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Die Musik spielt auf dem Arbeitsmarkt

Die wachsende Zahl der Alten muss die Rente nicht gefährden, wenn es mehr Beschäftigung für die Jüngeren gibt

»Unbezahlbar« seien die Rentenpläne der Koalition, so machten diese Woche Ökonomen vom Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik in München Stimmung gegen die Verabredungen von SPD und Union. Danach soll das Rentenniveau bis zum Jahr 2025 nicht unter 48 Prozent eines Bruttolohns sinken und der Beitragssatz nicht über 20 Prozent steigen. Gewerkschaften verbuchen es als Erfolg ihrer Kampagne für einen Kurswechsel in der Rentenpolitik. Mehr als 80 000 Bürger unterzeichneten einen entsprechenden Rentenappell an die Politik und wären damit mitverantwortlich, dass auf den Staat schon bald »gigantische Kosten« zukommen. Die prognostizieren die Münchner Rentenforscher, denn wenn in den kommenden Jahren die Zahl der Beitragszahler sinkt und die der Rentner steigt, müsste der Bund die Finanzierungslücke schließen - ab 2025 bräuchte er elf Milliarden Euro im Jahr, 2035 schon 80 Milliarden Euro, 2048 gar 125 Milliarden. Dabei überweist er schon heute gut 90 Milliarden Euro im Jahr an die Rentenversicherung. Nach diesem Szenario erklären die Ökonomen höhere Beiträge und eine längere Lebensarbeitszeit einmal mehr für unausweichlich.

Diese eingängige Formel - weniger Beitragszahler und mehr Rentner, gleich Riesenproblem - bestimmt seit Jahren die Rentendebatte. Das hat sich auch durch die leichte Modifikation im Koalitionsvertrag nicht verändert. Doch diese Sichtweise ist »verengt«, wie Gustav Horn vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung kritisiert. So können die Auswirkungen des demografischen Wandels mit einer veränderten Arbeitsmarktpolitik deutlich reduziert werden, heißt es in einer neuen Analyse, die gemeinsam vom IMK, dem Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung sowie der Kammer für Arbeiter und Angestellte (AK) Wien erstellt wurde.

Vor allem Frauen, Ältere und Mi- granten müssten besser in den Arbeitsmarkt integriert sowie Unterbeschäftigung mit sehr kurzen Arbeitszeiten wie in Minijobs abgebaut werden. »Bei der Erwerbstätigkeit gibt es noch erhebliche Spielräume zur Gestaltung«, betont Horn. Damit blieben die Auswirkungen der gesellschaftlichen Alterung bis 2060 finanziell gut beherrschbar. Größere Eingriffe ins Rentensystem könnten dauerhaft vermieden werden.

Die Ökonomen lehnen viele Pro- gnosen denn auch als »Katastrophenszenarien« ab. Vermeintlich stabile demografische Trends würden über Jahrzehnte fortgeschrieben, obwohl es signifikante Änderungen gebe. Sie verweisen dabei auf eine »bemerkenswerte Revision« zum sogenannten Altenquotienten in Deutschland. 2014 ging das Statistische Amt der Europäischen Union (Eurostat) noch davon aus, dass sich bis 2040 bundesweit der Anteil der über 65-Jährigen im Verhältnis zu den 15- bis 64-Jährigen um 75 Prozent erhöhen wird. In der aktuellen Prognose von 2017 rechnet Eurostat, unter anderem wegen der stärkeren Zuwanderung, aber nur noch mit einem Anteil von 55 Prozent. Ohnehin hat der Altenquotient nur »eine geringe Aussagekraft«, wie Joseph Wöss von der AK Wien erklärt. Mindestens ebenso wichtig wie die Demografie sei der ökonomische Status der Menschen.

Wie groß der Effekt sein kann, berechneten die Ökonomen anhand eines »High Employment Szenarios«, bei dem Deutschland bis 2050 die Erwerbsquoten erreicht, die Schweden heute bereits hat. In ihrer Modellrechnung legten sie dafür eine Entwicklung für Deutschland zugrunde, wie sie im Kern Linksregierungen anstreben: Unterbeschäftigung in Deutschland sinkt durch bessere Bildung, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessert sich, es gibt auch für Ältere noch Arbeitsplätze. Unter diesen Bedingungen würde sich die ökonomische Abhängigkeitsquote, also der Anteil der Rentner und Beschäftigungslosen im Vergleich zu den Erwerbstätigen, bis 2040 um lediglich 19 Prozent erhöhen. Auf Basis der Bevölkerungsschätzung von 2017 ergebe sich sogar ein Anteil von nur 8 Prozent bis 2040.

Der demografische Wandel wäre dann »keine Monster-Welle«, die auf Deutschland zurollt, sondern »ein durchaus zu bewältigender Seegang«, so Horn.

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