücknimmt und die Arbeitsplätze in Berlin erhalten bleiben«, rief Klaus Abel, der Berliner IG-Metall-Chef den Mitarbeitern zu, die bei Minusgraden vor der Feuertonne ausharrten und trotzig klatschten. Abel wetterte gegen den Raubtierkapitalismus von Siemens. 6,2 Milliarden Euro Gewinn habe der Konzern im vergangenen Geschäftsjahr gemacht, wolle aber zugleich Stellen abbauen. Immer wieder weisen Gewerkschafter auf diese Diskrepanz hin.

Straßenproteste sind plakativ und reduzieren auf Kernforderungen. Um die Produktion im Dynamowerk aber zu halten, braucht es Konzepte. Die IG Metall ist mit einem eigenen Zukunftsmodell in die Münchner Gespräche gegangen. Der Plan strebt eine engere Verzahnung der Berliner Siemens-Werke mit den Hochschulen an. »Bisher findet eine Zusammenarbeit nur sporadisch in Einzelprojekten statt. Das ist dann eher zufällig«, sagt Savic. Außerdem sollen Start-ups für eine Zusammenarbeit mit ins Werk geholt werden, um Innovationen rascher umsetzen zu können. Auf die Unterstützung der Stadt können die Simensianer zählen. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) zeigte sich solidarisch. Er will ein weiteres Schrumpfen der Industrie in der Stadt verhindern. Gerade einmal 90 000 Menschen arbeiten noch in diesem Sektor – Tendenz sinkend: Neben Siemens kündigte im Dezember auch General Electric in seinen drei Berliner Werken einen Stellenabbau an. Der Leuchtmittelhersteller Ledvance will 220 Jobs streichen, und beim Bahnzulieferer Knorr-Bremse ist ein Arbeitsplatzabbau längst noch nicht vom Tisch.

Savic sitzt im Büro des Betriebsrats. Hier werden die Proteste gegen die Streichungen organisiert. Aus den Werkhallen nebenan hallt ab und zu ein lautes Knattern herüber. Siemens stellt im Dynamowerk Antriebe für Schiffe und Stahlwalzwerke, für Aufzüge und Lokomotiven her. »Dafür wird es immer einen Markt geben«, ist sich der 50-Jährige sicher. »Oft wird ja behauptet, dass die angekündigten Einschnitte mit der Energiewende zu tun haben«, sagt Savic. »Auf das Dynamowerk trifft das nicht zu.«

Siemens führt dagegen an, dass die Abnehmer großer elektrischer Motoren ihre Kapazitäten nicht ausweiten und der Absatz daher stagniere. Andere Sparten versprechen in absehbarer Zeit deutlich mehr Gewinne. Der geplante Stellenabbau zeigt, wie rigoros sich der Konzern gerade neu ausrichtet, um am Markt bestehen zu können.

Savic ist gelernter Ingenieur, der in den 90er Jahren, als das Dynamowerk bereits schon einmal kurz vor der Schließung stand, Generatoren für Offshore-Windkraftanlagen entwickelte. Damals hat es das Überleben des Werks gesichert. »Heute werden die Anlagen vor allem in Serbien hergestellt und dann nach Bremerhaven geliefert«, merkt er scheinbar gleichgültig an.

Auch diesmal wähnen die Beschäftigten einen Ausverkauf. Im vergangenen Sommer hat der Konzern bekannt gegeben, seine Niederlassungen in Tschechien auszubauen. Darunter befinden sich auch die Standorte Drásov, Frenštát pod Radhoštěm und Mohelnice, die ebenso wie das Dynamowerk Elektromotoren herstellen. Während in Deutschland in der Antriebssparte Arbeitsplätze wegfallen sollen, werden in den tschechischen Werken 1800 neue Jobs geschaffen. Ein Konzernsprecher wies einen Zusammenhang dieser beiden Entwicklungen jedoch zurück. Auch Siemens-Personalchefin Janina Kugel hatte zuvor bereits erklärt, keinen Unfrieden zwischen den Werken schaffen zu wollen. Man sei schließlich nicht »auf dem Jahrmarkt«. Doch Savic befürchtet längst, dass die Produktion nach und nach dorthin verlagert werden könnte – »nicht zuletzt, weil in Tschechien die Löhne niedriger sind.« Langsam verabschiede sich der Konzern aus Deutschland, glaubt er.

Tatsächlich kriselt das Dynamowerk schon länger. Die Auftragslage ist dünner geworden, zuletzt schrieb das Werk 2012 rote Zahlen. Laut Konzernangaben, betrug die Auslastung zum Jahresende gerade einmal 35 Prozent. Der Betriebsrat hält die Angabe aber für irreführend. »Der Umsatz ist immer wellenförmig«, erläutert Savic. »Mal gibt es viele Aufträge, dann wieder weniger.« Bei großen Antrieben, die nicht in Serie produziert werden, sei das völlig normal. Savic wiederum kritisiert den Konzern für die vielen Wechsel in der Führung des Dynamowerks. »Wir haben in vier Jahren vier verschiedene Werksleiter gehabt, und alle haben ihre Posten wieder neu vergeben.« Bei der Belegschaft habe das zu großer Verunsicherung geführt, sagt der Betriebsratschef.

Auch die Beschäftigten schimpfen über die Konzernleitung, die aus ihrer Sicht willkürlich den Rotstift ansetzt. Das täuscht aber nicht darüber hinweg, dass sie eigentlich zufrieden sind. »Wir haben hier einen Traumjob«, sagt etwa die Konstrukteurin Marie Beckmann. Im Dynamowerk gibt es keine Fließbandarbeit. Die großen Elektromotoren, die eine Leistung von bis zu 15 000 Umdrehungen pro Minute haben und ganz ruhig laufen müssen, werden vorwiegend als Unikate angefertigt, oftmals unter Berücksichtigung von speziellen Kundenwünschen. »Das erfordert eine große Kompetenz«, erklärt Karsten Lenz, der in der Elektromontage arbeitet. Gerade überholt er eine Antriebsmaschine für ein Walzwerk, die 1995 gebaut wurde. Lenz kann sich noch daran erinnern, als er selbst seinerzeit an der Fertigung beteiligt war.

Vor nunmehr 112 Jahren wurde das Dynamowerk eingeweiht. Längst herrscht in den Hallen kein Gewusel mehr. Nur vereinzelt sind Arbeiter zu sehen, die an den großen Werkstücken arbeiten. Mit jeder Modernisierung sank die Zahl der Arbeitsplätze. Einhergehend damit wuchs aber das Know-how, worauf die Belegschaft jetzt setzt.

Immer schon war die Entwicklung im Dynamowerk eng mit der Fertigung und der Wartung von ausgelieferten Maschinen verbunden. »Wenn nun die Produktion geschlossen werden soll, fehlt das Herzstück des Werkes«, meint Savic. Die Entwicklung werde sich dann auf Dauer nicht halten können, glaubt er. »Ingenieure brauchen die Fertigung vor der Haustür. Sie müssen Prototypen bauen und diese gleich testen, damit die Kinderkrankheiten behoben werden können«, erläutert er. »Sollte das nicht mehr möglich sein, dann wird sich auch die Entwicklung nicht halten können.« Die Beschäftigten im Dynamowerk befürchtet längst, dass der beabsichtigte Stellenabbau nur ein Schritt hin zu einer kompletten Schließung des Werkes ist. Einen solchen Tod auf Raten versucht Savic in den Gesprächen in München zu verhindern.

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