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Flüchtlinge protestieren gegen Polizeieinsatz

Stadt verlegt geplante Mahnwache vor Polizeirevier / Geflüchtete beklagen »bürgerkriegsänhnlichen« Polizeieinsatz

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 5 Min.

Ganz Deutschland hat in den letzten Tagen über die Geflüchtete in Ellwangen diskutiert, gefühlt zumindest. Nun wollen die Geflüchteten ihre Sicht darstellen und gegen ihre Behandlung protestieren. Um mit ihren Eindrücken der Situation mehr Gehör zu verschaffen, hielten die Bewohner der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) am Mittwoch eine Mahnwache abhalten. Am Abend soll es eine Demonstration durch die Kleinstadt führen, 300 bis 800 Teilnehmer sind angemeldet.

Doch zumindest die Mahnwache wollte die Stadt Ellwangen am Mittwoch nicht so zulassen, wie von den Geflüchteten geplant. Aus Sicherheitsgründen sei die Mahnwache vor dem Polizeirevier der Stadt untersagt worden, teilte die Stadt Ellwangen mit. Die Begründung: Durch die Kundgebung sei die einzige Ausfahrt des Reviers blockiert. Das bestätigte Stadt-Pressesprecher Anselm Grupp gegenüber »nd«. Stattdessen schlug die Stadt eine nahe gelegene Straße vor dem Bahnhof vor. Dort hätten sich am Mittwochnachmittag etwa 30 Teilnehmer eingefunden, so Grupp.

Am Nachmittag traf sich die Stadt auch mit den Geflüchteten und der Polizei zu einem Gespräch »auf Augenhöhe«. »Wir haben ihnen gesagt, was mit uns passiert, sobald wir in Mailand landen«, sagt später eine Frau, die nicht namentlich genannt und nicht fotografiert werden wollte. »Da wartet auf uns schon am Flughafen der Zuhälter mit der dicken Goldkette - wir landen wieder alle auf dem Strich. Und unsere Männer müssen als Tagelöhner schuften und auf der Straße schlafen.« Ellwangens Bürgermeister Volker Grab sagte nach dem Gespräch, es sei deutlich geworden, dass die Menschen Angst haben, nach Italien zurückzukehren. »Da leben sie auf der Straße«, so Grab. Auch der Einsatzleiter der Polizei zeigte sich von den Schilderungen »emphatisch betroffen«.

Am Abend wurde im Landtag in Baden-Württemberg auf Antrag der FDP in einer Dringlichkeitssitzung über die Vorkommnisse in Ellwangen debattiert. FDP-Innenexperte Ulrich Goll hielt Innenminister Thomas Strobl (CDU) vor, in der Flüchtlingsunterkunft habe es drei Tage lang einen rechtsfreien Raum gegeben. AfD-Fraktionschef Bernd Gögel sprach generell von Staatsversagen. Beides wies Strobl zurück. »Weder ein rechtsfreier Raum noch ein Staatsversagen sind entstanden.« Die SPD distanzierte sich von der Wortwahl der Oppositionsparteien. Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz warf den Liberalen vor, die gleiche Wortwahl wie die Alternative für Deutschland zu verwenden.

»Viel wurde in den letzten Tagen über uns geredet, jetzt reden wir!«, heißt es in einer Mitteilung der LEA-Bewohner zu den heutigen Aktionen. Die Berichterstattung über die Ereignisse der letzten Tage zeige »wie stark dieses Land mit rassistischen Ressentiments aufgeladen ist«. Der Protest gegen die Abschiebung eines Togolesen am vergangenen Montag sei »spontan« entstanden, er sei »bestimmt aber friedlich gewesen«, schreiben die Bewohner der Landeserstaufnahmeeinrichtung im baden-württembergischen Ellwangen.

Polizisten seien nicht zu Schaden gekommen bei dem Protest, bei dem sich die Beamten schließlich zunächst zurückzogen. Von »Krawallen«, wie zahlreiche Medien schrieben, kann demnach nicht gesprochen werden. Auf Nachfrage von Journalisten musste die Polizei später zugeben, dass nur ein Beamter Verletzungen davongetragen habe, jedoch ohne Einwirkungen Dritter. Einzig Polizeiwagen seien am Montag beschädigt worden.

Die erneute Polizeiaktion am vergangenen Donnerstag sei dagegen »bürgerkriegsähnlich« gewesen und habe die Geflüchteten in der Unterkunft »tief verunsichert«, heißt es in der Pressemitteilung der Geflüchteten. Der Einsatz sei »politisch motiviert und inszeniert« gewesen kritisieren die Bewohner der Unterkunft. Alle 290 Bewohner in den drei Gebäuden der Landeserstaufnahmeeinrichtung seien betroffen gewesen: nicht abgeschlossene Türen wurden eingetreten, selbst ein Hubschrauber wurde eingesetzt und habe so den Eindruck einer »groß angelegten Abschiebeaktion« erzeugt.

Fragen von den Geflüchteten seien mit Gewalt beantwortet worden, alle Bewohner hätten mit erhobenen Händen Durchsuchungen über sich ergehen lassen müssen. Die Polizei hingegen erklärte, die Polizeiaktion sei nötig gewesen. Dabei gab es laut Angaben der Sicherheitskräfte elf verletzte Bewohner. Neben dem 23-jährigen Togolesen, der nun abgeschoben werden soll, ermitteln die Behörden gegen 27 vorläufig festgenommene Bewohner der Unterkunft.

Einige von ihnen sollen sich der Festnahme widersetzt haben, zudem gehe es um Vorwürfe von Drogendelikten, Diebstahl und Hausfriedensbruch. Der angebliche Widerstand gegen die Beamten sei eine panische Reaktion darauf gewesen nachts von Fremden aus dem Schlaf gerissen zu werden, erzählte Bewohner und Geflüchteten-Sprecher Hassan Alassa dem Nachrichtenportal »T-Online«.

Der bei der Razzia festgenommene Togoer wehrt sich derweil mit Hilfe seines Anwalts gegen seine drohende Abschiebung nach Italien. Doch selbst wenn diese durchgesetzt werden sollte, müsste die Bundespolizei den 23-Jährigen theoretisch wieder einreisen lassen. Sollte der togoische Staatsangehörige nach einer gewissen Zeit ein Schutzersuchen gegenüber der Bundespolizei zum Ausdruck bringen, so gelte laut der Behörde generell derzeit folgende Regelung: »Drittstaatsangehörigen ohne aufenthaltslegitimierende Dokumente und mit Vorbringen eines Asylbegehrens ist die Einreise zu gestatten«, sagte eine Polizeisprecherin in Potsdam.

Die Zukunft der Landeserstaufnahmeeinrichtung in Ellwangen ist offenbar unklar. Noch vor fünf Wochen hätten sich die Fraktionen im Stadtrat unterschiedlich geäußert. Laut Stadt-Pressesprecher Grupp seien Grüne und in Teilen auch die SPD eher für einen Fortbestand der Einrichtung. Die Freien Wähler, die vor Ort eine große Fraktion stellen, haben sich gegen die LEA positioniert. Sie meinen, die LEA müsse in einer Großstadt unterbracht werden. Unklar ist demnach die Stimmung bei der Ellwanger CDU-Fraktion. Eine dezentrale Unterbringung der Geflüchteten ist offenbar nicht Teil der Debatte. Noch bis zum Frühjahr 2020 läuft der Vertrag, den das Land mit der Stadt und dem Ostalbkreis hat. Im Mai soll über das Vorgehen bezüglich einer Verlängerung entschieden werden.

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