»Roma aller Länder ...«

Seit dem Wochenende findet die erste Roma-Biennale statt: Bilanz und Ausblick der Roma-Bewegung

  • von Lee Wiegand
  • Lesedauer: 4 Min.

Einer fehlte bei der Premiere der Roma-Biennale im Maxim Gorki-Theater vergangenen Samstagabend, dabei war er maßgeblich daran beteiligt, dass diese Veranstaltung überhaupt stattfinden konnte: Damian Le Bas. Im letzten Dezember verstarb der britische Künstler überraschend im Alter von 54 Jahren und hinterließ eine spürbare Lücke in den Reihen der Veranstalterinnen. Er prägte die sogenannte Roma-Kunst wie kein anderer. Eine eigene Biennale der Roma war sein Traum, seitdem er Mitte der 2000er zur treibenden Kraft des Roma-Pavillions, unter anderem auf der Biennale von Venedig, geworden ist.

So war es fast selbstverständlich, dass ihm zur Eröffnung die Retrospektive »Gypsyland« gewidmet wurde. Im Foyer des Gorki finden sich seine wichtigsten Arbeiten; vor allem mit Collagen aus Landkarten und Stadtplänen erlangte er weltweite Berühmtheit. Für ihn übernahm seine Witwe, die nicht minder bekannte Künstlerin Delaine Le Bas, die Leitung der Roma-Biennale und gab zu Beginn mit ihrer Installation »Romani Embassy« (Botschaft der Roma) die thematische Marschrichtung vor.

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Die fortlaufende Performance widmet sich der Frage nach der politischen Vertretung der Roma, die keinen Staat, keine Botschaft haben, die sie in schwierigen Zeiten unterstützen. Die Biennale zeigt kritisch die Problematik auf, die Organisationen wie zum Beispiel der Zentralrat deutscher Sinti und Roma verkörpern: Sie vertreten lediglich die Sinti und Roma in Deutschland, die auch einen deutschen Pass besitzen; Probleme anderer Roma fallen oft unter den Tisch, weil man die eigenen Errungenschaften nicht verlieren möchte. Der Kampf von Damian und Delaine Le Bas war von jeher ein Kampf für die gemeinsame Organisation aller Roma und anderer Minderheiten.

Die Roma, die keinen eigenen Staat haben, erleben Grenzen anders und sind mit anderen Problematiken konfrontiert. Das zeigt sich im Laufe des Abends immer wieder, vor allem in der ausverkauften »Langen Nacht des Coming-outs«. Die Schauspielerinnen spielen immer wieder mit dem Gedanken, mehr Außerirdische zu sein als akzeptierte Bewohnerinnen des Planeten Erde, und fassen diesen mit futuristischen Tanz- und Musikstücken, Monologen zusammen. Besonders eindrucksvoll sind die »Strange Appearances« der aus Ungarn stammenden Schauspielerin Franciska Farkas, die dem Publikum das Gefühl des Fremdseins auf eine Art und Weise näherbringt, die niemanden kaltlässt.

Coming-out ist ein Begriff, den man sonst eigentlich mit der LGBTQ-Bewegung verbindet. Er steht dafür, sich zu etwas zu bekennen, das man bisher vor sich selbst und anderen verheimlicht hat. Der Zusammenhang zum Aktivismus der Roma lässt sich gut an der Lebensgeschichte des Mitorganisators und Mitglieds des LINKE-Landesvorstands in Berlin Hamze Bytyci erklären, dessen Vater ihm einst den Rat mit auf den Weg gab, er solle einfach vorgeben Albaner zu sein. Ähnlich ergeht es vielen jungen Roma, die zwischen Assimilation und der Bewahrung und Weiterentwicklung der eigenen Identität stehen. Das von der Roma-Biennale geforderte Bekenntnis zu sich selbst gehört zu einem Prozess der Identitätsbildung, der wichtig ist, um sich aus der immer noch allgegenwärtigen Fremdbeschreibung und Fremdbestimmung zu lösen.

Dennoch machen die Künstlerinnen von Anfang an klar, dass es ihnen nicht nur um ihr eigenes Anliegen geht, sondern um die Verbindung der Kämpfe aller unterdrückten Minderheiten. Sie zeigen in der zweistündigen Veranstaltung deutliche Gemeinsamkeiten zum LGBTQ-Aktivismus, antirassistischen Initiativen und zum antifaschistischen Engagement auf. In Zeiten, in denen rechtspopulistische Kräfte vor allem in Osteuropa an die Macht kommen, in deren Schusslinie Roma seit jeher stehen, erscheint das wichtiger denn je. In diesem Zusammenhang bleiben dem Publikum trotz der humoristischen Einlagen immer wieder die Lacher im Halse stecken.

Am Sonntagmittag wurde das Festival mit einer großen Parade anlässlich des World Roma Day, beginnend am Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma, fortgesetzt. Hier solidarisierten sich Roma und Nicht-Roma mit anderen marginalisierten Gruppen gegen Antiziganismus und andere Formen von Rassismus und Ausgrenzung.

Das Festival läuft noch bis Dienstagabend. Den Abschluss macht um 19.30 Uhr das provokante Stück »Roma Armee«, nach einer Idee von Sandra und Simonida Selimović, welches sich mit dem Gedanken einer praktischen Selbstverteidigung der Roma beschäftigt.

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