Heißer Draht und Raketenabwehr

Moskau wahrt trotz Trumps Drohungen Zurückhaltung / Erinnerung an die Kuba-Krise

  • Klaus Joachim Herrmann
  • Lesedauer: 3 Min.

»Einige Stunden bis zum Schlag: Westen bereitet sich auf Krieg vor. LIVE« - mit dieser Schlagzeile versah am Donnerstag die Internet-Zeitung gaseta.ru ihre Online-Übertragung zum angedrohten US-Raketenangriff auf Syrien. Eine Zwischenbilanz gegen Mittag fiel erst einmal beruhigend aus. Präsident Donald Trump habe 24 bis 48 Stunden für eine Entscheidung vorgesehen. Die Zeit sei verstrichen und bislang nichts geschehen. Demonstrativ unaufgeregt gab sich in der Staatsduma Dmitri Sablin, Vorsitzender der Patriotischen Plattform der Fraktion Geeintes Russland: Russlands erste Aufgabe bleibe der Wiederaufbau Syriens, während die USA über Zerstörung nachdächten.

Auch aus dem Kreml drangen beruhigende Töne. Es sei »extrem wichtig«, jegliche Schritte zu vermeiden, die weitere Spannungen schüren könnten, bekräftigte dessen Sprecher Dmitri Peskow. Am Vorabend hatte Präsident Wladimir Putin Zurückhaltung angemahnt. Die Lage auf der Welt werde immer »chaotischer« und gebe Anlass zur »Sorge«, sagte er. »Dennoch hoffen wir, dass der gesunde Menschenverstand letztlich die Oberhand behält.« Putin äußerte die Hoffnung auf eine »konstruktive Richtung« in den internationalen Beziehungen und dass das »Weltsystem« wieder »stabiler und vorhersehbarer« werde.

Etwas beruhigen könnte zudem, dass es nach Angaben des Kreml einen direkten Kontakt Moskau-Washington gibt. Offenbar nach Art des nach der Kubakrise von 1962 eingerichteten »heißen Drahtes« funktioniere ein Kommunikationskanal zur Vorbeugung gegen militärische Vorfälle zwischen Russland und den USA.

In ganz anderer Weise erinnerte Generaloberst Leonid Iwaschow, Präsident der russischen Akademie für geopolitische Probleme, an die Kuba-Krise: »Man soll unsere Raketentruppen zeitig voll einsatzbereit machen und U-Boote mit ballistischen Marschflugkörpern in den Weltozean bringen, um die Situation derjenigen anzunähern, die es 1962 gegeben hat«, sagte er dem an das Ausland gerichteten Portal »Sputnik-News«. Man brauche nicht vor der Anwendung von Gewalt zurückzuschrecken. »Gegen die Schiffe, die auf Damaskus und andere syrische Städte Tomahawks abfeuern, ist ein Gegenschlag auszuführen. Sie müssen versenkt werden.«

Von Experten wird eine militärische Konfrontation nicht ausgeschlossen. Die in Syrien stationierte moderne russische Luftabwehr des gefürchteten Systems SS 400 werde kaum untätig bleiben und »nicht wenige« US-Raketen abschießen. Erinnert wird an die bereits früher getroffene Feststellung des Generalstabschefs Waleri Gerassimow, dass Schläge gegen Objekte in Syrien durch die russischen Streitkräfte mit Handlungen gegen die Raketen oder deren Abschussbasen beantwortet würden.

Die Vorwürfe, das Militär des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad habe Chemiewaffen eingesetzt, betrachtet Moskau als Teil einer gegen Russland gerichteten Kampagne. Seinem Land werde vorgeworfen, ein »verbrecherisches Regime« zu decken, hatte zu Wochenbeginn Außenminister Sergej Lawrow erklärt. Die vom Westen unterstützte Hilfsorganisation »Weißhelme«, von der Berichte über angebliche Giftgasangriffe stammen, wird als mehrfach mit Falschmeldungen aufgefallener Handlanger der »Terroristen« kritisiert. Es sei unsinnig, dass Assad angesichts seines umfassenden Sieges über die Opposition Giftgas eingesetzt haben soll.

Beruhigend meint allerdings Wladimir Tscherbakow, Militärbeobachter der »Njesawissimaja Gasjeta«, Washington habe sich noch nicht entschieden, einen Dritten Weltkrieg zu beginnen. Er verweist auf die Möglichkeit eines vom US-Präsidenten gern angewandten Szenarios: schimpfen, drohen und Angst machen, um danach Gespräche vorzuschlagen. Was aber, wenn jemand die Nerven verliert? Dann gibt es immer noch die Hoffnung, die Sergej Modestow, Vizepräsident der Militärakademie, verbreitet. Er schließt aus, dass US-Schläge gegen Objekte geführt werden könnten, in denen sich russisches Militär befindet. Besorgt äußerte sich Maria Sacharowa, Sprecherin des Außenministeriums, auf ihrer Facebook-Seite zu Meldungen, dass Premierministerin Theresa May britische U-Boote in Schussweite bringen wolle. Auf diesen Schiffen befänden sich junge Leute, die sich nicht vorstellen könnten, welches Schicksal ihnen May bereiten werde.

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