• Politik
  • Flüchtlingspolitik der Bundesregierung

Jesiden müssen wieder zittern

Angeblicher Skandal in Bremer Asylbehörde führt zu neuer Härte / Bundesregierung kündigt Gesetzesschritte an

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit Tagen beherrscht dieser Vorfall die Medienberichte in Sachen Flüchtlingspolitik: Asylsuchenden sei vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Bremen massenweise und ohne korrektes Verfahren Schutz zuerkannt worden. Von 1200 Fällen ist die Rede; beschuldigt wird eine ehemalige Referatsleiterin der BAMF-Außenstelle Bremen. Beteiligt sollen neben der Beamtin weitere fünf Beschuldigte gewesen sein, darunter ein Dolmetscher und drei Anwälte.

Die Geschichte zieht erstaunlich weite Kreise, wenn man sich den Sachverhalt vor Augen führt. Es ist von Korruption die Rede und von Urkundenfälschung, genauer soll es sich um eine Hotelübernachtung sowie die Einladung zu einem Essen handeln, die der Hauptbeschuldigten vorgehalten werden. Sie soll Jesiden zu Asyl verholfen haben. Die Essenseinladung sei im Rahmen des jesidischen Neujahrsfestes erfolgt, heißt es in Medien, die offenbar Zugang zu einem Durchsuchungsbeschluss der Staatsanwaltschaft Bremen hatten.

Es geht also um Angehörige jener religiösen Minderheit, die in Syrien und Irak der besonderen Verfolgung und Drangsalierung durch den »Islamischen Staat« (IS) ausgesetzt war und deren Existenz als geschlossene Minderheitengruppe direkt auf dem Spiel steht. Und es geht offenbar um die Jahre 2015 und 2016, eine Zeit also, in der Chaos und Überforderung die Arbeitsumstände in der Bundesbehörde für Asylentscheidungen kennzeichneten. Die jesidischen Flüchtlinge, deren Asylentscheidungen nun allesamt überprüft und »soweit rechtlich möglich, aufgehoben« werden sollen, wie Staatssekretär Stephan Mayer (CSU) vergangene Woche bereits drohte, hatten auch ohne erleichterte Abwicklung ihres Asylverfahrens beste Aussichten auf einen Schutzstatus in Deutschland. Der Grund, warum ihnen in Bremen unbürokratisch und womöglich unter Umgehung vorgeschriebener Amtswege geholfen wurde, ist noch nicht klar und wird derzeit ermittelt. Die Hauptbeschuldigte, die nach ihrer Amtsenthebung im Juli 2016 von der Behörde weiter beschäftigt wird, machte in einem Disziplinarverfahren Medienberichten zufolge humanitäre Gründe für ihr Handeln geltend.

Die Geschichte sorgt gleichwohl für ein mittleres politisches Erdbeben. Der Innenausschuss des Bundestages befasste sich in einer mehrstündigen Sitzung damit. In einer Aktuellen Stunde des Bundestages am vergangenen Donnerstag war von Vertrauens- und tausendfachem Rechtsbruch, von »erheblicher krimineller Energie« und großem Schaden für den Rechtsstaat die Rede. Den Beteiligten wurde vorgeworfen, auf erkennungsdienstliche Behandlung der Flüchtlinge verzichtet und gegen Regeln und Prinzipien verstoßen sowie Zuständigkeiten verletzt zu haben. Tendenz der Debatte war eine einhellige über Fraktionsgrenzen hinweg: Es liege ein grober Gesetzesverstoß vor, und in der vielfach geforderten Aufklärung, die jetzt rückhaltlos erfolgen müsse, lag die unverhohlene Ankündigung noch folgender politischer Schlüsse.

Das Bundesinnenministerium demonstrierte seine Entschlossenheit im Kampf gegen »Asylmissbrauch« und kündigte Gesetzesverschärfungen an. Staatssekretär Stephan Mayer sprach von künftigen »Mitwirkungspflichten« des Asylbewerbers nicht mehr nur bei der Feststellung seiner Identität für das Asylverfahren, sondern auch bei der Widerrufung des Schutzstatus. Ein Gesetzentwurf werde zeitnah erfolgen. Außerdem solle künftig von Amts wegen überprüft werden, wenn Bundesländer auffällig vom Durchschnitt der allgemeinen Schutzquote abweichen. Bremen gehört tatsächlich zu den Ländern mit der höchsten Schutzquote in Deutschland. In ihren Antworten auf Kleine Anfragen der Linksfraktion hierzu sprach die Bundesregierung stets von statistischem Zufall; nun korrigiert sie ihre Ansicht offenbar. Allerdings macht die LINKE hier auf einen anderen Zusammenhang aufmerksam - zwischen der besonders niedrigen Schutzquote in Bundesländern wie Bayern, Sachsen oder Brandenburg und der daraus folgenden Überlastung der Verwaltungsgerichte, die mit Revisionsverfahren zu Asylentscheidungen beschäftigt sind. Die Quote der Aufhebung fehlerhafter Entscheidungen des BAMF sei nicht in Bremen, sondern in jenen Ländern besonders hoch.

Widerspruch gegen vorschnelle und pauschale Urteile im Fall des Bremer »Skandals« wird im allgemeinen Sturm der Entrüstung eher vereinzelt, aber von fachlicher Seite laut. Anwälte entgegnen beispielsweise auf den Vorwurf, die Außenstelle Bremen habe »Verfahren aus anderen Bundesländern an sich gerissen«, dies sei zu jener Zeit im BAMF geradezu Usus und erwünscht gewesen. Wegen der Überlastungen hätten Außenstellen andere unterstützt, indem sie deren Akten übernahmen. Auch eine angeblich in Bremen versäumte erkennungsdienstliche Behandlung wurde in jenen Jahren in der Regel nicht oder verspätet vorgenommen.

Ein Argument allerdings, das etwa die Grünen in der Aktuellen Stunde vortrugen, äußern Kritiker zurecht: Am meisten schadet der Vorgang den Interessen der Flüchtlinge selbst. Die betroffenen Jesiden dürften jetzt um den Bestand ihres Schutzstatus zittern. Denn während syrische Jesiden weiter von Verfolgung bedroht seien, gelte das für die in Irak nicht mehr, heißt es. Die Anerkennungspraxis wurde demnach in den letzten Jahren verschärft. Es kann also sein, dass die Bremer Asylentscheidungen in der Sache durchaus gerechtfertigt waren, ihre neuerliche Überprüfung nun aber zu einem schlechteren Schutzstatus für die Betroffenen führt. Die Frage ist, inwieweit dieser Kollateralschaden erwünscht und womöglich Teil der Erklärung ist, warum die Geschichte einen solchen Grad an politischer Aufmerksamkeit erfährt.

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