nd-aktuell.de / 03.05.2018 / Kultur / Seite 17

Liebe und Vergänglichkeit

Gert Loschütz erzählt eine Trennungsgeschichte vor dem Hintergrund der deutschen Teilung

Michael Hametner

Wenn ein Roman damit beginnt, dass Sohn oder Tochter als Hinterbliebene in das Leben ihrer gerade verstorbenen Eltern eintauchen, dann ist das als Grundeinfall nicht besonders prickelnd, weil zu oft praktiziert. Wenn dieser Roman dann auch noch den Titel »Ein schönes Paar« trägt, dann kann auch dieser Umstand dazu beitragen, das Buch nicht besonders spannend zu finden. Dem neuen Roman von Gert Loschütz, auf den beides zutrifft, täte man mit solch einem vorschnellen Urteil unrecht. In vielerlei Hinsicht handelt es sich bei ihm sogar um einen literarischen Glücksfall.

Der beginnt mit dem Stoff. Herta und Georg, die Eltern von Philipp, dem Erzähler, sterben kurz nacheinander, zuerst der Vater, nur wenige Wochen später die Mutter. Ihr Tod fällt in die Zeit des Endes der deutschen Teilung, von der ihre Lebensgeschichte auf ganz besondere Weise geprägt ist. Beide leben bis zum April 1957 in einer ostdeutschen Kleinstadt namens Plothow. Sie könnte auf die Stadt verweisen, in der Gert Loschütz 1946 geboren wurde: Genthin in Sachsen-Anhalt. Auch der unbedingte Wille zur Wahrhaftigkeit und die berührend liebevolle Art der Erzählung des Vater- und Mutterlebens vermitteln den Eindruck, dass das Buch einen großen autobiografischen Anteil haben könnte. Gewissheit darüber würde die Lesart des Romans jedoch nicht ändern.

Vater Georg - geboren um das Jahr 1920 - war Wehrmachtssoldat und wollte Offizier werden. Nach dem Krieg entwickelt er sich in der DDR der frühen 50er Jahre zu einem stellvertretenden Direktor, der bei besonderen Anlässen von einem Dienstwagen mit Fahrer abgeholt wird. Was er beruflich macht, wird im Einzelnen nicht erzählt. Loschütz begrenzt sein Erzählinteresse auf die Figuren. In ihrem DDR-Leben steigt die Angst, plötzlich verhaftet zu werden.

Der Roman spielt zunächst vor dem Hintergrund einer heute kaum noch fassbaren Zeit. Mit de facto offener Grenze standen sich die beiden deutschen Staaten bis zum Mauerbau im Kalten Krieg gegenüber. Die wirtschaftlich unterlegene DDR beantwortete diese Lage, indem sie im Land ein Klima der Angst erzeugte.

Loschütz braucht kein zeitgeschichtliches Panorama. Er zeichnet dieses Klima vor 1961 stattdessen mit seinen Figuren sehr genau nach. Der Vater hat einen Kameraden aus seiner Wehrmachtszeit in Hannover besucht, bekommt wenig später an seine ostdeutsche Adresse einen Brief vom westdeutschen Ministerium für Verteidigung, in dem ihm ein berufliches Angebot gemacht wird. Ist dieser Brief zu Georg durchgelassen worden, um ihn auf die Probe zu stellen? Dem Ausgang dieser Probe entziehen sich die Eltern und gehen im April 1957 mit Sohn Philipp, dem Erzähler, in den Westen. Quasi ein zwangsläufiger Schritt gegen die Angst, der erzählerisch ohne ideologische Argumentation auskommt.

Im Westen - sie siedeln sich in einer Kleinstadt an, die im Roman »Schieferstadt« genannt wird - beginnt die Geschichte jenes besonderen Fundstücks, auf das Philipp beim Ausräumen seines Elternhauses gestoßen ist. Es handelt sich um einen Fotoapparat. Für ein bisschen Extra-Kapital im Westen versucht der Vater, ihn zu verkaufen. Aber es gelingt nicht. Er nimmt Geld aus der Kasse seines Chef und gibt es gegenüber seiner Frau als Verkaufserlös aus. Das Geld sollte nur geliehen sein, doch der Diebstahl kommt sofort heraus.

Dem Vater drohen nun Prozess und Gefängnis, was seine Frau Herta dadurch zu verhindern sucht, dass sie sich Herrn Greiner, dem Chef ihres Mannes, hingibt, was Sohn Philipp durch Zufall mit ansieht. Von diesem Moment an wird das Leben von Georg und Herta kein Glück mehr kennen, sondern eine unaufhaltsame Geschichte von Unglücken sein. Das größte: Sie trennen sich.

Loschütz wiederholt in der Trennungsgeschichte von Georg und Herta, die er erzählt, die deutsche Teilungsgeschichte, verzichtet aber auf jeden Versuch, ideologische Deutungsmuster ins Spiel zu bringen. Als junger Mann besucht der Sohn immer zuerst den Vater und isst danach bei der Mutter ein zweites Mal Abendbrot. Vielleicht findet gar keine Trennung statt, vielleicht ist alles nur ein Versteckspiel. Was wirklich war, vermag der Sohn als Erzähler nicht zu rekonstruieren. Er stößt darauf, dass der Vater von seinem Fenster aus den Balkon vom Heim der Mutter sehen konnte. Dass dem Erzähler nur Vermutungen bleiben, hat nicht nur mit der Trennung seiner Eltern zu tun, sondern auch mit der deutschen Teilung. In diesem Doppelsinn benutzte bereits Uwe Johnson, der große, schmerzensreiche Spezialist des Erzählens über die deutsche Teilung, den Begriff der Vermutungen.

»Ein schönes Paar« ist kein Buch über die deutsche Teilung, wohl aber eines, dessen Erzählstoff davon geprägt ist. Ein beeindruckender Roman über Liebe und Vergänglichkeit.

Gert Loschütz: Ein schönes Paar. Roman. Schöffling, 240 S., geb., 22 €.