nd-aktuell.de / 17.04.2018 / Kultur / Seite 14

Der Denkfähigkeit vertrauen

Jurymitglied Elizabeth Blonzen über die diesjährige Auswahl zum Theatertreffen der Jugend

Wie viele Stücke haben Sie sich angesehen?

Zunächst einmal 65 von den Theatergruppen eingereichte DVDs bei mir zu Hause, von Anfang Dezember bis Mitte Januar. Das ist wie Geschenke auspacken. Was gibt es dieses Jahr? Sehr aufregend. Während ich sichte, kommentiere ich laut vor dem Computer, was meine Familie sehr amüsiert.

Welche Themen faszinieren Sie?

Für mich ist das Spannendste, welche Fragen sich die Jugendlichen beim Theaterspielen stellen und mit welchen Problemen sie sich auseinandersetzen. Klima, Schönheitswahn, Digitalisierung, Globalisierung sind in diesem Jahr Themen, die die Jugendlichen verstärkt beschäftigen. Wie gehen sie damit um? Überfordert, ratlos, hilflos. Auch der Optimierungszwang spielt eine Rolle. Also, der Druck, unter dem Eltern stehen und den sie an die Kinder weitergeben, wenn es darum geht, den Nachwuchs für das Leben, für den Erfolg fit zu machen. Das geht ja mitunter früh los. Als ich schwanger war, machte es die Runde, man müsse unbedingt regelmäßig Mozart hören, damit das Kind bestimmte Gehirnregionen gut entwickelt. Ich habe weiter so gelebt wie bisher. Mozarts Mutter hat ja auch nicht Mozart gehört.

Was sollte man Kindern fürs Leben mitgeben?

Respekt vor sich selbst und vor anderen, denn eines bedingt das andere. Sowohl »Ja« als auch »Nein« sagen zu können. Dass es ein Gewinn ist, dass sie da sind. Solchen selbstbewussten jungen Menschen bin ich bei der Vorbereitung des Jugendtheatertreffens oft begegnet - beeindruckend.

Sind das auch Prämissen für die anderen Juroren?

Jeder geht an eine solche Aufgabe natürlich mit seinem Lebens- und Berufshintergrund heran, bringt ein, was er kann. Wir sind mit großem Respekt miteinander umgegangen. Ich konnte von anderen lernen. Jeder konnte überzeugen, konnte überzeugt werden in den vielen Gesprächen, die wir hatten, sich der Sicht des anderen annähern oder nicht. Aber keineswegs wir, sondern die Jugendlichen standen bei allem im Mittelpunkt. Das habe ich so noch nie erlebt.

Sie mussten viel Zeit investieren.

Wir alle. Nach der ersten Sichtung wurde über sämtliche Stücke ausführlich gesprochen. Auch über die Beschreibungen, die die Gruppen für ihr Projekt abgaben. Unsere Aufgabe war es, zu prüfen, ob es ihnen gelungen ist, mit theatralen Mitteln zu arbeiten, und ob die Jugendlichen ihre Ideen in die Stücke eingebracht haben. Es geht ja nicht um die Arbeit professioneller Regisseure, sondern um die Ausdrucksweise der jungen Akteure, um ihre Sprache. Und herrlich, wie sie erklären, wie die Welt läuft.

Wann haben Sie die verschiedenen Aufführungen dann auf der Bühne gesehen?

Als die Zwischenauswahl stand, sind wir mindestens zu dritt zu den Gruppen gefahren, sahen uns die Aufführungen an und führten im Anschluss Gespräche mit den Jugendlichen. Dabei wurde noch mal deutlicher, ob sie ihre Vorstellungen umsetzen konnten. Wir hatten auch im Blick, dass die Altersgrenze eingehalten wird.

Welche Stücke sind bei Ihnen durchgefallen?

Solche, bei denen der eigene Zugriff der Jugendlichen fehlt, bei denen ohne Brüche und ohne erkennbaren theatralen Zugriff gearbeitet wurde. Darstellungsformen, die tradierte Geschlechterrollen kritiklos reproduzieren, interessieren uns wenig bis gar nicht. Wir schauen nach der Auseinandersetzung damit, der Reibung, dem Konflikt. Homosexualität in »Frühlings Erwachen« - selten ein Thema. Warum spielt immer die scheinbar Hübsche die Julia, die vermeintlich Dicke die Amme?

Im Festivalrahmenprogramm arbeiten Sie in einem Schauspiel-Workshop mit. Was wollen Sie den Jugendlichen da mitgeben?

Es geht um Aufmerksamkeit. Eine Währung, die heute auch im Alltag hoch gewertet wird. Die Jugendlichen können lernen, eigene Zweifel mit Selbstbewusstsein zu besiegen. Natürlich geben wir auch Tipps und Tricks, mit denen Schauspieler gekonnt Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Gut konzipiert ist, dass alle am Ende präsentieren, woran sie jeweils in ihren Workshops gearbeitet haben.

Sie fanden in Ihrer Begründung zur Auswahl viel Lob für die Gruppe »Junge Prinz*essinnen« aus Bochum.

Mit »Caligula« nach dem Stück von Albert Camus ist eine ästhetisch und schauspielerisch überzeugende Arbeit gelungen. Hoch anzurechnen ist der Gruppe, dass sie für das 1938 in der Zeit des Faschismus geschriebene künstlerische Werk auf platte Modernisierungen verzichtet. Sie vertraut auf die Denkfähigkeit des Publikums.

In harter Arbeit mussten sich die Juroren aus 105 Bewerbungen letztlich für acht Stücke entscheiden. Können Sie mit der Auswahl gut leben?

Sehr gut. Anerkennenswerte Produktionen aus Stadt und Land sind zu sehen. Multikulturelle Gruppen. Auch eine, in der Behinderte ohne jeden Mitleidsbonus spielen. Die jungen Spielerinnen und Spieler kommen von verschiedensten Schulen und Jugendklubs. Ich wünschte mir, es wäre einmal eine Gruppe von einer Berufsschule dabei. Das wäre etwas Besonderes. Ich freue mich, dass das Treffen nun beginnt. Es wird ein Fest!