»Ein weiterer Baustein der Repression«

Hausprojekt »Rigaer 94« beklagt »blanke Gewalt« durch den Staat / Aufruf zur Teilnahme an Mieterdemo

  • Christian Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Vorwiegend junge Leute sitzen mit Getränken auf dem Gehweg, vom Balkon der Liebigstraße 34 schallt Hiphop. Die Kundgebung am sogenannten Dorfplatz, der Kreuzung von Rigaer und Liebigstraße, zu der das linksradikale Hausprojekt »Rigaer 94« aufgerufen hatte, beginnt als entspannter Frühlingsabend.

Der Anlass ist weniger entspannt. Am 29. März waren 350 Polizeikräfte angerückt, um einen Hausbewohner festzunehmen. Laut Polizei soll er in der ersten Märzhälfte »einen Mann zu Boden geschlagen und bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt zu haben«. Medienberichten zufolge hätte das Opfer zuvor lediglich eine Bemerkung über den Hund des Beschuldigten gemacht. Die Redner_innen widersprechen der Darstellung vehement. Mit der Kundgebung will man sowohl der Polizei als auch der Boulevardberichterstattung über diesen Vorfall die Perspektive der Hausbewohner_innen und der Angehörigen des Festgenommenen entgegensetzen.

Isa, so der Name des Mannes, der seit mehr als zehn Jahren mit seiner Familie in dem Haus wohnt, sei keineswegs der »kiezbekannte Schläger«, als den ihn Zeitungsberichte abstempeln wollten, sagt die Moderatorin, die sich Leila nennt. Wie alle anderen will sie ihren Nachnamen nicht nennen. Auch Isas Frau Anja war an jenem Tag zugegen. Sie schildert, wie sie die Situation erlebt hat. Sie sei von einem Mann mit einer Bierflasche bedroht worden, der zuvor bereits Isas Hund eine volle Flasche auf den Kopf geschlagen habe. Daraufhin habe Isa den Mann überwältigt, jedoch nicht zusammengeschlagen. Die Akteneinsicht habe zudem ergeben, dass »kein einziger Zeuge von Schlägen und Tritten« spreche.

Als Isa dann am 29. März beim Gassigehen festgenommen wurde, habe man ihm die Wohnungsschlüssel abgenommen. Dutzende Polizisten hätten anschließend die Wohnung betreten, »dabei wurden die Kinder in ihren Zimmern in Unterwäsche aus dem Bett geholt und verhöhnt«, so die Moderatorin weiter. Isa sitzt weiterhin in Untersuchungshaft, eine Haftprüfung am Donnerstag verlief negativ.

»Die Festnahme ist lediglich ein weiterer Baustein der Repression rund um die Rigaer Straße«, sagt Josef, ebenfalls Bewohner der »Rigaer 94«. Die Polizei sei rund um die Uhr vor Ort, »um dem Kapital den Weg zu ebnen«, und sobald sich Widerstand rege, ziehe der Staat eben alle Register von »Integration durch gefakte Bürgerbeteiligungsverfahren bis hin zu blanker Gewalt«, so Josef weiter. Wichtig sei es, gemeinsam zu handeln. Die Mietenwahnsinn-Demonstration sei eine gute Gelegenheit dazu und man werde sich aus dem Nordkiez beteiligen. Für Mai seien dann »Diskussions- und Chaostage« mit zahlreichen Veranstaltungen geplant.

Nach der Kundgebung findet Leila im Gespräch trotz der angespannten Situation in der Straße ermutigende Worte. Im Kiez sei die Aktionsgruppe Rigaer 71-73 aktiv und organisiere Anwohner_innen gegen das umstrittene Bauprojekt »Carré Sama-Riga« der CG Immobilien-Gruppe. Auch im Rigaer Straßen-Plenum fänden viele Anwohner_innen regelmäßig zusammen und berieten darüber, wie man Teilbereichskämpfe auch jenseits der Mietenproblematik zusammenführen könne. »Widerstand bringt’s!«, so ihr Fazit. Der erfordere jedoch solidarisches Handeln im alltäglichen Leben.

Die Polizei war zwar den ganzen Abend präsent, hat sich allerdings deutlich zurückgehalten.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal