NATO rüstet für Cyberkrieg

Internet als Schlachtfeld

  • Olaf Standke
  • Lesedauer: 3 Min.

Den jüngsten Cyberkrieg hat die NATO gewonnen. Rund 4000 Systeme mussten Ende April auf einem fiktiven Schlachtfeld vor über 2500 Angriffen geschützt werden; mehr als 1000 Netzkrieger aus 30 Staaten waren beteiligt. Unter dem Namen »Locked Shields 2018« wurde im »Cooperative Cyber Defence Centre of Excellence« der estnischen Hauptstadt Tallinn der Ernstfall geprobt, auch mit Nicht-NATO-Staaten wie Österreich. Es soll die weltweit größte Cyberverteidigungssimulation sein. Längst hat die mächtigste Militärmaschinerie der Welt auch digital aufgerüstet. Sie könnte im Fall eines verheerenden Cyberangriffs sogar den im Artikel Fünf des NATO-Vertrages verankerten kollektiven Verteidigungsmechanismus auslösen, so Generalsekretär Jens Stoltenberg. Der Norweger sprach am Dienstag in Paris auch auf der Konferenz »Cyber Defence Pledge«, auf der sich Vertreter aller 29 Mitgliedsländer mit Blick auf den NATO-Gipfel im Juli mit den neuesten digitalen Herausforderungen beschäftigten. Beim Gipfel 2016 hatte das Bündnis das Internet zum zusätzlichen militärischen Operationsgebiet neben Boden, See und Luft erklärt. Die Allianz verstärkt seitdem ihre Maßnahmen gegen »immer mehr Cyberangriffe«. Denn die könnten genauso verheerend sein wie militärische, betont Stoltenberg.

Feindbild Russland

Seit geraumer Zeit wird vor allem Russland vorgeworfen, einen hybriden Krieg mit Cyberattacken und Falschinformationen zu führen. Alle Paktstaaten sollen in die Lage versetzt werden, sich dagegen zu schützen. Der Generalsekretär spricht von einem »Team mit 200 Cyberexperten«, die den NATO-Ländern dabei helfen. Und offensichtlich auch in Grauzonen operieren wollen. Während der Übung in Tallinn sollten bei der Neutralisierung modernster Angriffe gegen »kleine Telekommunikationsunternehmen« auch »die gesetzlichen Rahmenbedingungen der Cyberverteidigung mit Juristen ausgelotet« werden.

Für Experten klingt das wie die Aufforderung, in einem »hack back« gegen die Systeme der Angreifer vorzugehen und sie auszuschalten. Spätestens seit Snowdens Enthüllungen weiß man, dass das Fahrrad dabei nicht neu erfunden werden muss: Westliche wie israelische Geheimdienste dringen längst massiv in fremde Netzwerke ein. Der Angriff auf SCADA-Systeme des iranischen Atomprogramms mit dem Computerwurm Stuxnet ist da exemplarisch. Auch der Erpressungstrojaner WannaCry der NSA gilt als digitale Offensivwaffe, die durch das Ausnutzen von Sicherheitslücken gezielt Infrastruktur angreifen kann.

Computer als Offensivwaffen

Bis zum nächsten Jahr soll nun eine gemeinsame NATO-Doktrin für die Cyberkriegsführung vereinbart werden. Man müsse akzeptieren, dass Computer wie Flugzeuge und Schiffe »eine offensive Kapazität haben«, so US-Marinekommandeur Michael Widman. Nach Stoltenbergs Vorstellungen sollen Cyberwaffen zwar in der Hand der Mitgliedstaaten bleiben und internationalem Recht entsprechen, doch »müssen wir die Möglichkeit haben, immer so reagieren zu können, wie wir es wollen«. Deshalb soll ein neues »Cyber Operation Center« der NATO entstehen und die Zusammenarbeit mit der EU verstärkt werden. Nur ist Kriegsführung im virtuellen Raum hoch problematisch, weil es Experten fast unmöglich scheint, Angreifer zweifelsfrei zu identifizieren - was bei Gegenattacken erhebliche Gefahren mit großem Eskalationspotenzial birgt. Und die Folgen könnten verheerend für Millionen Menschen sein.

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