nd-aktuell.de / 25.04.2018 / Berlin / Seite 9

»Ihre Kämpfe sind auch unsere Kämpfe«

Tobias Feldner über die Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration, bei der viele PKK-Fahnen wehen sollen

Johanna Treblin

Herr Feldner, zur Revolutionären 1.-Mai-Demonstration erwarten Sie wieder 15.000 Teilnehmer. Sie rufen zu einem Fahnenmeer mit Symbolen der kurdischen Befreiungsbewegungen auf. Werden wir um 18 Uhr in Kreuzberg 15.000 verbotene PKK-Fahnen sehen?

Nein, der Fahnenmeerblock wird nur einen Teil der Demonstration ausmachen. Aber mehrere hundert könnten es schon werden. Es gibt ja eine Fülle von Fahnen, dazu zählen unter anderem die PKK-Fahne, das Porträt von Abdullah Öcalan, YPG- und YPJ-Fahnen.

Normalerweise sind bei der Revolutionären 1.-Mai-Demonstration Parteifahnen nicht so gerne gesehen. Wieso ist das bei der Arbeiterpartei Kurdistans anders?

Die PKK-Fahne ist nicht einfach nur eine Parteifahne, sondern auch ein wichtiges Symbol für die kurdischen Befreiungsbewegungen, das auf den diesjährigen Afrin-Demos in fast allen Ländern Europas zu sehen war.

In Deutschland sind PKK-Zeichen verboten, das gilt auch für Abbilder ihres Vorsitzenden Öcalan. In Berlin sind Fahnen der syrisch-kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG/YPJ erlaubt. Wieso beschränken Sie sich nicht auf diese?

Wenn man dafür kämpfen will, dass das Verbot der PKK aufgehoben wird, und wenn man deutlich machen will, wofür die PKK steht, dann bleibt einem nichts anderes übrig, als diese Fahnen zu zeigen. Die PKK ist nicht mehr die marxistisch-leninistische und autoritäre Kaderpartei der 1980er Jahre. Heute ist sie eine Partei in Bewegung, die für demokratischen Konföderalismus steht, die Neubewertung von Religion und Ethnie, die Frauenbefreiung und die Ökologiefrage. Diese Ideen werden beispielsweise in Rojava konkret umgesetzt. Dort sind alle Gremien zu 50 Prozent mit Frauen besetzt, es gibt eine eigene Frauenverteidigungseinheit, und das ganze System wird basisdemokratisch organisiert. Und jede Religion ist dort willkommen.

Welche Bedeutung haben die kurdischen Befreiungsbewegungen für die radikale Linke in Deutschland oder in Berlin - warum wollen Sie diese Fahnen zeigen?

Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen ist es ein direkter Solidaritätsakt mit unseren kurdischen Genoss*innen, die zum Beispiel in Rojava getötet und gefoltert werden. Und wenn Kurd*innen in Deutschland diese Fahnen zeigen, haben sie durchaus mehr Repressionen zu erwarten als Nicht-Kurd*innen. Zum anderen begreifen wir uns als eine internationalistische Linke. Befreiung und Gerechtigkeit können nur international funktionieren und hergestellt werden und das, wofür die Kurd*innen kämpfen, sind auch unsere Kämpfe. Wir müssen gemeinsam unsere Werte verteidigen und erkämpfen, um diese Welt verändern zu können.

Veränderungen auch in Deutschland?

Ja. Die kurdische Bewegung wird mit dem Verbot der PKK hier in Deutschland kriminalisiert. Man muss sich nur mal die vergangenen Monate angucken: die Hausdurchsuchung im Mezopotamien-Verlag in Neuss, und in Hannover sollte sogar das Newroz-Fest der Kurd*innen - das Neujahrsfest - verboten werden.

Es geht also um die Solidarität mit Kurden auch in Deutschland?

Nicht nur. Wie gesagt, die Kämpfe der Kurd*innen sind auch unsere Kämpfe. Auf der 1.-Mai-Demo kommen sie zusammen, die traditionell ein Kulminationspunkt für die gesamte linke Bewegung ist.

