• Politik
  • Tarifverhandlungen in der Baubranche

Häuser denen, die sie bauen

Bauarbeiter können sich viele Wohnungen, die sie selbst gebaut haben, nicht leisten

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 3 Min.

Die derzeit stattfindenden Tarifverhandlungen in der Baubranche bewegen sich in einem hochpolitischen Umfeld. In vielen Städten und Ballungsräumen herrscht ein dramatischer Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Die Politik hat darauf zwar reagiert und will den Wohnungsbau erheblich ankurbeln. Bis 2021 sollen 1,5 Millionen neue Wohnungen entstehen. Die Branche boomt, die Baupreise und somit auch die Gewinne der Unternehmen steigen seit Jahren. Doch bei denen, die diese Häuser bauen, kommt von diesem Aufschwung wenig an. Mehr noch: Angesichts explodierender Mieten im Bestand und bei Neubauten sind viele Bauarbeiter kaum noch in der Lage, angemessenen Wohnraum für sich und ihre Familien zu finanzieren. Das zeigt auch eine aktuelle, bislang unveröffentlichte Studie des Pestel-Instituts, die nd vorliegt. So können sich Baufacharbeiter mit einem monatlichen Bruttolohn von derzeit 3375 Euro (West) bzw. 3140 Euro (Ost) allenfalls Wohnungen mit einer Nettokaltmiete von 6,50 Euro pro Quadratmeter (entspricht einer Warmmiete von ca. neun Euro) leisten, wollen sie nicht mehr als ein Drittel ihres Einkommens für Miete aufwenden.

Doch insbesondere in Großstädten und prosperierenden Regionen in Süddeutschland sind derartige Wohnungen kaum noch erhältlich. Die Warmmieten liegen bei Neuvermietungen oftmals deutlich über zehn Euro pro Quadratmeter, in Hotspots wie München, Hamburg oder auch Berlin teilweise noch wesentlich höher. Das liegt auch daran, dass sich die sogenannte Mietpreisbremse als weitgehend wirkungslos erwiesen hat. Und an eine Neubauwohnung können Bauarbeiter erst recht nicht denken, vor allem weil der Anteil des geförderten Wohnraums beim Neubau viel zu gering ist.

Pro Jahr müssten aus Sicht des Bündnisses Wohnungsbau, dem sich auch die IG BAU angeschlossen hat, 400 000 neue Wohnungen gebaut werden, davon mindestens 80 000 Sozialwohnungen. Doch allen Lippenbekenntnissen zum Trotz verkaufen die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben und bundeseigene Unternehmen wie die Deutsche Bahn besonders ihre Filetgrundstücke in innerstädtischen Lagen in der Regel an meistbietende Investoren, die dort dann im Luxussegment bauen. Zwar bezeichnet die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles die Wohnraumversorgung als »die soziale Frage unserer Zeit«, doch im Koalitionsvertrag sticht vor allem ein milliardenschweres Förderprogramm für den Immobilienerwerb von relativ gutsituierten Mittelstandsfamilien ins Auge (»Baukindergeld«).

Für den IG-BAU-Vorsitzenden Robert Feiger ist die Pestel-Studie denn auch ein schlagendes Argument für eine kräftige Lohnerhöhung. »Es kann doch nicht sein, dass diejenigen, die tagtäglich bei Wind und Wetter die Knochen hinhalten, sich kaum eine Wohnung leisten können, die sie selber gebaut haben«, so Feiger gegenüber nd. Die Gewerkschaft verlangt deshalb sechs Prozent mehr Lohn gerechnet auf ein Jahr, einen deutlichen Schritt bei der Angleichung der Ost- an die Westlöhne und ein einheitliches 13. Monatsgehalt für alle Beschäftigten. Die erste Schlichtungsverhandlung für die rund 800 000 Beschäftigten des Baugewerbes war in der Nacht zum Dienstag ergebnislos abgebrochen worden. Am heutigen Freitag gehen die Gespräche in die zweite Runde. »Was die Arbeitgeber bislang anbieten, liegt knapp über der Inflationsrate. Das passt angesichts des anhaltenden Booms der Branche nun wirklich nicht in die Landschaft«, so Feiger. Spätestens Ende der kommenden Woche endet die vom früheren Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) geleitete Schlichtung. Wenn es zu keinem Ergebnis kommt, kann es schnell heißen: »Löhne hoch - sonst Helme runter«.

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