Ein Landrat, der sein Mantra betet

In Ostprignitz-Ruppin kandidiert für die LINKE der Buddhist Christian Scherkenbach

»Ihr seid doch die alte SED«, schimpft ein Mann am Freitagmorgen auf dem Marktplatz in Kyritz (Ostprignitz-Ruppin). Der LINKE-Kreisvorsitzende Paul Schmudlach stöhnt, seine Partei könne keinen Infostand machen, ohne dass nicht immer wenigstens ein Passant damit komme. Dabei ist Schmudlach erst 26 Jahre alt, Kreisgeschäftsführer Justin König, der neben ihm steht, erst 20 Jahre. Beide haben mit der SED-Vergangenheit nun wirklich nichts zu tun. Sie sind schließlich erst nach der Wende geboren. Das sieht der Mann auch ein, empört sich aber dennoch über die LINKE. Auch von ihrer Politik heute möchte er nichts hören.

Doch Christian Scherkenbach gelingt das Unfassbare. Nach einer halben Stunde Gespräch verabschiedet sich der Mann mit seiner Frau, die mittlerweile dazugetreten ist, von Scherkenbach mit dem Versprechen, ihn am 22. April anzukreuzen. Denn am 22. April ist in Ostprignitz-Ruppin Landratswahl, so wie zeitgleich auch in fünf anderen brandenburgischen Landkreisen. Die LINKE hat Scherkenbach nominiert. Der 58-Jährige ist Kieferchirurg und Betriebsratschef in den Ruppiner Klinken, in denen er einst zur Welt kam. Einer von hier ist er also, und er ist parteilos und möchte es bleiben. Das überzeugt auch das anfangs so abweisende Ehepaar. Denn Scherkenbach möchte ein Landrat sein, der »mit den Menschen« etwas bewegt und nicht »über die Menschen hinweg« agiert, wie sein Konkurrent, der aktuelle Landrat Ralf Reinhardt (SPD), es leider mache. »Meine größte Angst ist, dass ich nach acht Jahren als Landrat genau so ein Politikertyp wie Reinhardt wäre«, verrät Scherkenbach. »Das wird mein Morgenmantra sein, dass ich nicht so werden will.« Natürlich hätte dieses Versprechen allein bei dem Ehepaar nicht ausgereicht. Bei der Überzeugungsarbeit spielt eine Rolle, dass Scherkenbach mit den Eheleuten einfühlsam über die Krebserkrankung des Mannes redet und sich herausstellt, dass der behandelnde Arzt des Mannes ein guter alter Freund von Scherkenbach ist. Aber dahin muss so ein Gespräch auch erst einmal gelangen. Dass es dazu kommt, hat mit der sympathischen Art des Kandidaten zu tun. Standesdünkel sind ihm genauso fremd wie die Vorstellung, Menschen wegen ihrer geringeren Bildung gering zu schätzen. »Bei mir versteht jeder Patient, was ich ihm erkläre«, versichert der Oberarzt.

Er begegnet Menschen mit Respekt. Das hat mit seiner Religion zu tun, dem Buddhismus. Oder besser gesagt: Er bekannte sich zum Buddhismus, weil das zu seinem Wesen passt. Streng katholisch erzogen, wandte sich Scherkenbach als Jugendlicher von der Kirche ab, weil ihn die Legende von der unbefleckten Empfängnis der Jungfrau Maria belustigte. Nach der Wende fiel Scherkenbach privat und beruflich in ein tiefes Loch. Dann sah er den Film »Sieben Jahre in Tibet« (1997) und traf in Hamburg den Dalai Lama. Dessen Aura habe ihn fasziniert, sagt er. »Da wusste ich, der Buddhismus, das ist meine Religion«. Dabei ist Scherkenbach durchaus bewusst, dass auch im Namen des Buddhismus Gräueltaten verübt werden. Trotzdem darf diese Religion, die beinahe mehr eine Lebensphilosophie ist, als friedlicher angelegt gelten als beispielsweise das Christentum oder der Islam.

Doch zurück zur Politik. Bei der Landratswahl vor acht Jahren hatte die LINKE, nachdem ihr eigener Kandidat ausgeschieden war, vor der Stichwahl für den SPD-Bewerber Reinhardt geworben. Es gab dazu auch eine schriftliche Absichtserklärung über gemeinsame Wünsche, an die sich Reinhardt aber schon drei Wochen danach nicht mehr gebunden gefühlt habe, wie die LINKE bedauert. Welche Chance hat Scherkenbach nun gegen Reinhardt, der den Amtsbonus hat? Welche Chance hat er gegen den Landwirt Sven Deter (CDU), dessen Partei bei der Bundestagswahl 2017 in Ostprignitz-Ruppin mit 29,8 Prozent klar vorn lag, welche Chance gegen Petra Hentschel (AfD), hinter deren Partei die LINKE mit 16,8 Prozent nur auf Platz vier landete? Der Vollständigkeit halber: Welche Chance hat er gegen Hans-Georg Rieger (Freie Wähler)?

»Ich möchte in die Stichwahl kommen. Dann sehen wir weiter«, sagt Scherkenbach. Der LINKE-Kreisvorsitzende Schmudlach äußert vorsichtig: »Unsere Ziele sind: mit Christian Scherkenbach mindestens den dritten Platz zu erreichen, auf jeden Fall die AfD zu überflügeln und ein besseres Ergebnis zu erzielen als bei der Bundestagswahl.«

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