Branchenprimus auf Kosten anderer

Hessen: Wiesbaden hat ein neues CongressCenter - für die nächsten Jahre braucht es Millionenzuschüsse der Stadt

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn an diesem Wochenende Scharen von Menschen die Tage der Offenen Tür nutzen, um das neue RheinMain CongressCenter (RMCC) in Hessens Landeshauptstadt Wiesbaden von innen zu bestaunen, werden sich die Bauherren und die am Bau Beteiligten im Glanz einer neuen Hi-Tech-Immobilie sonnen.

»Auf dieses große Ereignis haben wir vier Jahre lang mit vielen vereinten Kräften hingearbeitet. Die Wiesbadener sind eingeladen, ihr neues Gebäude für sich zu entdecken und live zu erleben«, freut sich der Wiesbadener Wirtschaftsdezernent Detlev Bendel (CDU). »Das moderne Gebäude im Herzen der Landeshauptstadt wird viele Menschen beeindrucken«, so seine Überzeugung.

Die Gäste können nach Angaben der Stadt Wiesbaden ab Freitag durch eine Vielzahl von Räumen schlendern und hinter die Kulissen blicken. Sie können das RMCC auch durch Probesitzen in Kino-Atmosphäre testen und den 1953 in Wiesbaden produzierten Romy-Schneider-Klassiker »Wenn der weiße Flieder wieder blüht« auf sich wirken lassen. Sie können in einer Fotoausstellung ihren Blick auf die Architektur schärfen und sich mit Speisen und Getränken stärken.

Das neue RheinMain Congress-Center hat knapp 200 Millionen Euro gekostet und ist auf dem Gelände der früheren Rhein-Main-Hallen entstanden, die jahrzehntelang das Stadtbild geprägt hatten. Hier fanden Großveranstaltungen, Kongresse, Messen und Events wie der luxuriöse »Ball des Sports« statt. Von hier wurden einst TV-Shows wie »Einer wird gewinnen« und »Der Blaue Bock« ausgestrahlt, die in der alten BRD die halbe Nation vor die Bildschirme lockten.

Federführend für die Anlage ist ein kommunaler Eigenbetrieb. CDU-Wirtschaftsdezernent Bendel und seine Kooperationspartner in der Stadtregierung, SPD und Grüne, erhoffen sich vom RMCC einen neuen Schub für Tourismus, Gastronomie und lokale Wirtschaft, wenn Besucher von Veranstaltungen vor Ort übernachten und Geld ausgeben. Als modernstes Kongress- und Messezentrum der Republik und »Branchenführer« sei das RMCC dazu prädestiniert, Veranstalter anzulocken und die Bäderstadt aufzuwerten, in der einst Kaiser Wilhelm II. kurte. Und eine Großveranstaltung steht gleich in den nächsten Tagen an: Am 22. April will sich Andrea Nahles im RMCC zur SPD-Parteivorsitzenden wählen lassen.

Doch wo Bendel viel Licht sieht, da sehen andere auch viel Schatten. »Oben wird gefeiert - unten wird malocht«, heißt es in einem Flugblatt der Bauarbeitergewerkschaft IG BAU, das am Freitag an die Besucher und Gäste verteilt werden soll. Das Blatt bezieht sich auf Recherchen und einen Bericht des hessischen Senders Hitradio FFH über die Arbeitsbedingungen während der Baumaßnahmen, von Akkordarbeit und vorenthaltenen Mindestlöhnen ist die Rede. Während der Rohbauarbeiten hätten polnische Bauarbeiter berichtet, dass diese 8,50 Euro Stundenlohn erhalten hätten. »Der tarifliche Mindestlohn lag damals allerdings bei 14,45 Euro«, so die Gewerkschaft. Die Stadt müsse dafür sorgen, dass den Bauarbeitern Tariflöhne gezahlt werden, und das Land müsse diese Forderung mit einem »durchsetzbaren Vergabe und Tariftreuegesetz« abstützen, so die IG BAU.

Kritisch äußert sich auf nd-Anfrage auch Hartmut Bohrer, Chef der Fraktion LINKE&PIRATEN im Wiesbadener Rathaus. Er verweist darauf, dass die Stadt den Bau mit einem hohen Investitionszuschuss von rund 30 Millionen Euro gefördert habe. Gleichzeitig sei das aus der Stadtkasse zu begleichende jährliche Defizit deutlich höher als geplant. So seien statt der zunächst anvisierten fünf Millionen für 2018 weit über zwölf Millionen Zuschuss fällig. Für 2019 und 2020 wird das Defizit Schätzungen zufolge bei mehr als 13 Millionen Euro liegen.

»Dafür könnten wir viele Schulen sanieren und örtliche Arbeitsplätze im Handwerk schaffen«, ist Bohrer überzeugt. Zudem würden die meisten Eventbesucher nicht in Wiesbaden übernachten, sondern abends wieder abreisen, gibt er zu bedenken. Wenn jetzt andere Städte mit neuen und moderneren Kongress- und Messeimmobilien nachzögen, sei auch das RMCC bald nicht mehr »Branchenführer«.

Bohrer erinnert daran, dass CDU und SPD in Wiesbaden die 2012 eingeleitete und höchst umstrittene Privatisierung der kommunalen Dr. Horst Schmidt-Klinik (HSK) mit einem angeblich nicht mehr bezahlbaren Defizit von acht Millionen Euro begründet hätten. Beim RMCC hingegen zeigten sie sich großzügig. »Die HSK ist Daseinsfürsorge, das RMCC aber nicht.«

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