Sie wollen wie immer um 18 Uhr am Oranienplatz starten. Dann wird der gesamte Block mit Fahnen wedeln?

Gerade nicht. Wir würden sogar explizit davon abraten, sie schon auf dem Oranienplatz zu zeigen. Wir entscheiden spontan während der Demonstration, wann wir sie hochnehmen.

Aber es wird irgendein Signal geben?

Das werden die Leute schon mitkriegen, wann es sinnvoll ist, diese Fahnen während der Demo zu zeigen.

Sie wollen wie im vergangenen Jahr an Orten der Verdrängung vorbeilaufen. Geht es auch wieder nach Neukölln?

Wir gehen wie im vergangenen Jahr durchs Myfest, werden auf unserem weiteren Weg den Görlitzer Bahnhof und später auch das Schlesische Tor sehen. Mehr kann ich noch nicht verraten. Die genaue Demoroute wird aber bald veröffentlicht. Auf jeden Fall wird die Strecke nicht so lang wie werden wie 2017.

Weil Sie davon ausgehen, dass die Polizei Sie mit den Fahnen sowieso nicht weit kommen lassen wird? In Köln wurde eine Demo wegen verbotener PKK-Fahnen gestoppt, in Dortmund sogar eine verboten.

Nein, überhaupt nicht. Wir gehen davon aus, dass wir unsere Route laufen werden. Polizei und Innensenator haben angekündigt, die Demonstration nicht stoppen zu wollen. Die Polizei will Verstöße filmisch dokumentieren und sie zu gegebenem Anlass ahnden. Das ist klug: Wenn man allein wegen Fahnen eine Demo mit 15 000 Leuten angreift, läuft man Gefahr, die Lage zu eskalieren.

Wer allerdings verbotene Fahnen zeigt, muss darauf vorbereitet sein, im Anschluss an die Demo herausgezogen zu werden oder zumindest später Post von der Polizei zu bekommen.

Das gehört zu zivilem Ungehorsam dazu und könnte tatsächlich passieren. Es ist aber nur ein Verstoß gegen das Vereinsgesetz und wird vermutlich maximal mit einer Geldstrafe bestraft. Der beste Schutz gegen strafrechtliche Verfolgung ist, sich kreativ zu verkleiden: gegen die Sonne ein Käppi aufzusetzen und einen Sommerschal umzulegen, und rote, grüne oder gelbe T-Shirts zu tragen. Die Erfahrung aus ähnlichen Aktionen hat außerdem gezeigt, je mehr Leute sich beteiligen, desto geringer ist die Repression. Wir übernehmen auf jeden Fall Verantwortung für unsere Aktion, und wenn es notwendig sein sollte, wird es tolle Solipartys geben - mit PKK-Fahnen an den Wänden und auf der Bühne.

Wenn in Deutschland öffentlich PKK-Fahnen wehen, wirft der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan der Bundesregierung gerne mal vor, Terrorpropaganda zuzulassen. Dass es das Fahnenverbot überhaupt noch gibt - welchen Anteil daran trägt die Türkei?

Es ist offensichtlich, dass die deutsche Regierung durch die Türkei beeinflusst ist. Die Bundesregierung hat ja ein Interesse daran, Flüchtlinge von ihren Grenzen fernzuhalten und hat in der Türkei einen Partner gefunden, der sie dabei unterstützt, indem er die Flüchtlinge bei sich einsperrt. Im Gegenzug kriminalisiert die deutsche Regierung hier die Kurd*innen. Der Kampf der Türkei gegen die Kurd*innen spielt zudem der deutschen Wirtschaft in die Hände: Zum Beispiel setzt die Türkei deutsche Leopard-II-Panzer gegen die kurdische Bevölkerung in Afrin ein. Die Waffendeals bringen der deutschen Wirtschaft Milliarden ein. Die Repression gegen die Kurd*innen bringt also beiden Seiten etwas. Wir rechnen damit, dass am 2. Mai der deutsche Botschafter in der Türkei einbestellt wird.