Der Frieden von Belfast

Auch wenn Nordirland noch immer gespalten ist: Das Karfreitagsabkommen beendete den faktischen Bürgerkrieg

  • Nelli Tügel
  • Lesedauer: 5 Min.

»Ich kann die Hand der Geschichte auf meiner Schulter spüren«, sagte Tony Blair, der damalige Premierminister des Vereinigten Königreichs, über das sogenannte Karfreitagsabkommen vom 10. April 1998. Auch wenn das Gesicht von »New Labour« sonst nicht gerade für kluge Worte bekannt ist - in diesem Fall dürfte er Recht behalten haben: Das Karfreitagsabkommen hat Geschichte geschrieben.

Nach fast zweijährigen Verhandlungen hatten sich neben der britischen und irischen Regierung auch die »Konfliktparteien« Nordirlands auf das 69 Seiten starke Dokument geeinigt. Es legte den Grundstein für die Befriedung eines faktischen Krieges, der wiederum Erbe des irischen Unabhängigkeitskampfes aus dem frühen 20. Jahrhunderts war. Dieser hatte 1922 zur Loslösung Irlands vom Vereinigten Königreich, zur Teilung der Insel und damit auch zur Spaltung des irisch-republikanischen Lagers geführt. Denn der Norden - die Provinz Ulster - verblieb bei den Briten. Eine Tatsache, mit der sich ein Teil der irischen Nationalisten nie abfinden konnte und die in den 1960er Jahren - beflügelt von Bürgerrechtsbewegungen in den USA und anderswo - zu einem Anstieg von Protesten nordirischer Katholiken führte, die sich sozial und gesellschaftlich unterdrückt sahen. 1969 kam es vor diesem Hintergrund zur Gründung der Provisional Irish Republican Army (PIRA). Sie kämpfte fortan mit Waffen und befeuert von Ereignissen wie dem Blutsonntag von Derry, bei dem am 30. Januar 1972 13 Menschen von britischen Soldaten erschossen wurden, gegen die von ihr als Kolonialismus und Besatzung bezeichnete britische Anwesenheit in Nordirland - und trug diesen Kampf mit Anschlägen auch nach Großbritannien.

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Die bürgerkriegsähnlichen Zustände, die »Troubles«, kosteten im Laufe von fast drei Jahrzehnten weit mehr als 3000 Menschen das Leben. Der Konflikt hatte sich stets um die Frage der Zugehörigkeit Nordirlands gedreht - oft verliefen dabei die Spaltungslinien zwischen dem prounionistisch dominierten protestantischen Lager und dem der irisch-republikanischen Katholiken.

Die Formulierung, auf die sich die Konfliktparteien 1998 schließlich einigten, lautete: »Es wird hiermit erklärt, dass Nordirland in seiner Gesamtheit Teil des Vereinigten Königreichs bleibt.« Gleichzeitig wurde eine Loslösung nicht ausgeschlossen. Wenn, so das Abkommen, bei einem Referendum die Mehrheit der Bevölkerung Nordirlands den Wunsch äußere, dass Nordirland nicht länger Teil des Vereinigten Königreichs sein und sich der Republik Irland anschließen wolle, werde darüber verhandelt. Ebenfalls zentral für ihren letztlichen Erfolg war der in der Übereinkunft festgehaltene Wille zur Verringerung der britischen Truppen in der Region sowie zur Entwaffnung seitens der paramilitärischen Gruppen in Nordirland. Neben der (P)IRA betraf dies auch die unionistischen Terrorgruppen Ulster Defence Association (UDA) und Ulster Volunteer Force (UVF).

Trotz aller Skepsis, die vor 20 Jahren mit dem Karfreitagsabkommen verbunden war, ist es seitdem erfolgreich gewesen. Dass diese Skepsis besonders in der Unruheregion verbreitet war, um deren Befriedung es ging, zeigte die am 22. Mai 1998 in beiden Teilen der Insel abgehaltene Volksabstimmung. Während in der Republik Irland nur sechs Prozent gegen das Abkommen votierten, stimmten in Nordirland immerhin fast 30 Prozent mit Nein. Von den größeren Parteien war es die radikal-unionistische Democratic Unionist Party (DUP), die damals ihren Anhängern die Ablehnung des Abkommens empfahl.

Schon kurz nach dem Referendum, im Juni 1998, fanden die Wahlen zum nordirischen Regionalparlament statt, dem in der Übereinkunft weitgehende Selbstverwaltungsrechte eingeräumt wurden. In den ersten Jahren nach dem Abkommen funktionierte indes die Autonomie nicht. Mehrfach löste die britische Regierung das Regionalparlament auf. Zwischen Oktober 2002 und Mai 2007 war es durchgängig suspendiert, Nordirland wurde erneut direkt aus London regiert. Das Abkommen von St. Andrews aus dem Jahr 2006 führte schließlich 2007 zu Neuwahlen und der Bildung einer lange Zeit stabilen Regierung aus den stärksten Parteien beider Lager - wie es das Friedensabkommen vorsieht. Zuletzt waren das - bis zum Zerbrechen der Regionalregierung im Januar 2017 - Sinn Féin und die DUP.

Doch das Karfreitagsabkommen ging noch über die Vereinbarungen zur Entwaffnung und zur politischen Autonomie hinaus. Es war die Basis für enge grenzübergreifende Zusammenarbeit zwischen Irland und Nordirland, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten einen gemeinsamen Wirtschaftsraum hervorbrachte. Dieser lebt davon, dass es keine feste Grenze mehr zwischen Irland und Nordirland gibt. Auch wegen der Angst davor, dass das bald vorbei sein könnte, stimmte beim Brexit-Referendum im Sommer 2016 eine Mehrheit der Nordiren gegen den Austritt des Vereinigten Königreiches aus der EU. Inzwischen hat sich die irische Grenzfrage zum Casus Knacktus der Brexit-Verhandlungen gemausert.

Erleichtert wird die Lösung dieser Frage nicht gerade dadurch, dass seit den Unterhauswahlen vom Juni 2017 eine Repräsentantin der alten Konfliktlager - die DUP - die britische Regierung als Mehrheitsbeschafferin stützt. Der Pakt, den Theresa May schließen musste, um weiter an der Macht bleiben zu können, gibt der DUP Einfluss auf nationaler Ebene - und verhindert so in Nordirland die Neubildung einer Regionalregierung, u.a. weil Sinn Féin in dieser Einbeziehung der DUP die Bevorzugung einer Seite durch London sieht. Seit 15 Monaten ist Nordirland inzwischen ohne Regionalregierung.

Gefährdet ist das Karfreitagsabkommen nicht unmittelbar, aber 20 Jahre nach dem mühsam ausgehandelten Friedensdokument zeigt sich doch auch, wie volatil die Lage in Nordirland ist. Zum Jahrestag steht die dortige politische Krise der britischen Regierung nicht gut zu Gesicht. Die May-Regierung müsse ihre volle Aufmerksamkeit auf die Lösung der Regierungskrise in Nordirland richten, forderte der eingangs zitierte Elder Statesman Tony Blair kürzlich gegenüber der BBC. Wohl wissend, dass eine Lösung gleichzeitig das Ende der Regierung May bedeuten könnte. Denn ohne die Radikalen von der DUP verliert sie ihre Mehrheit in Londoner Unterhaus.

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